Teil eins

„Deutsch war meine zweite Muttersprache.“, schrieb Ingrid Bergman einst in ihren Memoiren rückblickend auf ihre frühen Erfahrungen vor der Kamera im Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg. Ende der Dreißiger war Ingrid Bergman in Schweden bereits eine sehr erfolgreiche Filmschauspielerin gewesen – mit Deutschland verband die Schauspielerin schon immer eine besondere Beziehung. Ihre Mutter, die starb, als Bergman gerade einmal zwei Jahre alt war, war in Kiel geboren – wegen der familiären Beziehungen, die noch immer nach Deutschland bestanden, lernte Ingrid Bergman fließend deutsch sprechen.
Die Stadt Hamburg nahm dabei eine besondere Rolle ein – nicht nur hatten dort ihre Eltern geheiratet, manchmal verbrachte Ingrid Bergman dort ganze Sommer bei einer Tante mütterlicherseits. Dass sie auch in Deutschland Filme drehte, lag in der Natur der Sache – Ingrid Bergman unterzeichnete Ende der Dreißiger einen Vertrag über drei Filme mit der UFA: Der erste dieser Filme war Die vier Gesellen (1938) unter der Regie von Carl Froelich. Bergman sagte später rückblickend, sie habe in Schweden als Schauspielerin klein angefangen, in Deutschland mittelgroß weitergemacht und war in Hollywood schließlich groß angekommen… 

Bergman lag es fern, sich in das Schulungssystem des Königlichen Dramatischen Theaters einzuordnen.

(Kurze) Schauspielausbildung 

1933 begann Ingrid Bergman mit knapp achtzehn Jahren, am Königlichen Dramatischen Theater in Stockholm Schauspiel zu studieren – es war damals eine der renommiertesten Schauspielschulen in ganz Schweden. Einige Jahre zuvor hatte hier Greta Garbo ihre Karriere als Schauspielerin begonnen: Wer diese Schauspielschule besuchte, konnte gewiss sein, dass er oder sie schon bald Engagements auf der Bühne und vor der Kamera erhalten würde. 

Doch Bergman lag es fern, sich in das Schulungssystem des Königlichen Dramatischen Theaters einzuordnen: „Die Schule war für sie eine Enttäuschung, weil sie nicht schnell genug vorankam. Sie wollte so schnell wie möglich anfangen zu arbeiten.“, so der spätere Regisseur und Schauspieler Frank Sundström über seine einstige Kommilitonin Ingrid Bergman.
Folglich verließ Ingrid Bergman schon nach einem Dreivierteljahr die Schauspielschule wieder – ein Studium dort dauerte normalerweise fünf Jahre – und konzentrierte sich ganz auf ihre Leinwandkarriere. Sie hatte sich schon seit Jahren autodidaktisch viele Kenntnisse über die Schauspielerei angeeignet und wurde als aufstrebende Schauspielerin anerkannt. Hätte Bergman, wie von ihren Schauspiellehrern empfohlen, fünf ganze Jahre an einer Schauspielschule verbracht, hätte ihre Karriere unter keinen Umständen den selben Lauf genommen… 

David O. Selznick

Von Rollenangeboten, die bereits zu Bergmans Zeit an der Schauspielschule eintrafen, wurde sie darin bestärkt, die klassische Schauspielausbildung nicht weiter fortzusetzen – diese Entscheidung sollte sie nicht bereuen. 
Kaum hatte Bergman Ende der Dreißiger angefangen, außerhalb von Schweden in Filmen mitzuspielen, nahm man auch schon in Hollywood Notiz von der jungen Schauspielerin: Ingrid Bergman erregte zunächst jedoch nicht die Aufmerksamkeit der großen Studios MGM, Paramount oder 20th Century Fox. Der Hollywood-Produzent David O. Selznick war Ende der Dreißiger daran interessiert, Ingrid Bergman nach Hollywood zu holen: Da Selznick 1936 seine eigene Produktionsfirma gegründet hatte, genoss er weitgehende Autonomie von den großen Hollywood-Studios, denen er in den frühen Dreißigern noch zugearbeitet hatte. Im Juli 1938 fiel der Name Ingrid Bergman zum ersten Mal in David O. Selznicks berühmten Memos, die er regelmäßig verfasste – es dauerte kein Jahr nach diesem Memo, bis Ingrid Bergman zum ersten Mal US-amerikanischen Boden betrat. 

Sie wurde für ein Remake des Films Intermezzo (1939) engagiert, der bereits 1936 in Schweden mit Ingrid Bergman und Gustaf Molander in den Hauptrollen erschienen war. Bergman dürfte von einem Angestellten Selznicks entdeckt worden sein, der die Aufgabe hatte, nach „ausländischen Filmen Ausschau zu halten“, die dann entweder von Selznick selbst neu verfilmt wurden oder – als Investition – an andere Studios zu Neuverfilmungszwecken weiterverkauft wurden. 
Im Falle von Intermezzo entschloss sich Selznick International Pictures (SIP) für eine eigene Neuverfilmung – wer wäre besser für die Hauptrolle geeignet, als jene Schauspielerin, die bereits im schwedischen Original den Film getragen hatte? 

Hollywood: Nur ein kurzes Intermezzo?

Doch Bergman wollte nicht um jeden Preis ein Hollywood-Star werden: Als Selznick ihr kurz nach der Ankunft erklären wollte, dass ihre Augenbrauen „zu dick“ seien, ihr Name „zu deutsch“ klänge und ihre Zähne „nicht ganz in Ordnung seien“, machte die junge Bergman ihren Standpunkt klar. Sie würde so bleiben wie sie ist, sonst würde sie sobald wie möglich die Heimreise wieder antreten. 

Dieser äußerst seltene Vorgang, dass eine junge, aufstrebende Schauspielerin einem etablierten Hollywood-Produzenten widerspricht, dürfte Selznick beeindruckt haben – zunächst ging Selznick davon aus, dass Bergman ohnehin nur für den Film Intermezzo ein kurzes Intermezzo in Hollywood geben würde, um danach wieder in die schwedische Heimat zurückzukehren. Diese Vermutung und die Tatsache, dass Selznick durch seine eigene Produktionsgesellschaft Autonomie genoss, mögen die Grunde gewesen sein, weshalb Selznick der jungen Bergman ermöglichte, die am natürlichsten aussehende Hollywood-Schauspielerin zu werden. Noch konnte ja keiner ahnen, wie sich die Karriere von Ingrid Bergman entwickeln würde und dass sie schon bald einen gesunden Gegensatz zum polierten Aussehen anderer Hollywood-Stars darstellen würde… 

Nun wurde es als bewusste Entscheidung der Selznick-Studios beworben, Ingrid Bergman „in natura“ vor die Kamera zu stellen.

Alles begann mit der Photographie

Nach der Premiere von Bergmans erstem Hollywood-Film Intermezzo stand fest: Das Publikum hatte die ganzen Jahre auf eine Schauspielerin gewartet, die sich so zeigte, wie sie wirklich war und es nicht nötig hatte, für die Leinwand die Augenbrauen zu zupfen. Ihre natürlichen Augenbrauen, mit denen sie sich stets auf der Leinwand zeigte, waren ein Markenzeichen der Ingrid Bergman.
Vor kurzem war es noch ein Tabu und ein gewagter Schritt Selznicks gewesen, eine Schauspielerin so zu zeigen, wie sie wirklich war: Nun wurde es als bewusste Entscheidung der Selznick-Studios beworben, Ingrid Bergman „in natura“ vor die Kamera zu stellen.
David O. Selznick kümmerte sich nicht nur um die Schauspielkarriere Bergmans, sondern auch um das Wohl der Familie Bergman: So vermittelte er Bergmans damaligem Mann, einem Arzt, einen Platz an einer Universität südlich von New York. Als Selznick erkannt hatte, welches enorme Potenzial in seinem neu geschaffenen Star Ingrid Bergman steckte, schien es, als gebe es nichts auf der Welt, was er nicht für ihr Wohlbefinden tun würde. 

Das größte Bindeglied zwischen Ingrid Bergman und ihrem Vater, der 1929 starb, war die Photographie: Ihr Vater besaß ein Fachgeschäft für Photographie und begriff das Photographieren als seine Leidenschaft.
Für ihren Vater posierte Bergman schon in frühen Jahren vor der Kamera und lernte die Grundlagen darüber, was es bedeutete, sich vor einer Kamera zu zeigen. Nun hatte es Ingrid Bergman geschafft, den Film und die Kamera zu ihrem Beruf zu machen: Sie hatte sogar erreicht, dass sie auch in Hollywood so bleiben durfte, wie sie war – doch Anfang der Vierziger war Bergman noch lange nicht am Ende ihrer Karriere, die sie als erste natürliche Schauspielerin Hollywoods begann… 

Simon von Ludwig

Teil zwei.


Beitragsbild: Ingrid Bergman 1960 in Amsterdam mit dem Theaterproduzenten und ihrem späteren Ehemann Lars Schmidt (1917 – 2009)
Bildnachweis: Fotograaf Behrens, Herbert / Anefo, Nationaal Archief, CC0

Maßgebliche Quellen:

  • Wydra, Thilo: Ingrid Bergman. Ein Leben, 1. Aufl. 2017, DVA, München
  • Haustedt, Birgit: Ingrid Bergman, 1. Aufl. 2015, ebersbach & simon, Berlin

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