Babelsberg, 1929. Durch die Babelsberger Filmstudios trällert Marlene Dietrich das Lied Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. Marlene konnte damals noch nicht ahnen, dass sie das Chanson um die Welt tragen würde: Noch am Abend der Premiere des Films Der Blaue Engel, in dem Marlene das Chanson sang, machte sich Marlene auf den Weg nach Hollywood. Durch ihren Regisseur Josef von Sternberg bekam sie einen Vertrag mit der Paramount vermittelt.
Eines haben alle Hollywood-Streifen, in denen Marlene Dietrich zwischen 1930 und 1945 mitspielte, gemeinsam: Im Verlauf des Films gibt Marlene ihren Sprechgesang zum Besten. Nicht selten zählte ihr Gesang zu den Highlights, die das Publikum damals in die Kinos lockte. 

Allein in einer großen Stadt

Marlene Dietrichs enge Beziehung zur Kunst des Chansons vertiefte sich Anfang 1933: Marlene befand sich in Versailles, wo sie Kontakte zu zahlreichen deutschen Filmschaffenden im Exil pflegte. Gemeinsam mit dem Komponisten Franz Wachsmann und dem Textdichter Max Kolpe traf sie sich in ihrem Hotel: Marlene wollte das Lied Allein in einer großen Stadt aufnehmen, zu dem Wachsmann die Melodie und Kolpe den Text geschrieben hatte. Marlene konnte sich nur noch an den Text, nicht mehr aber an die Melodie erinnern: Deshalb bat sie Wachsmann zu sich, der die Melodie aus dem Gedächtnis rekonstruierte.
Die Platte, die damals entstand, war die erste Dietrich-Platte, der größere Aufmerksamkeit zuteil wurde. Bislang war Marlene dem Publikum lediglich als Schauspielerin bekannt.

Auch in Deutschland wurde die Platte veröffentlicht – aufgrund des Exilantenstatus von Wachsmann und Kolpe nahmen die beiden für die deutsche Platte ein Pseudonym an. 

Sag mir wo die Blumen sind

Max Kolpe schrieb später, als Marlene mit ihrem Repertoire auf Welttournee ging, für Marlene die berühmte deutsche Übersetzung von Where Have All The Flowers Gone.

Sag mir wo die Blumen sind ist eines der ausdrucksvollsten Lieder, die Marlene Dietrich je interpretierte. Das Lied handelt von der Sinnlosigkeit von Kriegen: Wann wird man je verstehen?, singt Marlene am Ende jeder Strophe wehmütig ins Mikrophon. Dabei steigert sich die Intensität ihres Ausdrucks in jeder Strophe, die sie singt. Marlene weiß, dass die Lautstärke eines Gesangs nichts über dessen Intensität aussagt: Ihre Stimme wird zum Ende hin zwar leiser, aber umso intensiver.
Wann wird man je verstehen, dass Kriege nie einen Sinn hatten und nie haben werden? Es ist diese Frage, die dem Zuhörer in Erinnerung bleibt.

Marlenes Ausdruckskraft

Dass Marlene das Chanson Sag mir wo die Blumen sind mit solcher Ausdruckskraft interpretieren konnte, kam nicht von ungefähr: Marlene wurde 1939 amerikanische Staatsbürgerin: Als die USA 1941 in den Zweiten Weltkrieg eintraten, schloss sie sich den amerikanischen Streitkräften als Truppenbetreuerin an.
Ihre Aufgabe war es, die Soldaten zu unterhalten und vom Kriegsgeschehen abzulenken. Wie lenkt man Soldaten, deren Kameraden täglich fallen, von den Grauen des Krieges ab? Vom amerikanischen Verteidigungsministerium erhielt Marlene und ihre Entourage klare Weisungen: Zu diesen Weisungen gehörte, die Soldaten mithilfe von gesanglichen Darbietungen aufzumuntern.
Abseits des Entertainments war Marlene ein GI, wie alle anderen auch: Ihre Aufgabe verlangte es von ihr, immer an vorderster Kriegsfront zu sein. Dabei geriet sie mehrmals in gefährliche Situationen. 

Lili Marleen

Zwar waren es zumeist keine Chansons, die Marlene auf provisorisch aufgebauten Bühnen für die Soldaten sang: Es befand sich aber ein Lied darunter, das ihre spätere Karriere enorm beeinflussen sollte – Lili Marleen. Das Lied wurde sosehr zum Markenzeichen von Marlene, dass es auf vielen Schallplatten zu Lili Marlene umgetauft wurde. Dabei war es ursprünglich die deutsche Sängerin Lale Andersen, die das Lied bei den deutschen Soldaten berühmt machte.
Das Lied handelt von einem Soldaten, der seine beiden Geliebten namens Lili und Marleen verlassen muss, weil er zum Frontdienst einberufen wurde. Getragen wird das Lied von der Unsicherheit, ob der Soldat seine Geliebten jemals wieder sehen wird.

Das Lied Lili Marleen wurde ein Evergreen. Es war Bestandteil aller Konzertprogramme, die Marlene Dietrich weltweit gestaltete.
1954 bot Marlene das Lied im Café de Paris in London dar:

Auch von Vertretern der klassischen Musik wurde Marlene Dietrich anerkannt: 1964 trafen sich Marlene Dietrich und Herbert von Karajan bei einem offiziellen Empfang in Berlin. Beide Künstler hatten die Idee, einen gemeinsamen Konzertauftritt in Salzburg auf die Beine zu stellen. Als dieses Vorhaben 1967 realisiert werden sollte, wurde daraus aber nichts – wegen Terminschwierigkeiten seitens von Karajan und Dietrich.

Marlene Dietrichs Repertoire umfasste über hundert Songs, darunter Lieder auf deutsch, englisch, französisch und spanisch: Überall, wo sie auf der Welt war, wusste sie das Publikum zu berühren – ob in ihrer Heimat Berlin, in Rio de Janeiro, in London oder in Las Vegas. Das Image von Marlene Dietrich als Grande Dame der Chansonkunst ist bis heute ungebrochen. 

Simon von Ludwig

Marlene Dietrich und Jean Gabin

Maßgebliche Quellen: Das Buch „Marlene Dietrich – Ihr Weg zum Chanson“ von Helga Bemmann, 1990 Verlag Lied der Zeit und Marlene Dietrichs Memoiren „Ich bin Gott sei Dank Berlinerin“, 1987 Ullstein Verlag. Die Anekdote mit Herbert von Karajan stammt aus dem Buch „Schreib. Nein, schreib nicht – Marlene Dietrich / Friedrich Torberg Briefwechsel 1946–1979“, 2008 Wienbibliothek Synema Verlag.

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