In vielen Regionen ist man es gewöhnt, dass ein Rind- oder Schweinefleischerzeugnis geräuchert wird, um es möglichst lange haltbar zu machen: Das ist beim Bündnerfleisch allerdings nicht der Fall. Bei der Spezialität, die traditionell aus dem Schweizer Kanton Graubünden stammt, wird auf das Räuchern gänzlich verzichtet. Bündnerfleisch wird komplett an der Luft getrocknet und mithilfe von Meersalz und einer Gewürzmischung haltbar gemacht. Doch es ist nicht nur das Wissen rund um die Lufttrocknung von Fleisch, das eine Scheibe Bündnerfleisch auszeichnet: Im Kanton Graubünden, das durch imposante Berglandschaften geprägt ist, findet man ein besonderes Klima vor. Heute noch gibt es in Graubünden die höchstgelegene Fleischtrocknerei Europas – auf über 1500 Metern Höhe. Oft heißt es, der besondere, saftige Geschmack des Bündnerfleischs sei nicht zuletzt auf das alpine Klima im Kanton Graubünden zurückzuführen: Hinter der Herstellung von Bündnerfleisch steckt allerdings auch ein großer Wissensschatz rund um die Trocknung von Fleisch, der in vielen Trocknereien über Generationen hinweg weitergegeben wurde. 

Um sicherzustellen, dass eine Scheibe Bündnerfleisch tatsächlich ein sehr mageres Fleischerzeugnis ist, wird das Fleischstück zusätzlich von Fett und Sehnen befreit. 

Pökeln und Gewürzmischung

Zu diesem Wissensschatz zählt unter anderem die Tatsache, dass für die Herstellung von Bündnerfleisch nur Fleisch aus der Oberschenkelmuskulatur und der Rinderoberschale zum Einsatz kommt – dieses Fleisch gilt von Natur aus als besonders mager und gleichzeitig zart. Mager und zart, das sind zwei Eigenschaften die auf jedes originale Bündnerfleisch zutreffen – das Trockenfleisch ist wegen seines geringen Fettgehalts auch als Ernährung für Sportler sehr begehrt. Bündnerfleisch begleitend zu einem Trainingsplan zu essen kann sogar dabei helfen, Muskeln aufzubauen – das liegt im hohen Eiweißgehalt von Bündnerfleisch begründet. 
Um sicherzustellen, dass eine Scheibe Bündnerfleisch tatsächlich ein sehr mageres Fleischerzeugnis ist, wird das Fleischstück zusätzlich von Fett und Sehnen befreit. 

Anschließend wird das Fleischstück mit einer Mischung aus Meersalz, Pökelstoffen und Gewürzen eingerieben – meistens verwendet man Knoblauch, Wacholderbeeren oder Lorbeer als Bestandteil der Gewürzmischung. Nun werden die Fleischstücke in großen Gefäßen aufeinander geschichtet und für einen Zeitraum für fünf Tage bis fünf Wochen bei Temperaturen von 2 bis 6 Grad Celsius gepökelt. Der Eigensaft, der im Laufe dieses Prozesses aus dem Fleisch austritt, soll sich optimal mit den Gewürzen vermischen – deshalb werden die Fleischstücke innerhalb dieser Zeit regelmäßig umgeschichtet. 

Trocknung – Enorme Feuchtigkeitsverluste

Nach dem Pökeln folgt der eigentliche Prozess der Trocknung: Vor der Trocknung wird das Fleisch zunächst gewaschen und gebürstet, um die Gewürzmischung völlig vom Fleisch zu entfernen. Nun werden die Fleischstücke in Netze verpackt und in klimatisierten Räumen zur Trocknung aufhängt. Üblich sind Temperaturen von 12 bis 18 Grad Celsius für die Trocknung – sehr traditionelle, kleinere Betriebe verzichten auf klimatisierte Räume und hängen das Bündnerfleisch zu einer geeigneten Jahreszeit tatsächlich an die Luft. Der Prozess der Trocknung dauert mindestens drei und maximal sechs Monate – im Laufe dieses Prozesses kommt es zu einem enormen Wasserverlust beim Fleisch. Dieser Wasserverlust beträgt unter Umständen bis zu 55% des ursprünglichen Gewichts – diese Tatsache ist einer der Gründe, weshalb es sich beim Bündnerfleisch um eine eher hoch gehandelte Delikatesse handelt. Geht man von einer ursprünglichen Fleischmenge von einem Kilogramm aus, so ist es keine Seltenheit, dass am Ende noch 500 Gramm Bündnerfleisch übrigbleiben.

Damit eine optimale Verteilung des Wassers im Fleisch auch trotz des hohen Wasserverlusts gewährleistet ist, wird das Bündnerfleisch während des Trockners regelmäßig in Form gepresst, wodurch auch die charakteristische rechteckige Form eines Stücks Bündnerfleisch entsteht. 
Im Laufe des Trocknungsprozesses entsteht auf der Oberfläche des Bündnerfleischs ein weißer Schimmelbelag – dieser Belag fällt unter die Kategorie Edelschimmel und wird vor dem Verkauf meistens entfernt. Allerdings ist genau dieser Edelschimmel für die Aromen verantwortlich, die dem Bündnerfleisch sein einzigartiges Aroma verleihen. 

Bresaola und Bündnerfleisch 

Die Rindfleischspezialität aus dem Kanton Graubünden ist eine Delikatesse, die man unbedingt hauchdünn aufschneiden sollte: Ein echtes Bündnerfleisch schmeckt so kräftig, dass selbst eine hauchdünne Scheibe schon genügt, um eine Brotscheibe damit zu belegen. 
Trockenfleischerzeugnisse stehen meist in dem Ruf, äußerst trocken zu schmecken – auch das trifft auf das Bündnerfleisch nicht zu. Eine Scheibe Bündnerfleisch ist extrem saftig, das liegt nicht zuletzt darin begründet, dass die Teilstücke aus der Oberschenkelmuskulatur und der Oberschale als besonders saftige Fleischstücke gelten. Ein weiteres Geheimnis bei der Herstellung von Bündnerfleisch ist, das Fleisch von eher älteren Kühen zu verwenden – das Aroma wird so kräftiger. 

Das Bündnerfleisch inspirierte auch andere Trockenfleischerzeugnisse: Die Bresaola della Valtellina aus dem Veltlin-Tal, das sich ganz in der Nähe von Graubünden befindet, wird nach ähnlichen Vorgaben wie das Bündnerfleisch hergestellt. Da das Veltlin-Tal von 1512 bis 1798 ein Untertanenland des schweizerischen Freistaates der Drei Bünde war, ist davon auszugehen, dass man sich im Veltlin-Tal an den Graubündner Methoden zur Fleischtrocknung orientierte und ein eigenes Erzeugnis, die Bresaola, ins Leben rief.  
Trotzdem schmeckt eine Scheibe Bresaola ganz anders als eine Scheibe Bündnerfleisch: Das liegt vor allem an den unterschiedlichen Gewürzmischungen, die bei beiden Erzeugnissen Anwendung finden. Insbesondere hinsichtlich der Auswahl der Fleischstücke gelten beim Bündnerfleisch allerdings strengere Vorgaben als bei der Bresaola. 

Je nachdem, in welcher Jahreszeit ein Stück Bündnerfleisch zur Trocknung aufgehängt wurde, variiert auch der Geschmack.

Gelebte Tradition

Bis heute gibt es in der alpinen Region von Graubünden noch Erzeuger, die Bündnerfleisch ganz nach der alten Schule herstellen: In manchen Fleischtrocknereien wird das Bündnerfleisch wie vor einigen hundert Jahren getrocknet. Klimatechnik gibt es hier keine – die Temperatur wird durch das Öffnen und Schließen von Fenstern reguliert, im Sommer wirkt ein nahegelegenes Gewässer wie eine Klimaanlage für die Trocknerei. 

Es ist auch eine Erfahrungssache, zu erkennen, wann ein Stück Bündnerfleisch fertig getrocknet ist: Der manuelle Herstellungsprozess bedingt, dass nicht jedes Stück nach einem fest definierten Zeitpunkt den Prozess der Trocknung abgeschlossen hat. Ein fertig getrocknetes Bündnerfleisch weist eine durchgehend dunkelrote Farbe auf, eine feine Textur und einen würzigen, keineswegs zu salzigen Geschmack auf. Je nachdem, in welcher Jahreszeit ein Stück Bündnerfleisch zur Trocknung aufgehängt wurde, variiert auch der Geschmack: Bündnerfleisch, das im Sommer getrocknet wurde, schmeckt manchmal intensiver als in Winterluft getrocknetes Bündnerfleisch. 

Das zur Herstellung von Bündnerfleisch verwendete Rindfleisch muss nicht zwingend aus der Schweiz stammen: Das Pflichtenheft schreibt lediglich vor, dass die Veredlung, der Prozess des Pökelns und die Trocknung im Kanton Graubünden stattfinden müssen. Wenn all das Rindfleisch für die Herstellung von Bündnerfleisch aus der Schweiz stammen müsste, wäre es äußerst schwierig, die internationale Nachfrage nach Bündnerfleisch zu befriedigen. Es gibt allerdings auch Händler, die sich darauf spezialisiert haben, nur Rindfleisch aus der Schweiz für die Herstellung von Bündnerfleisch zu verwenden. 

Schweizer Spezialität

Was vor einigen hundert Jahren ursprünglich die einzige Methode war, Rindfleisch lange haltbar zu machen, ist heute ein international gefragtes Produkt und genießt – ähnlich wie der Schweizer Emmentaler – ein hohes Ansehen.
Es gibt zahlreiche Schweizer Rezepte und Gerichte, die mit Bündnerfleisch arbeiten: Der große Vorteil des Trockenfleischs aus Graubünden ist, dass bereits geringe und sehr dünn aufgeschnittene Mengen ausreichen, um ein Gericht zu aromatisieren und einen fleischigen Charakter beizusteuern. Die Tatsache, dass Bündnerfleisch – im Vergleich zu anderen Rinderschinken – nicht geräuchert wird, kann auch einen geschmacklichen Vorteil bieten: In manchen Gerichten ist eine Rauchnote nicht erwünscht und würde eher störend wirken. 
Die Herstellung von Bündnerfleisch blickt auf eine jahrhundertelange Tradition zurück – dank des geringen Fettgehalts und hohen Eiweißgehalts ist das Bündnerfleisch eine Fleischspezialität, die man auch dann zu sich nehmen kann, wenn man fettarme Speisen bevorzugt und einen Trainingsplan befolgt.  

Simon von Ludwig


Beitragsbild: © Simon von Ludwig


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