„Alles ist Kino“: Dieses Zitat wird dem französisch-schweizerischen Filmregisseur Jean-Luc Godard zugeschrieben. Beschäftigt man sich mit dem Werk von Jean-Luc Godard, wird man gezwungenermaßen mit allen Elementen des menschlichen Zusammenlebens konfrontiert: Kunst, Politik, Geld, Philosophie und Liebe – um nur einige Elemente aufzuzählen.
Als 19-jähriger veröffentlichte Jean-Luc Godard einen biographischen Artikel über den Hollywood-Regisseur Joseph Mankiewicz im Pariser Kinomagazin La Gazette du cinèma.
In einem weiteren Artikel, der etwas später erschien, diskutierte er über eine Politisierung des Kinos: Ohne Frage wuchs er in einer Zeit auf, in der Politik und Kino eng miteinander verwoben waren.
Als Godard ein Junge war, liefen in den Pariser Kinos die Filme von Leni Riefenstahl: Zeit seines Lebens betonte er, dass die Riefenstahl-Filme nicht etwa wegen politischer Botschaften künstlerisch wertvoll seien, sondern wegen ihres psychologischen Effekts auf den Zuschauer.
„Es ist nicht das erste Mal, dass Kunst aus Unterdrückung entstanden ist.“, formulierte Jean-Luc Godard in jungen Jahren in Bezug auf jene Filme, die von der Nachwelt gerne als reine Propagandafilme abgestempelt werden.
Frühe Begegnung mit der Literatur
Jean-Luc Godard wuchs in einem literarischen Haushalt auf: Als 14-jähriger erhielt er von seiner Mutter als Geburtstagsgeschenk eine Kopie von André Gides Uns nährt die Erde [Les nourritures terrestres], ein Klassiker der französischen Literatur.
Andere klassische Autoren wie Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir zählten ebenfalls zu Godards frühen Einflüssen.
Zunächst war Jean-Luc Godard als Filmkritiker tätig, bevor er Mitte der Fünfziger begann, Kurzfilme zu drehen. Zu seinen ersten Regiearbeiten zählt der dreizehnminütige Film Charlotte und ihr Kerl [Charlotte et son Jules, 1958], bei dem er zum ersten Mal mit dem noch relativ unbekannten Jean-Paul Belmondo zusammenarbeitete. Godard begann seine Karriere als Regisseur unter dem primitivsten Bedingungen: Seine ersten Kurzfilme drehte er in seinem kleinen Hotelzimmer.
Nouvelle Vague
Es heißt, Godard hätte sich zu Beginn seiner Karriere ab und an nicht einmal ein einfaches Hotelzimmer mieten können: Stattdessen schlief er in den Büroräumen der Filmzeitschriften, für die er als Kritiker arbeitete.
Im Oktober 1957 prägte die französische Journalistin Françoise Giroud die Phrase Nouvelle Vague: Zunächst war es eine Bezeichnung für alle jungen Franzosen, die damals zwischen achtzehn und dreißig Jahren waren und deren Belange weniger kollektiver und mehr individueller Natur waren, als die ihrer Vorfahren. Schon bald bezeichnete der Begriff Nouvelle Vague eine neue Richtung des französischen Kinos, an deren Entwicklung Jean-Luc Godard maßgeblich beteiligt war.
Außer Atem: Beginn der Karriere
1960 war es schließlich so weit: Jean-Luc Godard drehte mit Außer Atem [À bout de souffle] seinen ersten Langfilm mit Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg in den Hauptrollen. Der Film ging als Klassiker des französischen Kinos in die Annalen ein und gilt als der Nouvelle-Vague-Film schlechthin: Nicht zuletzt durch die Arbeit des Kameramanns Raoul Coutard, mit dem Godard im Laufe seiner Karriere regelmäßig zusammenarbeitete, avancierte der Film zu einem Klassiker.
Ohne Frage befand sich das französische Kino nach dem Zweiten Weltkrieg in einer Krise: Die Zuschauer wollten Hollywood-Streifen sehen, die französische Kinolandschaft hatte wenig zu bieten. War es bisher das Ziel des französischen Films, ans Hollywood-Kino so nah wie möglich heranzukommen, änderte sich das nun: Der Film Außer Atem als erstes Werk der Nouvelle-Vague-Bewegung ließ das französische Kino erwachsen werden. Bisher kopierten französische Regisseure häufig ihre Kollegen in Hollywood: Von nun an änderte sich die Ausgangslage. Die Franzosen wurden von ihren Kollegen in Hollywood kopiert.
Politische Filme
Natürlich funktionierte auch Godards Außer Atem nicht ganz ohne Anspielungen auf das Hollywood-Kino, das dem französischen Publikum so ans Herz gewachsen war: Das amerikanische Genre des Film noir ist eng mit der Nouvelle Vague verwandt. In Außer Atem sieht man zum Beispiel ein Poster von Humphrey Bogart und im Abspann des Films wird ein amerikanisches B-Movie-Studio erwähnt.
Nach Außer Atem avancierte Jean-Luc Godard zum politischsten Regisseur der Nouvelle Vague-Bewegung: Mit Der kleine Soldat [Le petit soldat, 1960] drehte Jean-Luc Godard einen Film, der wegen der Filmzensur in Frankreich drei Jahre lang verboten blieb. Die Handlung des Films spielt sich vor dem Hintergrund des Algerienkriegs ab. Im Film spricht die Hauptfigur einen der prägnantesten Sätze der Filmgeschichte:
„Die Fotografie, das ist die Wahrheit. Kino, das ist die Wahrheit 24 Mal in der Sekunde.“
Jean-Luc Godard
Die Worte stammen aus der Feder Jean-Luc Godards, der auch das Drehbuch zum Film verfasste. Produzent war Georges de Beauregard, der heute als Wegbereiter der Nouvelle Vague gilt, da er mit den Filmen nicht zuletzt ein großes finanzielles Risiko einging. Ein Risiko, das andere Produzenten nie eingegangen wären.
Futuristische Filme
Ursprünglich war es vorgesehen, dass Jean-Luc Godard bei Bonnie und Clyde (1967) Regie führen würde. Als Warren Beatty Wind von dem Projekt bekam, änderten sich die Dinge jedoch: Zwischen Beatty und Godard kam es zu keiner Kooperation und die Regie des Films übernahm Arthur Penn. Zur gleichen Zeit realisierte Jean-Luc Godard ein anderes Projekt, das ihm sehr am Herzen lag: Der Science-Fiction-Film Alphaville (1965) ist bis heute einer der bekanntesten Filme von Jean-Luc Godard. Der Film dreht sich rund um die fiktive, futuristische Stadt Alphaville, die von einem Supercomputer namens α-60 diktatorisch beherrscht wird. In der Originalfassung des Films kommt eine künstliche, modifizierte Sprachform zum Einsatz, nicht unähnlich dem Konzept von Orwells Neusprech. Der Film war in gewisser Weise seiner Zeit weit voraus und ist über fünfzig Jahre nach seinem Erscheinen aktueller denn je.
In den Sechzigern war Jean-Luc Godard ohne Frage auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Tätigkeit: In Fachkreisen heißt es, Alphaville sei in gewisser Hinsicht Jean-Luc Godards letzter Film gewesen, obwohl es biographisch gesehen nicht sein letzter Film war. Das große Publikum, das Godard in den Sechzigern ansprach, schwand spätestens ab den Siebzigern dahin. Seine späteren Filme waren vor allem unter Filmkennern und Fachleuten bekannt, die Godard nach wie vor für seinen einzigartigen Regiestil bewunderten.
Alphaville war der Film, mit dem Godard zum ersten Mal umfassenden Erfolg bei der Kritik und an den Kinokassen erzielte.
In der französisch-italienischen Koproduktion Elf Uhr nachts [Pierrot le fou, 1965] arbeitete Jean-Luc Godard erneut mit Jean-Paul Belmondo zusammen.
Experimentierfreudiger Regisseur
Jean-Luc Godard ging als einer jener Regisseure in die Geschichte des Kinos ein, die durch freies Denken und Gewagtheit ein neues Genre begründeten: Die französische Nouvelle Vague-Bewegung wäre nichts ohne Jean-Luc Godard.
Er grenzte sich vom Hollywood-Kino nicht nur durch seine Filmstoffe, sondern auch durch Filmtechniken und Schnitttechniken ab: Godard filmte Dialoge stets nicht im klassischen „Schuss-Gegenschuss-Prinzip“, sondern legte Wert auf experimentelle Kamerapositionen.
Er war einer der ersten Regisseure, die den „Jump Cut“ einsetzten: Der Jump Cut bezeichnet eine Schnitttechnik, bei der ein Charakter zum Beispiel im nächsten Moment eine völlig andere Körperhaltung annehmen kann als im vorherigen. Dabei „verstieß“ Godard in den Sechzigern gegen die allgemeingültigen Regeln des flüssigen Filmverlaufs: Heute fällt das nicht mehr auf, da sich diese Technik allgemein etabliert hat.
Das Kino war für Jean-Luc Godard nicht einfach nur das Kino: Für ihn stand weniger die Unterhaltung im Vordergrund als die politische Botschaft eines Films. Ohne den Regisseur Jean-Luc Godard hätte das französische Kino wohl kaum den Ruf, den es heute hat.
Maßgebliche Quelle: Brody, Richard: „Everything is Cinema: The Working Life of Jean-Luc Godard“, 2008 Holt Paperback New York
Beitragsbild: © Simon von Ludwig