In den Dreißigern und Vierzigern konnten sich nur wenige einen Hollywood-Schauspieler vorstellen, der nicht den gängigen Stereotypen entsprach: Der Stereotyp eines Hollywood-Stars war eng definiert und jemand, der asiatischer Abstammung war, kam prinzipiell nicht infrage für große Rollen. Die mit Keye Luke befreundete Schauspielerin Anna May Wong war eine der wenigen asiatisch-amerikanischen Schauspielerinnen, die es zu Erfolg bringen konnten: Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg war jedoch auch die Karriere von Wong, der wohl bedeutendsten asiatisch-amerikanischen Schauspielerin des goldenen Zeitalters von Hollywood, vorüber. Doch für Luke war ein solches Schicksal nicht vorgesehen: Er sollte einen anderen Weg als seine Freundin Anna May Wong gehen…
Denn die Traumfabrik Hollywood beschäftigte schon damals nicht nur Schauspieler: Hinter den Kulissen sind heute wie damals unzählige Menschen damit beschäftigt, auf der Leinwand Träume wahr werden zu lassen. Bevor Keye Luke auch nur eine einzige Filmkamera in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte, arbeitete er als Künstler für Werbetafeln und als Karikaturist, der Layouts für Kinowerbeplakate und Zeitungen entwarf.
Die Kunst gab Luke im Laufe seiner Leinwandkarriere nie ganz auf: Unter anderem entwarf der Schauspieler neben seiner Filmkarriere Buchumschläge. 

Keye Lukes Figur des Lee Chan war solch ein Erfolg, dass man die Figur zu einem wiederkehrenden Charakter in der Filmserie machte.

Erste Rollen und Charlie Chan

Eines Tages soll ein MGM-Produzent nach einem chinesischen Schauspieler gesucht haben, der gut englisch sprechen konnte: Luke, der zwar in China geboren war, aber in den USA aufgewachsen war, erschien als geeigneter Kandidat. Durch seine Tätigkeit als Künstler für verschiedene Filmverleihe war Keye Luke kein gänzlich unbekannter Name im Showbusiness. Mitte der Zwanziger Jahre war er außerdem für die Innenmalereien des Grauman’s Chinese Theatre in Los Angeles verantwortlich.
So kam es, dass Keye Luke im Greta Garbo-Film Der bunte Schleier [The Painted Veil, 1934] zum ersten Mal in einer Nebenrolle spielte. Es war der erste von weit über hundert Filmen, in denen Keye Luke im Laufe seiner Karriere mitspielen sollte.
Kurz nach seinem Leinwanddebüt erhielt Keye Luke seine erste größere Rolle: Luke sollte die Rolle von Charlie Chans ältestem Sohn Lee Chan in Charlie Chan in Paris (1935) spielen. Die Figur des aus Honolulu stammenden Polizeidetektivs Charlie Chan wurde von Earl Derr Biggers erschaffen und die zugehörige Filmserie erfreute sich in den Dreißigern großer Beliebtheit. Keye Lukes Figur des Lee Chan war solch ein Erfolg, dass man die Figur zu einem wiederkehrenden Charakter in der Filmserie machte. Insgesamt spielte Luke sieben Mal an der Seite des schwedisch-amerikanischen Schauspielers Warner Oland die Rolle des ältesten Sohnes von Charlie Chan. 

Repräsentation von US-Amerikanern asiatischer Abstammung

In vielen US-amerikanischen Staaten waren sogenannte „Mischehen“ bis in die Sechziger hinein verboten: Folglich war auch jede Darstellung auf der Leinwand von entsprechenden Verhältnissen unerwünscht. Als sich Keye Luke auf dem Höhepunkt seiner Hollywood-Karriere befand, war es aufgrund dieser Tatsache schlicht nicht möglich, dass er eine Hauptrolle in einem romantischen Film an der Seite einer Hollywood-Schauspielerin spielen würde.
Keye Luke sah es als eines seiner Karriereziele an, die Stigmatisierung von US-Amerikanern asiatischer Abstammung zu beenden. In einem Interview formulierte der Schauspieler einst rückblickend auf seine Karriere:
„Der chinesische Wäschereiangestellte und der japanische Gärtner [Anm.: im frühen Hollywood wurden solche Rollen gerne mit Menschen asiatischer Abstammung besetzt] sind zwar immer noch unter uns, aber die meisten Chinesen und Japaner gehören heute zum Mainstream des amerikanischen Lebens.“
[Originalzitat: “The Chinese laundryman and the Japanese gardener may still be with us, but most Chinese and Japanese now find themselves in the mainstream of American life.”]
Bis heute spiegelt die Kinokultur wider, was in einer Gesellschaft passiert und welche Brennpunkte es gibt: Eine größere Repräsentation von Menschen asiatischer Abstammung in Hollywood-Projekten bedeutete automatisch, dass diese Bevölkerungsgruppe im Alltag vollkommen anders wahrgenommen wurde. Hätte man hingegen weiterhin einem Schauspieler asiatischer Abstammung nur die Rolle des Gärtners oder Wäschereiangestellten gegeben, hätte sich die öffentliche Wahrnehmung einer ganzen Völkergruppe im Kollektivbewusstsein der „westlichen Welt“ wohl nie geändert. 

Kung Fu

Ende der Sechziger begann Keye Luke, in Fernsehserien mitzuspielen: Die wohl bedeutendste Fernsehserie, in der Luke mitspielte, war Kung Fu (1972 – 1975). In der Serie schlüpfte Luke in die Rolle des Meister Po. Die Fernsehserie erfreute sich in den Siebzigern großer Beliebtheit und Lukes Charakter avancierte zu einem Phänomen der Popkultur.
Keye Luke bezeichnete Kung Fu einmal als die wichtigste Arbeit seiner Schauspielkarriere, denn er konnte mit der Serie einem amerikanischen Publikum, das von der chinesischen Kultur bislang noch gar nichts gehört hatte, einen Einblick in die chinesische Kung Fu-Kultur verschaffen. Die Fernsehserie Kung Fu markierte den Beginn einer langen Reihe von Filmen und Serien rund um das Thema Kung Fu. Das Interesse an verschiedenen Formen des chinesischen Kampfsportes hält bis heute an: Das ist unter anderem Keye Luke zu verdanken, der die Chance nutzte und mit seiner Rolle des Meister Po das öffentliche Interesse an einem Teil der chinesischen Kultur weckte.
Zu der Zeit, als Keye Luke noch im alten Hollywood-Studiosystem arbeitete, wurde er gerne in den Rollen von Doktoren, Geschäftsmännern und Anwälten besetzt. Das Ziel war es, ihn als den „chinesischen US-Amerikaner von nebenan“ zu portraitieren. In den späteren Jahren seiner Karriere änderte sich das: Ihm wurde die Möglichkeit geboten, der Öffentlichkeit Teile der chinesischen Kultur vorzustellen, für die sich sonst niemand interessiert hätte. 

Keye Luke sah sich nicht nur als Schauspieler, sondern als ein Botschafter der Kultur, aus der er ursprünglich stammte.

Botschafter seiner eigenen Kultur 

Keye Luke gehörte zur ersten Generation von US-amerikanischen Schauspielern asiatischer Abstammung überhaupt: Er spielte im Laufe seiner Karriere nicht nur die Rolle des „netten Chinesen von nebenan“, mit vielen seiner späteren Rollen fand die chinesische Lebensphilosophie und Kultur Eingang in seine Arbeit für die Leinwand.
Späte bedeutende Rollen von Keye Luke umfassten unter anderem die Rolle des Großvaters in Gremlins – Kleine Monster [Gremlins, 1984] und der Fortsetzung Gremlins 2 – Die Rückkehr der kleinen Monster [Gremlins 2 – The New Batch, 1990].
Wenn sich Keye Luke in seiner frühen Karriere nicht den gängigen Hollywood-Stereotypen unterworfen hätte und den strengen Vorstellungen des Hollywood-Systems entsprochen hätte, wäre die Situation für Hollywood-Schauspieler asiatischer Abstammung heute wohl um einiges schwieriger: Keye Luke sah sich nicht nur als Schauspieler, sondern als ein Botschafter der Kultur, aus der er ursprünglich stammte. Luke ist das Paradebeispiel eines US-Amerikaners chinesischer Abstammung, der sich in die vorherrschenden Verhältnisse perfekt integrierte und ab einem gewissen Punkt in seiner Karriere durch seine Rollen zum Botschafter seiner eigenen Kultur avancierte, welcher er stets verbunden blieb.

Simon von Ludwig


Maßgebliche Quellen: Ein Artikel in tgnreview.com und Keye Lukes Eintrag bei filesofjerryblake.com.

Beitragsbild: Keye Luke 1976 in Amsterdam anlässlich einer Pressekonferenz zum Film „The Amsterdam Kill“ (u.a. Robert Mitchum in der Hauptrolle)
Bildnachweis: Fotograaf Suyk, Koen / Anefo, Nationaal Archief, CC0


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