Unter Netflix-Zuschauern und selbst unter Kritikern gilt die Polit-Thriller-Serie „House of Cards“ als eine der besten Produktionen des letzten Jahrzehnts, manch neuer Netflix-Zuschauer spendierte dem amerikanischen Streamingdienst, der als Ablösung des klassischen Fernsehens gilt, ein Abonnement, ausschließlich, weil er unbedingt in den Genuss der Netflix-eigenen Polit-Thriller-Serie kommen wollte. Doch im November 2017 kam der Schock für alle Liebhaber und Fans der Serie: Die Produktion der 6. Staffel wurde aufgrund von sexuellen Vorwürfen, die Kevin Spacey ab sofort belasten sollten, vorübergehend gestoppt und fast im gleichen Zuge wurde mitgeteilt, dass nach Staffel 6, zum Bedauern der Zuschauer, Schluss sei mit der Serie. „Die Entscheidung gegen eine 7. Staffel sei bereits vor Monaten gefallen“ – so ein Netflix–Sprecher im November 2017. In der sechsten Staffel wurde Frank Underwood komplett „entsorgt“, das Rätsel um seinen Tod im eigenen Bett erst in der allerletzten Szene der Serie aufgeklärt. Seine Ehefrau, Claire Underwood, gespielt von Robin Wright übernahm schließlich die Hauptrolle. Die letzte Staffel wurde von Netflix am 2. November 2018 veröffentlicht.

Die Vorwürfe gegen Kevin Spacey

Dem weltbekannten Schauspieler Kevin Spacey, der bei Weitem nicht nur durch „House Of Cards“ bekannt ist, wird unter anderem vorgeworfen, den „Star Trek Discovery“–Schauspieler Anthony Rapp vor knapp 30 Jahren sexuell belästigt zu haben. Gerade nach der #MeToo–Bewegung in der Schauspielindustrie, bei welcher sich zuerst einige SchauspielerInnen zu sexuellen Übergriffen während ihrer Schauspielarbeit äußerten, bekamen solche Vorfälle in oder um Hollywood mehr Aufmerksamkeit und die Hashtag-Bewegung veranlasste mehr und mehr SchauspielerInnen, wie auch in diesem Fall Anthony Rapp, sich zu sexuellen Übergriffen bei ihrer Arbeit zu äußern. Eines ist klar: Durch sexuelle Übergriffe macht man sich nicht nur strafbar, man verpestet das Arbeitsklima und die Qualität der schauspielerischen Leistungen wird herabgesetzt – und das macht sich im Endergebnis immer bemerkbar. Aber was in vielen Kommentaren und Berichten der Medien oft gar nicht erwähnt wird – die Vorfälle sind nicht bewiesen. Es wurden Ermittlungen eingeleitet, die bisher ohne Ergebnis blieben. Bis zum Erscheinen dieses Artikels gibt es keine rechtskräftige Verurteilung von Spacey wegen sexuellem Missbrauch. Man kann sich vortrefflich darüber streiten, ob er nun, wenn es auch bisher keine Verurteilung gibt, schuldig ist oder nicht. Vor dem Gesetz jedoch wurde bislang nichts bewiesen.

Netflix‘ Reaktion auf die Vorwürfe

War es also richtig von Netflix eine laufende und erfolgreiche Serie aufgrund von unbewiesenen Vorwürfen so abrupt zu beenden und den betroffenen Schauspieler zu „entfernen“? Netflix’ Absichten waren klar: Sich so schnell wie möglich von Kevin Spacey zu trennen, um den eigenen Konzern zu schützen und die Sache zum ausschließlichen Problem des Schauspielers zu machen. Das Vorgehen von Netflix ist also aus dieser Sicht verständlich: Das Image der eigenen Firma darf nicht unter möglicherweise begangenen Straftaten eines bei ihnen angestellten Schauspielers leiden oder untergehen. Aber im Interesse der Fans und Zuschauer wurde hier nicht gehandelt, Netflix’ Äußerung, es stehe schon seit Monaten fest, der Serie nach Staffel 6 einen Abschluss zu spendieren wirkt – damals wie heute – eher wie eine notdürftige Ausrede, um ihren radikalen Entschluss, der im eigenen Interesse gefällt wurde, rechtfertigen zu können.

Kann man den privaten Menschen vom öffentlichen Künstler trennen?

Es stellt sich hier die Frage: Kann man den privaten Menschen vom öffentlichen Künstler trennen? Muss man das Privatleben des Künstlers gar vom künstlerischen Werk lösen? Diese Frage ist nicht neu, die Liste der Kunstschaffenden, die sich – ob nun bewiesen oder nicht –„etwas zu Schulden“ kommen ließen, ist lang und nicht auf unsere Gegenwart beschränkt. Charles Dickens zum Beispiel machte seine Ehefrau dafür verantwortlich, dass den beiden 10 Kinder geboren wurden und er wollte sie für verrückt erklären lassen. Der Antisemitismus Richard Wagners füllt ganze Bücher. Den irischen Schriftsteller Oscar Wilde verurteilte man 1895 zu einer Gefängnisstrafe wegen seiner sexuellen Beziehungen mit Männern. Homosexualität war damals eine Straftat in Großbritannien. Hätte man damals seine Werke vernichtet, könnten wir heute nicht „Das Bildnis des Dorian Gray“ lesen. Michael Jackson, Dustin Hoffman, Morgan Freeman und Plácido Domingo sind nur einige aktuellere Namen aus der Liste. Es scheint, je länger die betroffenen Künstler tot sind, umso leichter fällt eine Trennung, oder sagen wir: ein relativierender Umgang mit dem Thema. Wer denkt schon heute beim Lesen von „Oliver Twist“ noch an die Dickensschen Verfehlungen, unter denen seine Familie zu leiden hatte? Wer boykottiert eine Aufführung von „Tristan und Isolde“, weil Wagner Antisemit war?

Simon von Ludwig


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