Seine Karriere begann als Ghostwriter im Berlin der Zwanziger Jahre: Zwischen 1927 und 1929 soll Wilder an fast fünfzig Skripten für Stummfilme gearbeitet haben. Hätte er sich in jungen Jahren nicht dazu bereiterklärt, als Ghostwriter tätig zu sein, hätte er es vermutlich nie zu einem angesehenen Filmschaffenden gebracht. Man erkannte durchaus das Talent des jungen Billy Wilder an, doch die Filmindustrie setzte damals auf bekannte Namen, an welche man die Aufträge für das Verfassen von Skripten und Drehbüchern vergab. Oftmals wurden diese Drehbücher jedoch gar nicht von der Person verfasst, die dafür die Nennung erhielt. Viele Kollegen aus dem Berufsumfeld des jungen Billy Wilder erhielten nie einen Auftrag, für den sie im Abspann eines Films genannt wurden – es ist kaum abzuschätzen, wie viele große Schreibtalente damals über den Status eines Ghostwriters nie hinauskamen.
Doch Billy Wilder sollte es schaffen, sich als „ernsthafter“ Drehbuchautor und später auch Regisseur zu behaupten… 

Emil und die Detektive

Während seiner Zeit im Berlin der Zwanziger traf Billy Wilder unter anderem Persönlichkeiten wie Marlene Dietrich, die später in zwei seiner Filme die Hauptrolle spielen sollte.
Dass Wilder später häufig Filme rund um das Thema Journalismus und Berichterstattung drehte, hatte einen Grund: Nachdem Wilder ein Jahr lang an der Universität von Wien Jura studiert hatte, brach er sein Studium ab, um als Sportreporter bei einer Wiener Zeitung zu arbeiten. Wenig später interessierte sich eine Zeitung in Berlin für das junge Schreibtalent: Die Schreiberfahrung, die der junge Wilder im Berlin der späten Zwanziger sammelte, sollte sich später als sehr wertvoll erweisen.
1930 bot sich für den jungen Wilder ein Ausweg aus dem beruflichen Dasein als Ghostwriter: Beim Film Menschen am Sonntag (1930) wurde Billy Wilder zum ersten Mal als Drehbuchautor genannt. Der Film wurde mit einem sehr geringen Budget realisiert: Einer der assistierenden Kameramänner war Fred Zinnemann, der später selbst eine sehr erfolgreiche Karriere als Regisseur in Hollywood verfolgte. 1931 verfasste Wilder gemeinsam mit dem sehr erfolgreichen Jugendbuchautor Erich Kästner das Drehbuch zur Verfilmung von Emil und die Detektive (1931).

Im französischen Film Mauvaise Graine (1934) wurde Wilder zum ersten Mal als Co-Regisseur genannt.

Erste Regiearbeit

Ursprünglich war Billy Wilder gar kein Regisseur, sondern ein ein Drehbuchautor: Dass Wilder überhaupt Regie führte, war zunächst eine Notlösung. Nachdem Billy Wilder 1933 nach Frankreich ausgewandert war, fing der junge Drehbuchautor praktisch bei Null an: In Berlin hatte er sich mittlerweile einen Ruf erarbeitet, doch infolge des Regimewechsels sah es der junge Wilder als unumgänglich an, Deutschland unmittelbar zu verlassen. Im französischen Film Mauvaise Graine (1934) wurde Wilder zum ersten Mal als Co-Regisseur genannt. Billy Wilder übernahm den Posten des Co-Regisseurs hauptsächlich aus finanziellen Gründen, da die Anstellung eines Regisseurs das sehr magere Budget des unabhängig produzierten Films gesprengt hätte.
Im Januar 1934 verließ Billy Wilder Europa: An Bord der Aquitania reiste er nach New York. Joe May, ein Bekannter Wilders und einer der Pioniere des deutschen Films, war mittlerweile nach Hollywood ausgewandert: In seiner Funktion als Produzent bei den Columbia Pictures konnte May seinen Freund Wilder nach Hollywood holen, um ihm dort Karrierechancen zu bieten. Billy wurde bereits von seinem älteren Bruder in New York erwartet: Er war bereits einige Zeit zuvor in die Vereinigten Staaten ausgewandert und hatte sich ein erfolgreiches Geschäft aufgebaut. 

„Dann schreiben Sie mal lieber ein paar gute Drehbücher…“

In Hollywood angekommen, stand Wilder zunächst vor einem Problem: Er beherrschte ausschließlich die deutsche und die französische Sprache. Beide Sprachen spielten jedoch im Alltagsbetrieb von Hollywood so gut wie keine Rolle – Wilder soll sich englisch beigebracht haben, in dem er den Radioübertragungen von Baseballspielen zugehört habe und das Kino besucht habe.
Die Sprachbarriere verhinderte bis auf Weiteres, dass Billy Wilder in Hollywood Fuß fassen konnte: Sein sechsmonatiger Vertrag mit Columbia Pictures lief aus und damit seine temporäre Aufenthaltsgenehmigung für die Vereinigten Staaten. In der Folge ging Wilder nach Mexiko, um von dort aus ein Visum für die USA zu beantragen – die Quote für europäische Einwanderer war bereits gesättigt. Der zuständige Konsul war kritisch und fragte Wilder, wie er denn seinen Lebensunterhalt verdienen wolle. Wilder antwortete entschieden, er habe vor, Drehbücher zu schreiben. Der Konsul soll selbst ein Kinofan gewesen sein und entließ Wilder mit einem Visum für die Vereinigten Staaten, begleitet von den Worten: „Dann schreiben Sie mal lieber ein paar gute Drehbücher…“

Bei Paramount wurden zu dieser Zeit zahlreiche Exilanten unter Vertrag genommen.

Professionelle Ehe

Nachdem Billy Wilder verschiedene Hollywood-Studios abgeklappert hatte, erhielt er 1936 schließlich einen Vertrag mit Paramount Pictures: Bei Paramount wurden zu dieser Zeit zahlreiche Exilanten unter Vertrag genommen: Deshalb wurde das Gebäude am Paramountgelände, in dem die Autoren untergebracht waren, „Turm von Babel“ getauft.
1939 war Billy Wilder am Drehbuch zum Greta Garbo-Film Ninotchka (1939) beteiligt: Gemeinsam mit Charles Brackett und Walter Reisch verfasste er das Drehbuch. Charles Brackett und Billy Wilder verfassten in den Dreißigern und frühen Vierzigern zahlreiche Drehbücher gemeinsam – Paramount Pictures regte die Partnerschaft zwischen den beiden Autoren an.
1942 einigten sich die beiden Filmschaffenden Brackett und Wilder auf ein neues Arrangement: Wilder sollte Regie führen und Brackett sollte produzieren. Wilder beschrieb diese Zusammenarbeit einmal als eine Art „professionelle Ehe“ – damit eine solche professionelle Kooperation Früchte trug, mussten viele Faktoren stimmen.
Das Major und das Mädchen [The Major and the Minor, 1942] war Billy Wilders erste Regiearbeit in Hollywood: Ginger Rogers und Ray Milland spielten die Hauptrollen, Charles Brackett verfasste gemeinsam mit Wilder das Drehbuch. 

Boulevard der Dämmerung

In den Vierzigern realisierte Billy Wilder noch zahlreiche weitere hochkarätige Filmprojekte: Besonders hervorzuheben sind dabei die Filmprojekte Fünf Gräber bis Kairo [Five Graves to Cairo, 1943] und Eine auswärtige Affäre [A Foreign Affair, 1948] mit Marlene Dietrich in der Hauptrolle. Eine auswärtige Affäre spielt im zerstörten Nachkriegsberlin und fängt die Atmosphäre, wie sie damals vorherrschte, wie kaum ein anderer Film dieser Ära ein. Im vom Wilder realisierten Filmmusical Ich küsse Ihre Hand, Madame [The Emperor Waltz, 1948] spielte Bing Crosby die Hauptrolle.
Die 1950er begann Billy Wilder mit einem der hochkarätigsten Filmprojekte seiner ganzen Karriere: In Boulevard der Dämmerung [Sunset Boulevard, 1950] feierte der Stummfilmstar Gloria Swanson ihr großes Comeback. Der Film setzt sich auf kritische und sarkastische Art und Weise mit dem Mythos der Traumfabrik Hollywood auseinander, Wilder inszenierte mit dem Film eines der größten Meisterwerke Hollywoods. Mit Reporter des Satans [Ace in the Hole, 1951], in dem Kirk Douglas die Hauptrolle spielte, folgte ein weiteres, bedeutendes Filmprojekt. Für den Film Reporter des Satans, der insbesondere den Sensationsjournalismus sehr kritisch beleuchtet, griff Wilder auf seine langjährige Erfahrung als Journalist im Berlin der Zwanziger zurück. 

Monroe verdankte einen Großteil ihres Images der Regiearbeit von Billy Wilder.

Leinwandlegenden

Bei den Dreharbeiten zu Zeugin der Anklage [Witness for the Prosecution, 1957] führte Billy Wilder zum zweiten Mal bei einem Film die Regie, in dem Marlene Dietrich die Hauptrolle spielte. Das Gerichtsdrama versteht es, den Zuschauer bis zum Ende der Handlung über den genauen Tathergang im Unklaren zu lassen und fesselt den Zuschauer an den Kinosessel.
Die beiden Kollaborationen mit Marilyn Monroe Das verflixte 7. Jahr [The Seven Year Itch, 1955] und Manche mögen’s heiß [Some Like it Hot, 1959] blieben dem Kollektivgedächtnis in besonderer Erinnerung. Monroe verdankte einen Großteil ihres Images der Regiearbeit von Billy Wilder: Unter seiner Regie erklomm die einmalige Schauspielerin den Höhepunkt ihrer Hollywood-Karriere.
Die Komödie Manche mögen’s heiß, die Marilyn Monroe, Jack Lemmon und Tony Curtis in den Hauptrollen versammelte, gilt bis heute als ein Paradebeispiel des Genres. 

Jahrhundertregisseur

Billy Wilder verewigte sich mit seinen Regiearbeiten und zählt zu den einflussreichsten Regisseuren des 20. Jahrhunderts: Offensichtlich nahm sich Wilder den Ratschlag jenes Konsuls, der ihm Mitte der Dreißiger ein Visum für die USA ausstellte, zu Herzen („Dann schreiben Sie mal lieber ein paar gute Drehbücher…“). Wilder schrieb mehr als nur ein paar „gute Drehbücher“ – und er führte Regie bei einigen der beeindruckendsten Filmwerke des letzten Jahrhunderts. Er instruierte die Leinwandlegenden Marlene Dietrich und Marilyn Monroe und verhalf insbesondere Marlene Dietrich durch die beiden Filme Eine auswärtige Affäre und Zeugin der Anklage zu einer erfolgreichen Nachkriegskarriere. Nur wenige Regisseure verstanden es, Leinwandlegenden wie Marlene Dietrich perfekt in Szene zu setzen – Billy Wilder zählte zu ihnen.
Billy Wilder legte eine beispiellose Karriere hin: Am Anfang seiner Karriere stand nicht einmal fest, ob er jemals über den Status eines Ghostwriters hinauskommen würde. Dass er einmal als Jahrhundertregisseur gelten würde, damit hatte er vermutlich nie gerechnet. 

Simon von Ludwig


Beitragsbild: © Simon von Ludwig

Maßgebliche Quelle: Phillips, Gene D.: Some Like It Wilder – The Life and Controversial Films of Billy Wilder, 2010 The University Press of Kentucky


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