Teil eins

Wenn ihr Name erklang, erstarrte jeder Filmschaffende des letzten Jahrhunderts vor Ehrfurcht: Ihre Schauspielkunst gilt als wegweisend für eine ganze Generation von Hollywood-Schauspielerinnen. Obwohl sie lediglich für sechzehn Jahre und in vierundzwanzig Filmen in Hollywood spielte, zählt sie zu den bedeutendsten Schauspielerinnen aller Zeiten.
Die gebürtige Schwedin wuchs laut dem Garbo-Biographen Robert Gottlieb in bescheidenen Verhältnissen in Stockholm auf: Schon früh soll die junge Greta Garbo den Wunsch geäußert haben, Schauspielerin zu werden – die Familie war jedoch so sehr mit dem täglichen Überlebenskampf beschäftigt, dass für solche Träume kaum Zeit war. Mit vierzehn Jahren verlor Garbo ihren Vater – in der Folge war es ihre Aufgabe, gemeinsam mit ihrer Mutter für das Einkommen der Familie zu sorgen.
Greta Garbo (damals noch unter ihrem bürgerlichen Namen Greta Gustafsson) bewarb sich um einen Job bei einem renommierten Modehaus in Stockholm – und bekam ihn. Dort arbeitete sie fortan in der Hutabteilung, damals waren Hüte ein sehr gefragtes Accessoire, die ihre Träger zweifellos als Angehörige einer gehobenen Gesellschaftsschicht auswiesen. 

Ihr Job als Verkäuferin bei einem Modehaus war der letzte Job, den Garbo jemals außerhalb des Showbusiness wahrnahm. 

Slapstick-Komödien

Eines morgens kam der Direktor des Modehauses in der Hutabteilung vorbei und fragte, wer denn infrage käme, um im kommenden Katalog als Fotomodell für die Hutmode zu posieren.
Die Abteilungsleiterin schlug die neue Angestellte Greta Garbo als Hutmodel vor: Die junge Garbo kam als Hutmodell sehr gut an, denn in der Folge wurde sie als Model für Modeschauen verpflichtet. Außerdem nahm man in der Werbebranche Notiz vom imposanten Auftreten und Aussehen der jungen Greta Garbo: Die Modeverkäuferin wurde für kleinere Werbefilme verpflichtet. 

Als der jungen Frau ihre erste größere Rolle in einem Spielfilm angeboten wurde, weigerte sich das Modehaus, sie für die Dauer der Dreharbeiten freizustellen – die Leitung des Modehauses war der Überzeugung, die junge Greta Garbo „gehöre hinter den Verkaufstresen“. Mit der Unterstützung ihrer Mutter kündigte Garbo ihren Job beim Modehaus und nahm eine Rolle in der schwedischen Slapstick-Komödie Luffar-Petter (1922) an.
Der Regisseur der Komödie, Erik A. Petschler, hatte Garbo zuvor als Leinwandtalent ausfindig gemacht und war bekannt dafür, Komödien zu drehen, die an amerikanische Slapstick-Komödien angelehnt waren.
Ihr Job als Verkäuferin bei einem Modehaus war der letzte Job, den Garbo jemals außerhalb des Showbusiness wahrnahm. 

Erste Erfolge im schwedischen Film

Von 1922 bis 1924 studierte Greta Garbo am Royal Dramatic Theatre in Stockholm: Dort wurde die junge Schauspielerin in zahlreichen Disziplinen unterrichtetet, darunter Sprachtraining, Wortgewandtheit, Fechten, Make-Up und Literatur.
Kurz nach ihrer Ausbildung traf die frischgebackene Schauspielerin den russisch-schwedischen Regisseur Mauritz Stiller (1883 – 1928), der als einer der versiertesten Filmschaffenden seiner Generation galt. Unter der Regie von Stiller spielte Greta Garbo in der Literaturverfilmung Gösta Berling an der Seite von Lars Hanson eine der Hauptrollen – Mauritz Stiller schlug der Schauspielerin während ihrer gemeinsamen Arbeit vor, den Künstlernamen Greta Garbo anzunehmen. Somit war zum ersten Mal ein Name gefallen, dessen Nachhall die Jahrzehnte überdauerte.
Fortan war Greta Garbo das Protegé des Regisseurs Mauritz Stiller: Es steht fest, dass die junge Garbo ohne den Einfluss von Stiller wohl kaum den gleichen Weg gegangen wäre. Gösta Berling wurde ein großer Publikumserfolg – die Verleihrechte für Deutschland wurden für eine rekordverdächtige Summe von 100.000 Mark verkauft.
„Ich war noch nie woanders als in Schweden“, sagte Greta Garbo, als sie Mitte der Zwanziger zum ersten Mal nach Berlin reiste. Wusste Greta Garbo, als sie Mitte der Zwanziger nach Berlin reiste, dass die Kulturmetropole nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Hollywood sein würde?

„Ich riskiere eine Wette auf Garbo.“

Fest steht, dass der Regisseur Mauritz Stiller große Pläne für sein Protgée hatte. Während ihrer Zeit in Deutschland spielte Greta Garbo in Georg Wilhelm Pabsts Die freudlose Gasse (1925) mit: Garbo genoss den Umtrieb in der europäischen Kulturmetropole Berlin während der Goldenen Zwanziger – wäre es nach ihr gegangen, hätte sie vermutlich zahlreiche weitere Filme in Deutschland gedreht und hätte gar nicht daran gedacht, auf die andere Seite des Atlantiks überzusiedeln.
Doch es kam anders: Während eines Aufenthalts in Berlin mit Mauritz Stiller wurde ein Vertrag mit dem damals neugegründeten Studio MGM geschlossen, der besagte, dass beide so schnell wie möglich nach Amerika kommen sollten. So kam es, dass Greta Garbo 1925 im Alter von neunzehn Jahren nach Hollywood ging.
Der Studiochef von MGM, Louis B. Mayer, soll Greta Garbo zunächst kritisch gegenübergestanden haben: Es dauerte eine Weile, bis er ihr Schauspieltalent erkannte. „Vielleicht werde ich nie ein Vermögen auf der Rennbahn gewinnen, aber das wird mich nicht vom Wetten abhalten. Ich riskiere eine Wette auf Garbo.“ [Original: „Maybe I’ll never win a fortune at the race track but that won’t keep me from betting. I’ll take a chance on Garbo.”], soll Louis B. Mayer eines Tages gesagt haben. 

Weshalb verwehrte man der Garbo in Hollywood jenen Regisseur, der ihr Potenzial erkannt hatte?

Mauritz Stiller

Der Regisseur Mauritz Stiller, der Garbo nach wie vor förderte und mit ihr nach Hollywood gegangen war, spielte in den Plänen von Louis B. Mayer jedoch keine Rolle: In ihrer ersten Hollywood-Stummfilmrolle in Fluten der Leidenschaft [Torrent, 1926] spielte Garbo unter der Regie von Monta Bell. Beim zweiten Garbo-Film für MGM, Dämon Weib [The Temptress, 1926] sollte Mauritz Stiller zwar zunächst die Regie führen, doch nach nur fünf Wochen als Regisseur wurde Stiller gefeuert und Fred Niblo übernahm seine Aufgabe. Weshalb verwehrte man der Garbo in Hollywood jenen Regisseur, der ihr Potenzial erkannt hatte und vermochte, ihr Talent bestmöglich in Szene zu setzen? Mauritz Stiller hatte ein grundsätzlich anderes Verständnis vom Film als die neu aufgekommenen Hollywood-Studios. Nicht nur strapazierte er den Terminkalender der MGM Studios, seine Ambition war es, einen künstlerisch extrem wertvollen Film zu drehen, unabhängig davon, wie viel Zeit und Geld das kosten würde. Ohne Frage hätte Stiller mit dem zweiten Garbo-Film ein Meisterwerk für alle Zeiten geschaffen: Doch bei MGM tickten die Uhren anders. Zwar waren alle Verantwortlichen begeistert von der europäischen Art und Weise, Filme zu drehen, doch für einen Regisseur wie Stiller war kein Platz im frühen Hollywood. Greta Garbo, die nach zwei Filmen als Stummfilmstar galt, musste ihren Weg alleine weiter gehen, ohne ihren Förderer. 

Mauritz Stiller starb zwei Jahre später im Alter von nur 45 Jahren in Stockholm: Mit ihm verlor Garbo ihren bis dato wichtigsten Förderer, ohne den sie vermutlich niemals nach Hollywood gekommen wäre. 
In Hollywood stand die junge Greta Garbo vor großen Herausforderungen: Die Ära des Stummfilms näherte sich ihrem Ende. Noch war der Name Greta Garbo keine Legende: Sie war vielleicht ein Star und hatte ihren Platz in Hollywood gefunden, doch bekanntermaßen ist es schwieriger, an der Spitze zu bleiben, als einmal an die Spitze zu kommen.
Wie würde es Greta Garbo schaffen, sich in Hollywood dauerhaft zu behaupten? Jetzt, wo sie vollkommen losgelöst war von ihrer schwedischen Heimat, war dies kein leichtes Unterfangen…

Simon von Ludwig

Teil zwei.


Maßgebliche Quelle: Gottlieb, Robert: Garbo, 2021 Farrar, Straus & Giroux

Beitragsbild: © Simon von Ludwig


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