Der Regisseur David Lean soll es es schwer gehabt haben, die Rolle des Sherif Ali in Lawrence von Arabien [Lawrence of Arabia, 1962] zu besetzen: Kurz vor dem Start der Dreharbeiten war immer noch kein geeigneter Schauspieler für die Rolle gefunden. Als die Wahl schließlich auf einen französischen Schauspieler fiel, bemerkte Lean am ersten Drehtag: „Peter O’Toole hat blaue Augen. Der französische Schauspieler hat grüne Augen. Das ist kein Kontrast. Ich brauche einen Kontrast. Schickt mir Fotos von arabischen Schauspielern, die Englisch sprechen. Lean bekam fünf oder sechs Fotos hingelegt und seine Wahl fiel auf Omar Sharif.“, erklärte dessen Sohn Tarek Sharif später.
Seit seiner Kindheit beschäftigte sich Omar Sharif mit dem Hollywood-Kino: Er ging auf eine englische Schule im ägyptischen Alexandria und arbeitete zunächst im Holzgeschäft seines Vaters.
Nachdem er eine Weile als Schauspieler in Ägypten gearbeitet hatte – der ägyptische Regisseur Youssef Chahine gab ihm seine ersten Rollen – folgte mit Lawrence von Arabien sein internationaler Durchbruch: In seinen Memoiren schildert Sharif eindrücklich, wie er bei der Premiere des Films in Hollywood den Kinosaal als unbekannter Schauspieler betrat und einige Stunden als gefeierter Weltstar wieder verließ. Ursprünglich sollte Sharif der Hollywood-Premiere gar nicht beiwohnen – doch Peter O’Toole setzte die Produzenten unter Druck, er würde nur erscheinen, wenn man auch Sharif einlud.

Sharifs „Schutzengel“

Nach Lawrence von Arabien lief Omar Sharif Gefahr, auf die Rolle des Arabers reduziert zu werden: David Lean warnte ihn davor und ihm riet ihm, unbedingt alle Filme abzulehnen, in denen er gegen eine hohe Gage einen Araber spielen sollte. In der Zwischenzeit, in der Sharif keine passenden Rollenangebote erhielt, lieh David Lean ihm Geld – Lean wollte um jeden Preis verhindern, dass Sharif verheizt wird.
Dieser Umstand bewahrte Sharif davor, auf einen Rollentyp reduziert zu werden: In den kommenden Jahren verkörperte er viele Rollen, die als „exotisch“ galten und mit anderen etablierten Hollywood-Schauspielern schwierig zu besetzen waren. Das war nicht zuletzt Leans Verdienst und deshalb bezeichnete Sharif in seinen Memoiren David Lean als seinen „Schutzengel“.
Zwei Jahre nach der Premiere von Lawrence von Arabien konnte David Lean seinem Freund Sharif ein Rollenangebot machen, das ihn endgültig davor bewahrte, auf einen Rollentypus festgelegt zu werden: Lean, der Sharif mit seiner Rolle in Lawrence von Arabien zu einem Weltstar gemacht hatte, wollte die Rolle des Doktor Schiwago im gleichnamigen Film von 1965 mit Omar Sharif besetzen. 

Für einen wahren Schauspieler ist keine Rolle undenkbar.  

Es gab keine Rolle, die Omar Sharif nicht spielen konnte

Als David Lean Sharif die Rolle des Doktor Schiwago anbot, war der Schauspieler zunächst entsetzt. Sharif soll gesagt haben: „Schiwago war ein russischer Arzt. Ich bin ein ägyptischer Schauspieler…“ David Lean unterbrach ihn und erwiderte: „Genau. Du bist Schauspieler.“
Omar Sharif war ein Schauspieler im wahrsten Sinne des Wortes: Verkörperte er auf der Leinwand eine Figur, spielte seine eigene Herkunft keine Rolle. Sharif stellte nicht sich selbst in den Vordergrund des Geschehens am Filmset, sondern den Charakter, den er verkörperte.
In der europäischen Großproduktion Dschingis Khan [Genghis Khan, 1965] spielte Omar Sharif die Rolle des Titelhelden Dschingis Khan, des Begründers des Mongolischen Reichs: Mittlerweile war es fast selbstverständlich, dass man Omar Sharif für solch exotische Rollen, die als schwierig zu besetzen galten, verpflichtete. Im Laufe seiner Karriere verließ sich Omar Sharif nicht immer darauf, in der Filmmetropole Hollywood ein Engagement zu bekommen: Ab Ende der Sechziger wirkte Omar Sharif hauptsächlich in europäischen Produktionen mit. So spielte er 1971 an der Seite von Jean-Paul Belmondo in der französischen Produktion Der Coup [Le Casse]. 
Omar Sharif als deutscher Wehrmachtsoffizier? So etwas schien zunächst undenkbar. Doch Omar Sharif war Schauspieler: Für einen wahren Schauspieler ist keine Rolle undenkbar.  
So kam es, dass Omar Sharif 1966 in Die Nacht der Generale [The Night of the Generals, 1966]
an der Seite von Peter O’Toole einen deutschen Offizier der Wehrmacht spielte. Es gab wohl keine Rolle, die Omar Sharif nicht spielen konnte.

Ein Weltbürger

Im französisch-britischen Historienfilm Mayerling (1968) spielte Omar Sharif die Rolle des österreichischen Kronprinzen Rudolf. Ava Gardner spielte im Film die Rolle der Kaiserin Elisabeth. Der Film dreht sich rund um die Mayerling-Tragödie, die sich 1889 ereignete.
Erst spielte er einen deutschen Offizier, dann den Begründer des Mongolischen Reichs und jetzt einen Angehörigen des österreichischen Hochadels: Das Rollenrepertoire von Omar Sharif erschien beinahe unbegrenzt.
1969 spielte Omar Sharif den Anführer der Rebellenarmee der Kubanischen Revolution Che Guevara im Film Che!: Che stammte ursprünglich aus einer argentinischen Familie.
Egal, ob die Charaktere aus Südamerika, aus Ostasien, Europa oder aus Russland stammten: Omar Sharif verkörperte sie alle. Sharifs glaubwürdige Darstellungen verschiedener Ethnien hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass sich Sharif selbst als ein Weltbürger begriff und er seit Mitte der Sechziger sämtliche Hotels der Welt als sein Zuhause ansah: Da er ohnehin neun Monate im Jahr wegen seiner Arbeit als Schauspieler auf Reisen war, sah er keinen Sinn darin, sich fest an einem Ort niederzulassen. Als er 2015 starb, sollen seine Habseligkeiten in zwei Koffer gepasst haben –  mehr brauchte er nicht. Sein Ziel war nicht, Habseligkeiten anzusammeln, sondern durch seine Arbeit in aller Welt zuhause zu sein. 

Sharif war froh, aus einer Stadt zu kommen, auf deren Boden bereits die Pharaonen wanderten.

Spätes Comeback

Ab Mitte der 1970er war Omar Sharifs Karrierehöhepunkt vorüber: Zwar trat er noch in einigen Filmen auf, jedoch war kaum einer der Filme so bedeutend wie seine früheren Arbeiten als Schauspieler.
Zeit seines Lebens blieb Omar Sharif seiner Heimatstadt Alexandria verbunden: In seinen Memoiren konstatierte er, wenn man seine Kindheit in Alexandria verbringt, wird aus einem ein anderer Mensch, als wenn man in der Bronx aufwächst. Sharif war froh, aus einer Stadt zu kommen, auf deren Boden bereits die Pharaonen wanderten.
Zum Schluss seiner Karriere spielte Omar Sharif in der Literaturadaption Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran [Monsieur Ibrahim et les fleurs du Coran, 2003] die Titelrolle des Monsieur Ibrahim: Die Rolle war ein spätes Comeback für Sharif. Bei der Kritik kam Sharifs Darstellung sehr gut an. Einige Kritiker gingen sogar so weit zu sagen, die vielschichtige Rolle des Monsieur Ibrahim habe nur auf Omar Sharif gewartet – umgekehrt suchte Sharif eine Möglichkeit, ein Comeback zu feiern.

Der Exot 

Sharif war ohne Frage einer der exotischsten Schauspieler seiner Generation: Als sich Ende der Sechziger das Ende des klassischen Hollywood-Kinos abzeichnete, war auch Omar Sharifs Karriere von diesem Umbruch betroffen. Doch Sharif bleibt bis heute ein zeitloser Schauspieler, der mit vielschichtigen Rollen begeisterte. Schon seine erste Hollywood-Rolle in Lawrence von Arabien war vielschichtig: Zu Beginn des Films ermordet Sharifs Filmfigur Sherif Ali den Angehörigen eines anderen arabischen Stamms, weil er von seinem Brunnen trank. Am Ende des Films ist Sherif Ali ein glühender Verfechter der Vision von Lawrence, die Araber zu vereinigen – dieser Sinneswandel steht ganz im Zeichen Omar Sharifs eigener Lebensphilosophie. 

Simon von Ludwig


Maßgebliche Quellen: Sharif, Omar: The Eternal Male, 1977 Doubleday & die Dokumentation Omar Sharif: Aus dem Leben eines Nomaden 

Beitragsbild: © Simon von Ludwig


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