Zeit seines Lebens wurde er vom Publikum als der Darsteller von Bösewichten schlechthin wahrgenommen: Dabei war das Rollenrepertoire von Christopher Lee wesentlich größer. Seine zahlreichen Rollen als Dracula in den Adaptionen des Horror-Filmstoffs festigten Christopher Lees Status als Darsteller von Bösewichten.
Folgt man seinen Memoiren, saß Christopher Lee eines Abends unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinem Freund und entfernten Verwandten, dem italienischen Politiker Nicolò Carandini, am Tisch und diskutierte über seine Zukunft. Christopher Lee war gerade aus dem Armeedienst entlassen worden und plötzlich kam Carandini mit der Idee, sein Freund Christopher Lee könnte doch ein Schauspieler werden. Wie Lee in seiner Autobiografie beschreibt, wurde die Entscheidung in genau diesem Moment gefällt: Er würde Schauspieler werden. Der Fakt, dass bis zu diesem Zeitpunkt seine einzige Begegnung mit der Schauspielerei einige Schultheaterstücke waren, wurde ignoriert. 

Lee als Statist

Christopher Lee kam durch seinen Freund Nicolò Carandini an ein Engagement bei den Two Cities Films, einer Produktionsfirma, die in London und Rom Filme produzierte. Wegen seiner damals überdurchschnittlichen Körpergröße wollte man Christopher Lee zunächst gar nicht unter Vertrag nehmen.
Im Drama Im Banne der Vergangenheit [Corridor of Mirrors, 1948] spielte Christopher Lee die erste Filmrolle seines Lebens – er war jedoch nicht mehr als ein Statist. Terence Young, der später durch seine Regiearbeit bei zahlreichen James Bond-Filmen bekannt wurde, führte bei dem Film zum ersten Mal Regie. Lois Maxwell, die in den James Bond-Filmen später Miss Moneypenny darstellte, hatte in Im Banne der Vergangenheit ebenfalls eine kleinere Rolle.
Ein Jahr später lernte Lee bei den Dreharbeiten zu Die Tingeltangelgräfin [Trottie True, 1949] den jungen Roger Moore kennen. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass die beiden sich begegneten…

Nachdem er in Neapel Tito Gobbi einige Male gehört hatte, war er von Klassischer Musik fasziniert.

Klassische Musik

In den folgenden Jahren führte Christopher Lee ein Dasein als Schauspieler in der Bedeutungslosigkeit: Für viele seiner Tätigkeiten wurde er nicht einmal im Abspann erwähnt. 
Doch im Abspann erwähnt zu werden, das war zunächst alles andere als wichtig für Christopher Lee: In seinen Memoiren betont er, es dauere mindestens 10 Jahre, um Schauspieltechniken zu lernen – in dieser Zeit sei es also nicht gerade von Vorteil, wenn ein Schauspieler bereits Starruhm genieße, so Lee.
Doch bevor er den Weg der Schauspielerei einschlug, überlegte er sich, noch einmal einen anderen Weg einzuschlagen: Nachdem er in Neapel Tito Gobbi einige Male gehört hatte, war er von Klassischer Musik fasziniert. Klassische Musik zog Christopher Lee so sehr in den Bann, dass er selbst ein Opernsänger werden wollte: Bei einem Vorsingen am Royal College of Music wurde ihm zwar großes Stimmtalent bescheinigt, aber für eine professionelle Gesangsausbildung sei er bereits zu alt. Die Schweden sahen das ein paar Jahre später anders…

Zu groß für das Kino

Er war zu alt für eine Gesangsausbildung und zu groß zum Schauspielern: Ende der Vierziger und Anfang der Fünfziger sah sich Christopher Lee mit diesen beiden Problemen konfrontiert, die ihm den erfolgreichen Einstieg in das Bühnengeschäft erschwerten. Er sei „zu groß für das Kino“ ist ein Satz, den er sich immer wieder anhören musste.
Als Christopher Lee 1948 im Expeditionsfilm Scotts letzte Fahrt [Scott of the Antarctic] eine Rolle erhielt, in der er ein paar Zeilen sprach und dafür im Abspann genannt wurde, soll es wie Weihnachten für ihn gewesen sein.
Während seiner Zeit bei den Two Cities Films folgte Christopher Lee einer kuriosen Tradition: Obwohl das Kino und das Theater normalerweise zwei getrennte Sparten waren, sandten die Two Cities Films ihre jungen Schauspieler regelmäßig für einige Wochen ans Theater, um dort Schauspielerfahrung zu sammeln. Zwar spielte Lee ebenfalls regelmäßig in Filmen mit, doch bald sagten ihm seine Studios, dass er zu groß sei, er sich als Schauspieler immer noch keinen Namen gemacht habe und sie seinen Vertrag deshalb nicht verlängern konnten.

Es ging einzig und allein darum, nicht gänzlich in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.

Jussi Björling

Später betonte Christopher Lee, er bedaure es, im goldenen Zeitalter des britischen Kinos in den späten Vierzigern und frühen Fünfzigern nicht die Möglichkeit gehabt zu haben, größere Rollen zu spielen. Stattdessen stand er wie kaum ein anderer Schauspielstudent an den Kinokassen an und sah sich jede Neuerscheinung im Kino an.
1951 erhielt Christopher Lee erneut die Möglichkeit, in einem Film von Terence Young zu spielen: In Wölfe in der Nacht [Valley of Eagles, 1951] spielte Lee eine kleine Nebenrolle. In diesen Tagen ging es für Lee nicht darum, zum Star aufzusteigen: Es ging einzig und allein darum, nicht gänzlich in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Der Film Wölfe der Nacht spielte in Schweden: In seinen Memoiren beschreibt Christopher Lee, wie er sich während der Dreharbeiten in Schweden verliebte. Sogar sein Faible für die Kunst der Oper konnte Lee in Schweden ausleben: Eines Abends traf er bei einer Feier den schwedischen Tenor Jussi Björling und sang mit ihm Opernduette. Björling war fasziniert von Lees Stimme und lud ihn ein, am nächsten Tag dem Intendanten der Königlichen Oper in Stockholm vorzusingen – da an jenem Abend auch Schnaps gereicht wurde, fragte sich Lee, ob Björling das überhaupt ernst meinte… 

Einmalige Chance

Als Christopher Lee am nächsten Morgen an der Oper eintraf, musste er feststellen, dass Björling es ernst gemeint hatte: Nach einem Vorsingen machte man ihm das Angebot, ihn an der Königlichen Oper in Stockholm zu engagieren, wenn er sich dazu entscheiden würde, künftig in Stockholm zu leben. Was die Briten einige Jahre zuvor kategorisch ablehnten, wurde nun Realität: Christopher Lee hatte die Möglichkeit, Opernsänger zu werden. Doch Christopher Lee lehnte ab – er betonte jedoch später, dass dies keine leichte Entscheidung für ihn war. Es irritierte ihn beinahe schon, dass die Königliche Oper in Stockholm ihn mit offnen Armen angenommen hätte. Nach seiner ernüchternden Erfahrung am Royal College of Music einige Jahre zuvor hatte sich Lee gänzlich von dem Traum getrennt, eines Tages Sänger zu werden. Er war inzwischen fest entschlossen, als Schauspieler erfolgreich zu werden.
Doch der Druck, endlich den Durchbruch als Schauspieler zu feiern, wurde immer größer…

Simon von Ludwig

Teil zwei.


Maßgebliche Quelle: Lee, Christopher: „Tall, Dark and Gruesome“, 1999 Midnight Marquee Press

Beitragsbild: © Simon von Ludwig


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