Im Juni 1937 nahm Tito Gobi zum ersten Mal in seinem Leben Fühlung mit einer Opernbühne auf. Ihm wurde angeboten, die Rolle des Papa Germont in La Traviata (Verdi) am Teatro Adriano zu singen, damals das zweite Opernhaus Roms.
Wie so oft im Laufe seiner Karriere stand Gobi vor einer großen Herausforderung: Ihn plagte ein Schnupfen und mit der Rolle war er nur wenig vertraut. Nichtsdestotrotz übernahm Gobbi den Part. Sein Lehrer war Giulio Crimi, einer der einflussreichsten italienischen Tenöre des frühen 20. Jahrhunderts.
Tullio Serafin
Zum ersten Mal trat Tito Gobbi mit vollem Orchester, einem bekannten Dirigenten und auf einer größeren Bühne auf. An jenem Juniabend 1937 war ein besonderer Gast zugegen: Der Maestro Tullio Serafin. Serafin war einer der bekanntesten italienischen Dirigenten des 20. Jahrhunderts und arbeitete unter anderem mit Operngrößen wie Maria Callas oder Renata Tebaldi zusammen.
Serafin besuchte Gobbi nach seinem Auftritt und zeigte sich beeindruckt von seiner Stimme: Der junge Bariton Gobbi nutzte die Gunst der Stunde und fragte nach einem Vorsingen bei Serafin.
So kam es, dass Tito Gobbi fortan bei Tullio Serafin die Kunst des Operngesangs lernte.
Posa (Don Carlos)
Nach vier Jahren Ausbildungszeit bei Tullio Serafin gab man ihm zum ersten Mal die Rolle des Posa in Don Carlos (Verdi). Zwischen Gobbi und Serafin entflammte eine Diskussion über die letzte Szene des Posa: Verdis Fassung der Oper besagt, dass Posa seine letzte Szene con voce sofferente (mit leidender Stimme) singen soll. Serafin wies Gobbi an, die letzten Worte einfach normal zu singen.
Gobbi gab sich damit aber nicht zufrieden: Er einigte sich mit Serafin, an einem Abend die Szene normal zu singen und am nächsten Abend den Tod Pesos realistisch zu spielen.
Als Tito Gobbi den Tod des Posa mit gequälter und immer schwächer werdender Stimme darstellte, erhielt er dafür stehende Ovationen.
Tullio Serafin hatte damit nicht gerechnet: Nach der Darbietung versammelten sich Serafin, der Bürgermeister von Rom und der Geschäfsführer der Oper in der Garderobe Gobbis und gratulierten ihm.
Gobbi wagte es, die bisherige Interpretation der Arie des Posa – wie von Verdi vorgesehen – durch Realismus zu ergänzen. Diese positive Erfahrung ermutige Gobbi dazu, im Laufe seiner Karriere mehr Realismus in verschiedene Rollen einfließen zu lassen – oft stellte er sich damit gegen die Konventionen, erhielt aber stets Unterstützung von seinem Maestro Tullio Serafin. Für einen jungen, noch relativ wenig bekannten Bariton war es damals ungewöhnlich, neue Ansätze zur Interpretation von Rollen zu entwickeln.
Scarpia
1941 sang Tito Gobbi zum ersten Mal seine spätere Erkennungsrolle, den Scarpia in Tosca (Puccini): Von Anfang an war Gobbi von der Komplexität und der Dramatik der Rolle begeistert.
Gobbi sang die Rolle des Scarpia unter anderem an der Seite von Maria Callas: Als Maria Callas am 5. Juli 1965 zum letzten Mal in die Rolle der Tosca schlüpfte, sang Tito Gobbi an ihrer Seite.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Tito Gobbis Karriere Fahrt auf: Durch seine Engagements an Opernhäusern in aller Welt – unter anderem San Francisco, London und New York – wurde Tito Gobbi weltbekannt.
Heimat Italien
Während des Zweiten Weltkriegs war es Tito Gobbi nicht möglich, sein Heimatland Italien zu verlassen: Seine einzige Reise während dieser Zeit unternahm er nach Berlin. Später sagte Gobbi, er sei froh gewesen, während dieser Zeit in Italien geblieben zu sein: Durch Engagements an der Scala und anderen italienischen Opernhäusern lernte er unzählige Opernrollen kennen, die er außerhalb Italiens nie in dieser Form gelernt hätte. Trotz der Entbehrungen, die der Zweite Weltkrieg mit sich brachte, lernte Gobbi während dieser Zeit viel: Dank seiner fundierten Ausbildung in den verschiedensten Rollen der italienischen Oper avancierte er in den folgenden Jahrzehnten zu einem international gefragten Opernbariton.
Maria Callas
Anfang der 50er Jahre begab sich Tito Gobi auf eine Südamerika-Tournee: Er trat in Rio de Janeiro und Sāo Paulo auf. Dort sang er zum ersten Mal gemeinsam mit Maria Callas in La Traviata (Verdi). Noch viele Jahre später beschrieb Gobbi dieses Ereignis als ein Highlight seiner Karriere: In seinen Memoiren widmet Tito Gobbi einen gesamten Abschnitt Maria Callas. Am Beispiel von Callas erklärt Tito Gobbi, dass es bei der Oper um mehr geht als nur Gesang und Schauspiel: Gesang und Schauspiel müssen verschmelzen. Trotz des schauspielerischen Aspekts muss die Darbietung in der musikalischen Form bleiben, wie sie vom Komponisten der Oper vorgesehen ist.
Die gemeinsamen Opernaufnahmen von Callas und Gobbi genießen heute Legendenstatus und warten bis heute darauf, in ihrer Dramatik und schauspielerischen Leistung übertroffen zu werden.
Filme
TIto Gobbi war im Laufe seiner Karriere nicht nur auf der Opernbühne zu sehen: Zwischen 1937 und 1955 trat Gobbi in über zwanzig Filmen auf. In seinem ersten Film I Condottieri (1937) spielte Gobbi unter der Regie von Luis Trenker. Es folgten zahlreiche Opernfilme, bei denen Gobbi an der Seite von Opernstars wie Mario del Monaco spielte. Für den Film Cavalleria Rusticana (1953) lieh Tito Gobbi dem Hauptdarsteller Anthony Quinn seine Gesangsstimme.
Während seiner späteren Karriere – ab den späten 1960ern – konzentrierte sich Tito Gobbi hauptsächlich auf die Regie von Opern und das Unterrichten von Gesangsstudenten.
Vermächtnis
Im Laufe seiner Karriere lernte Tito Gobbi 98 verschiedene Opern kennen, die er alle im Schlaf beherrschte. Zwischen 1968 und 1982 führte Tito Gobbi bei vielen dieser Opern Regie: Seine jahrelange Erfahrung als Opernbariton prädestinierten ihn, hauptsächlich bei Verdi- und Puccini-Opern Regie zu führen. Zweimal führte er Regie bei Don Giovanni (Mozart).
Wie kaum ein anderer Bariton des 20. Jahrhunderts veränderte Gobbi die Art und Weise, wie zahlreiche italienische Opernrollen interpretiert wurden. Er konzentrierte sich stets auf italienische Opern: Zwar sang er auch Opern in anderen Sprachen, betonte aber immer wieder sein Glück, in jungen Jahren Opernrollen in seiner Muttersprache gelernt zu haben.
Als maßgebliche Quelle dienten die Memoiren Tito Gobbis unter dem Titel „My Life“, erschienen 1979 bei Macdonald & Jane’s
Hervorragendes Kurzporträt einer legendären Erscheinung. Bravo!
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