Agentenpoker (1980) ist ein Beispiel für einen Film, der Elemente einer Komödie und eines Agentenfilms miteinander verbindet: Der Film basiert auf dem Roman Hopscotch von Brian Garfield, der zuvor die Romanvorlage zu Death Wish (1975 mit Charles Bronson in der Hauptrolle verfilmt) verfasste. Brian Garfield erhielt vom britischen Regisseur Ronald Neame die Einladung, am Drehbuch zum Film mitzuwirken – das hatte einen guten Grund: Garfields Romanvorlage hatte mit einer Komödie wenig zu tun. Vielmehr ging es Garfield darum, einen Agentenroman zu verfassen, der ohne auch nur einen einzigen Schusswechsel Spannung aufbauen konnte. Schließlich waren in Death Wish schon genügend Schüsse gefallen.
Als feststand, dass Walter Matthau die Hauptrolle des Ex-CIA-Agenten Miles Kendig spielen sollte, wurde jedoch eines deutlich: Der Filmstoff musste unbedingt komödiantische Züge tragen. Walter Matthau als ein todernster CIA-Agent, das konnte sich nun wirklich niemand vorstellen.
Schließlich war es bereits lustig zuzusehen, wenn Walter Matthau nur quer durch einen Raum lief. Brian Garfield schaffte es, seinen Roman in einen Filmstoff mit komödiantischen Elementen zu verwandeln – ohne, dass der Geist des ursprünglichen Werkes verloren ging. Wer war besser für diesen Job geeignet als der Autor des Originalwerkes selbst?
Regisseur Ronald Neame
Agentenpoker hat seinen Charme – neben den Hauptdarstellern Walter Matthau, Ned Beatty, Glenda Jackson und Sam Waterston – vor allem einer Person zu verdanken: Dem britischen Regisseur Ronald Neame. Der Regisseur hatte seine ersten Erfahrungen in der Filmbranche als Kameramann bei Alfred Hitchcock gesammelt, später arbeitete er mit dem damals noch unbekannten Monumental-Regisseur David Lean für das Filmdrama Geheimnisvolle Erbschaft [Great Expectations, 1946] zusammen. In jeder Hinsicht lernte Ronald Neame also von den Größen der Filmwelt. Neame selbst war Sohn eines Photographen und einer Stummfilmschauspielerin – das Filmgeschäft wurde ihm also praktisch in die Wiege gelegt.
Ronald Neame schuf mit Agentenpoker ein besonderes filmisches Werk, denn er gab den beteiligten Filmschaffenden großzügige Freiheiten: Zu der Szene, in der sich Miles Kendig und seine Geliebte Isobel von Schönenburg (Glenda Jackson) in einem Salzburger Restaurant treffen, soll Walter Matthau die Dialoge selbst geschrieben haben.
Es kam nicht häufig vor, dass ein Regisseur den Darstellern solch große künstlerischen Freiräume gab – Teile des Drehbuchs zu Agentenpoker entstanden unmittelbar am Set und somit fingen die Dialoge teilweise genau die Stimmung ein, die gerade am Set zwischen den Darstellern vorherrschte.
Plädoyer für das Weintrinken
Die Dialoge von Agentenpoker sind facettenreich und geben dem Zuschauer manchen Einblick in Themen, die mit Geheimdiensten eigentlich recht wenig zu tun haben: In der Szene, in der sich von Schönenburg (Jackson) und Kendig (Matthau) in einem Restaurant in Salzburg treffen, hält Schönenburg ein Plädoyer für das Weintrinken: „Wein ist keine körperlose Essenz. Er ist Zusammenklang von Können, Wissen und in vielen Fällen Liebe. (…) Amerikaner haben so merkwürdige Ansichten über Wein. Ihr seid alle nur interessiert an Fitness und an eurer Gesundheit. Ihr denkt, Wein sei schlecht für eure Leber und euer Herz. Genau das Gegenteil ist der Fall. Gerade das Weintrinken ermöglicht es, das schwere Essen zu genießen, das so schlecht für eure Leber und euer Herz ist, denn Wein bindet Fette.“
Es ist einer jener Momente im Film, in denen man vergisst, dass sich die Handlung eigentlich um todernste Sachverhalte dreht – mit diesem Dialog begibt man sich auf eine kurze Reise in die Welt des Weintrinkens. Agentenpoker ist voller solcher Momente.
Agentenpoker – „Guter Titel“
Obwohl Glenda Jacksons Charakter der Isobel von Schönenburg nur für etwa 25 Minuten auf dem Bildschirm zu sehen ist, konnte sie keineswegs widerstehen, die Rolle anzunehmen: In der Komödie Hausbesuche [House Calls, 1978], die interessante Einblicke in das amerikanische Gesundheitssystem liefert, spielte Glenda Jackson schon einmal an der Seite von Walter Matthau.
Zwischen Matthau und Jackson herrscht auf der Leinwand eine schier perfekte Harmonie. Besonders eine Szene in Agentenpoker bleibt unvergessen: Als Miles Kendig den Dienst beim CIA quittiert, überzeugt er seine Geliebte von Schönenburg mit einem aufgesetzten traurigen Gesicht davon, ihn bei seinem riskanten Vorhaben, über seine Zeit als CIA-Agent Memoiren zu schreiben, zu unterstützen. Im Film heißt es, die ehemalige Agentin von Schönenburg habe einen „alten Nazi“ geheiratet, nun verwalte sie den Nachlass ihres verstorbenen Mannes – standesgemäß wohnt sie in einem großzügig bemessenen Haus in Salzburg. Das alles wolle sie nicht mit irgendwelchen Geheimdienst-Memoiren aufs Spiel setzen. Doch Kendigs trauriges Gesicht genügt, um sie zu überzeugen: Von Salzburg aus wird das erste Kapitel von Miles Kendigs Memoiren an Geheimdienste in aller Welt verschickt – damit war die erste Runde Agentenpoker eröffnet.
Agentenpoker ist der Titel von Kendigs geplanten Memoiren – das sei ein „guter Titel“, wie ein Flughafenangestellter gekonnt bemerkt, als Kendig gerade in England, der letzten Station seines Katz- und Maus-Spiels mit den Geheimdiensten, ankommt.
Walter Matthau und seine Vorliebe für die Oper
Doch es ist nicht nur die Geschichte und das darstellerische Können der beteiligten Schauspieler, die Agentenpoker zu einem Film der Extraklasse machen: Es ist auch die Musik, die Walter Matthau selbst für den Film ausgewählt haben soll. Ein Titelsong mit dem Charakter einer Hymne für den Film zu entwerfen, das kam nicht infrage – auf diese Weise untermalte man bereits die Verfilmungen der Agentenromane von Ian Fleming. Stattdessen bediente man sich zahlreicher Werke der Klassischen Musik und der Oper: Endlich konnte Walter Matthau seine Begeisterung für die Oper und die Klassische Musik in seine Tätigkeit als Schauspieler einbauen. Matthau galt als ein großer Kenner und Liebhaber des Operngenres – nun erhielt er die Möglichkeit, das seinem Publikum zu zeigen.
Der Film beginnt bereits auf musikalische Weise: Miles Kendig befindet sich gerade auf (seiner letzten offiziellen) Geheimmission in München, es ist gerade die Zeit des Oktoberfests. Das gut besuchte Oktoberfest, auf dem Musik nicht fehlen darf, ist ein idealer Ort für Agenten, um Informationen auszutauschen – doch CIA-Agent Miles Kendig entgeht nichts: Während er ganz unauffällig die Melodie eines deutschen Liedes nachsummt, stellt er Beweismittel sicher und fängt sogleich seinen Gegenspieler Yaskov, Westeuropa-Chef des KGB, ab.
Die Sache mit dem Figaro
Wenn der Landsitz von Kendigs ehemaligem Abteilungsleiter Myerson – ein echter amerikanischer Patriot, der jede ihm von der Politik aufgetragene Aufgabe willig ausführt und keine Demokraten mag – durch von Kendig gelegtes TNT in die Luft fliegt und dabei eine Platte mit der Arie Un bel di vedremo (vermutlich interpretiert von Montserrat Caballé) läuft, wird die Schadenfreude hier durch einen wahrhaft musikalischen Genuss ergänzt.
Walter Matthau bekam in Agentenpoker sogar die Chance, auf der Leinwand zu singen: Ein Schweizer Grenzbeamter durfte sich vom singenden Miles Kendig belehren lassen, dass es in der Welt der Oper nicht nur Mozarts Le nozze di Figaro gibt, sondern auch die Figur des Figaro aus Gioachino Rossinis Il barbiere di Siviglia. Der Grenzbeamte verwechselte nämlich die Arie des Figaro aus Il barbiere di Siviglia, die Matthau im Auto fahrend zum Besten gab, mit Mozarts Le nozze di Figaro.
Über den ganzen Film hinweg zeigt Walter Matthau mit der Musikauswahl seine besondere Vorliebe für Mozart: Mozarts Rondo in D Major, K. 382 nimmt die Position einer Titelmusik ein und verleiht dem Film einen großen Wiedererkennungswert. Kaum ein anderer Agentenfilm bedient sich in diesem Maße Klassischer Musik auf so selbstbewusste Art und Weise.
Ein besonderer Charme
Der Regisseur Ronald Neame arbeitete noch ein weiteres Mal mit Walter Matthau zusammen: Bei der Gerichtskomödie Am ersten Montag im Oktober [First Monday in October, 1981] führte Neame Regie, Walter Matthau spielte an der Seite von Jill Clayburgh die Hauptrolle. Zwar konnte Matthau hier nicht die Musik selbst auswählen, der Film ist brilliert aber ohnehin nicht durch seine Musik, sondern durch seinen gekonnten und reflektiven Humor, den kaum eine andere Gerichtskomödie bieten kann.
Agentenpoker nimmt mit seinem besonderen Charme einen einmaligen Platz in der Reihe der Agentenfilme ein: Bereits der Roman von Brian Garfield setzte Maßstäbe, indem er sich deutlich vom althergebrachten Image des Agentenromans abhob. Auf ein paar abgefeuerte Waffen konnte der Film, ganz im Gegensatz zum Roman, dann doch nicht verzichten: Der unbeholfene Apokalyptiker Myerson, wie er hilflos vom Hubschrauber aus auf ein Flugzeug feuert, in dem er Erzfeind Miles Kendig vermutet, wird aber kaum als Profischütze in die Filmgeschichte eingehen.
Miles Kendig und Isobel von Schönenburg sind jedenfalls nur daran interessiert, ein ruhiges Leben zu verbringen und einen guten Wein zum Mittagessen trinken zu können…
Beitragsbild: © Simon von Ludwig
Maßgebliche Quelle: Walter Matthau Sings! (and Other Delights of Hopscotch), 2017 auf criterion.com erschienen.