Was wäre das Hollywood-Kino des zwanzigsten Jahrhunderts ohne die Darstellung des typischen britischen Gentleman? David Niven füllte im Laufe seiner Schauspielkarriere diese Rolle perfekt aus, wenngleich er auch in seiner Jugend alles andere als ein Musterschüler war und nach einem Schulverweis zum Militär geschickt wurde.
Niven war kein typischer, langweiliger britischer Gentleman, der eine vollkommen saubere Weste hatte: Er hatte kein unbeflecktes Image, trotz seiner überzeugenden Gentleman-Allüren hatte David Nivens Schauspielkunst immer das gewisse Etwas, das ihn von anderen typischen Gentleman-Schauspielern abhob. Mit seinem Leben und seiner Schauspielkunst definierte Niven das Image des britischen Gentleman neu.
Erster Kontakt mit der Schauspielerei
Seine Schauspielkollegen wussten David Nivens Gentleman-Ader des Öfteren zu schätzen: Als er zum Ende des Zweiten Weltkriegs für die Auftritte der Truppenbetreuung des US-amerikanischen Militärs zuständig war, organisierte er unter anderem die Auftritte von Marlene Dietrich.
Glaubt man den Berichten, so ist Marlene Dietrich während der Ardennenoffensive von feindlichen Truppen gefangen genommen worden. David Niven soll für ihre Rettung zuständig gewesen sein und sie aus den feindlichen Händen befreit haben.
Ohne Frage bestimmte das britische Militär einen Großteil von David Nivens frühem Leben und führte ihn auch in die Welt der Schauspielerei ein: In seinen Memoiren beschreibt Niven, wie er und seine Kameraden ein eigenes Amateurtheater gründeten, als sie vom Armeetheater abgewiesen wurden.
„Für jeden, den wir annehmen, weisen wir tausend andere ab.“
Als David Niven zum ersten Mal mit der Filmindustrie von Hollywood in Kontakt kam und sich als Schauspieler bewarb, sah er folgendes Schild bei einem Casting für Statisten: „Versuchen Sie nicht, Schauspieler zu werden. Für jeden, den wir annehmen, weisen wir tausend andere ab.“
Es war das Hollywood der späten Zwanziger und frühen Dreißiger: Ohne ausreichenden Einfluss einen Fuß in die Tür zu bekommen, war nahezu unmöglich.
Ab 1932 spielte David Niven ungenannte Rollen in Hollywood-Streifen: Sein typisch britisches Erscheinungsbild prädestinierte ihn für zahlreiche Rollen, die nur mit einem klassischen britischen Gentleman besetzt werden konnten. Durch seine Zeit beim Militär passte David Niven außerdem perfekt in eine Uniform: Das erkannten auch Casting-Jurys und gaben Niven Statistenrollen.
Als David Niven nach Kalifornien kam, war Hollywood kein gänzlich unbekanntes Terrain für ihn: Zuhause in Großbritannien hatte er bereits den Filmstar Douglas Fairbanks kennengelernt, der ihn in seinem Vorhaben, Schauspieler zu werden, bestärkte.
Beginn der Hollywood-Karriere
In Meuterei auf der Bounty [Mutiny on the Bounty, 1935] spielte David Niven in einer ungenannten Rolle an der Seite von Charles Laughton und Clark Gable. Niven begann seine Schauspielkarriere mitten im goldenen Zeitalter von Hollywood: Die Filmindustrie boomte gerade, Hollywood hatte ein regelrechtes Monopol auf dem Filmmarkt und jedes Jahr wurden hunderte von Filmen gedreht. Jedes Filmstudio hatte seine Aushängeschilder – das klassische Studiosystem von Hollywood befand sich gleichermaßen auf dem Gipfel seines Erfolgs.
David Niven schwamm auf dieser Welle des Erfolgs mit: Durch seine kleine Rolle in Meuterei auf der Bounty wurde der unabhängige Produzent Samuel Goldwyn auf Niven aufmerksam und nahm ihn unter Vertrag. In den Dreißigern wurde Niven an verschiedene Studios ausgeliehen – darunter MGM und Paramount. 1936 spielte David Niven seine erste bedeutende Rolle in Der Verrat des Surat Khan [The Charge of the Light Brigade]: Dort spielte er an der Seite von Errol Flynn die Rolle eines Soldaten. Wegen seiner Zeit beim Militär war er prädestiniert für Uniformrollen wie kein anderer.
Rückkehr zur Armee
Ende der Dreißiger begannen die Hollywood-Studios, ihm größere Rollen zuzutrauen: So übernahm er 1939 an der Seite von Laurence Olivier eine Hauptrolle in Wuthering Heights, eine Filmadaption des gleichnamigen Romans von Emily Brontë.
Zunächst war sich David Niven sicher, dass die Schauspielkunst ihm mehr bedeutete als seine Verbundenheit mit der britischen Armee: Als der Zweite Weltkrieg begann, riet die britische Botschaft in den USA den britischen Schauspielern, in den USA zu bleiben. David Niven entschloss sich gegen diesen Rat und trat der Armee wieder bei. Dafür unterbrach Niven seine Schauspielkarriere, die sich gerade erst in den Startlöchern befunden hatte.
Doch das heißt nicht, dass der Person David Niven während des Krieges keine Publicity zugute kam: Seine Tätigkeit als Koordinator für die Truppenbetreuung ließ den Namen David Niven immer wieder aufkommen. Er wusste, dass er eines Tages an seinen Erfolg vor dem Krieg anknüpfen sollte.
Irrtum im Jenseits
Nach dem Zweiten Weltkrieg war David Niven nicht nur in Hollywood gefragt, sondern war auch in Londoner Filmstudios tätig: So spielte er 1946 die Hauptrolle im Fantasyfilm Irrtum im Jenseits [A Matter of Life and Death / Stairway to Heaven]. Der Film gilt heute als Filmklassiker und ist eine der ersten englischen Produktionen der Nachkriegszeit. Dem Film kam eine zentrale Rolle bei der Vertiefung der angloamerikanischen Freundschaft nach dem Zweiten Weltkrieg zu: Im Film geht es hauptsächlich um die Liebe zwischen einer amerikanischen Fluglotsin und einem britischen Fliegeroffizier. In den Vierzigern spielte David Niven unter anderem an der Seite von Kinolegenden wie Cary Grant.
In den Fünfzigern stand David Niven auf dem Höhepunkt seines Erfolgs als Filmdarsteller: 1956 spielte er seine wohl bekannteste Rolle als Phileas Fogg in der Filmadaption von Jules Vernes In 80 Tagen um die Welt [Around the World in Eighty Days].
Der rosarote Panther
Die Gaunerkomödie Der rosarote Panther [The Pink Panther, 1963] katapultierte David Niven erneut nach vorne: Niven verstand es, die Rolle des „Phantoms“, auch als Sir Charles Lytton bekannt, humorvoll auszufüllen. Es war nicht irgendeine Form des Humors, auf die Niven zurückgriff: Mit seiner Interpretation des Charles Lytton zeichnete er gewissermaßen eine Karikatur des typischen britischen Gentleman. Hinter dem elegant wirkenden und in der Gesellschaft anerkannten Charles Lytton verbirgt sich in Wahrheit ein Juwelendieb, der sein Gentleman-Getue geschickt gegen sein nächstes Opfer ausspielt. Schließlich würde niemand auf die Idee kommen, ein typischer Gentleman sei zu Juwelendiebstählen in der Lage.
James Bond
Als Ian Fleming seine James Bond-Romane schrieb, hatte er David Niven für die Rolle des James Bond im Hinterkopf: In einem der James Bond-Romane wird Niven sogar namentlich erwähnt – wenn die Besetzung des ersten James Bond-Films Dr. No Flemings Verantwortung gewesen wäre, hätte Niven sicherlich die Rolle des Bond übernommen.
Flemings Vorstellung wurde 1967 doch noch in die Tat umgesetzt – wenn auch in anderer Form, als ursprünglich von ihm gedacht: In der Bond-Parodie Casino Royale (1967) übernahm David Niven die Rolle des James Bond.
David Niven spielte nicht nur in amerikanischen und englischen Filmen mit: In der französisch-italienischen Komödie Das Superhirn [Le Cerveau, 1969] spielte er an der Seite von Jean-Paul Belmondo.
Publikumsmagnet
Nach seiner Filmkarriere verfasste David Niven mehrere autobiographische Bücher.
Seine Art und Weise, den britischen Gentleman auf der Leinwand darzubieten, ist bis heute unerreicht: Er brach das ernsthafte Image eines Gentleman, der als Offizier in der Armee tätig war, durch zahlreiche komödiantische Rollen auf und wurde damit zu einem Publikumsmagneten.
David Niven ging seinen eigenen Weg: Als er in jungen Jahren der britischen Armee beitrat, war noch lange nicht absehbar, dass er eines Tages ein erfolgreicher Schauspieler werden würde. Sein Elternhaus hatte einen bestimmten Weg für ihn auserkoren, dem er aber nicht folgte.
Niven reiht sich in die Reihe jener britischen Hollywood-Schauspieler ein, denen die Filmindustrie von Hollywood einiges zu verdanken hat: Den Rollentyp des britischen Gentleman gibt es bis heute und Niven setzte die Maßstäbe, wie man diese Rolle zu spielen hat.
Maßgebliche Quelle: Niven, David: „The Moon’s a Balloon“, 1994 Penguin Books
Beitragsbild: © Simon von Ludwig