Fortsetzung von Teil eins

Nachdem Greta Garbo ihren Förderer Mauritz Stiller verloren hatte, schien die Lage zunächst aussichtslos für die Schauspielerin: Zwar stand sie bei MGM unter Vertrag, doch das garantierte keineswegs einen langfristigen Erfolg als Schauspielerin.
Ende der Zwanziger traf Greta Garbo den Schauspieler John Gilbert: Die beiden spielten in verschiedenen Filmen gemeinsam, darunter in Eine schamlose Frau [A Woman of Affairs, 1928]. In der ausklingenden Stummfilmära Ende der Zwanziger waren Gilbert und Garbo ein gefragtes Darstellerpaar.
Zweifellos hatte Greta Garbo großes Glück, die Bekanntschaft von John Gilbert zu machen: Nicht nur harmonierten die beiden vor der Kamera perfekt miteinander, Gilbert vermittelte der Außenseiterin Garbo zahlreiche wertvolle Kontakte im Showbusiness. So vermittelte Gilbert seiner Freundin den Businessmanager und Agenten Harry Edington, der sie fortan beriet und unterstützte. So kam es, dass Greta Garbo bis 1933 ihre Karriere bei MGM in den Griff bekam.
„Wenn sie möchten, dass ich spreche, werde ich sprechen.“, sagte Greta Garbo Ende der Zwanziger: Die Ära der Stummfilme war vorüber, der Tonfilm war nun der Stand der Dinge. 

Greta Garbo bereitete sich frühzeitig auf den Tonfilm vor und schulte ihre englische Aussprache.

“Garbo talks!“

Als zum ersten Mal ein Tonfilm mit Greta Garbo in der Hauptrolle in die Kinos kam, war das Kinopublikum gespannt darauf, wie die Stimme der Schauspielerin klingen würde: Passte ihre Stimme überhaupt zum Image, das man der Garbo verliehen hatte?
Ihre erste Rolle in einem Tonfilm in Anna Christie (1930) kam der Schauspielerin ein wenig entgegen: Die Hauptfigur Anna Christie, von Garbo gespielt, wurde von schwedischen Verwandten auf einer Farm in Minnesota großgezogen. Die Rolle der Anna Christie konnte Greta Garbo mit ihrem leichten schwedischen Akzent perfekt ausfüllen.
Das mit Spannung erwartete Tonfilmdebüt der Garbo – der Slogan “Garbo talks!“ war in allen Zeitungen zu lesen – wurde ein voller Erfolg für die Schauspielerin. Das war keineswegs eine Selbstverständlichkeit in Hollywood: Viele Stars, die ihre Karriere in der Stummfilmzeit begonnen hatten, konnten ihre Karriere mit dem Aufkommen des Tonfilms nicht fortsetzen. Doch Greta Garbo bereitete sich frühzeitig auf den Tonfilm vor und schulte ihre englische Aussprache: Garbos leicht rau klingende Kontra-Alt-Stimme passte perfekt zu dem Image, das man auf der Leinwand bisher von ihr gezeichnet hatte. 

Salka Viertel

Damals war es üblich, vom gleichen Film mehrere Versionen in verschiedenen Sprachen zu drehen: So wurde von Anna Christie nicht nur eine englischsprachige Version gedreht, sondern auch eine deutschsprachige. Man synchronisierte den Film also nicht für den deutschsprachigen Markt, sondern änderte das Drehbuch ab und verpflichtete auch andere Schauspieler, um den Film auf das jeweilige Land abzustimmen.
Garbo soll später wiederholt gesagt haben, dass sie in der deutschsprachigen Version von Anna Christie unter der Regie von Jacques Feyder eine ihrer besten schauspielerischen Leistungen überhaupt abgeliefert habe. In der deutschsprachigen Version ist die Präsenz der Garbo mit weniger Pathos aufgeladen und ihre Erscheinung wirkt natürlicher und entspannter als in der englischen Version.
Bisher war Greta Garbo vollkommen isoliert in der Welt von Hollywood: Für die Schwedin, die weit weg von ihrer Heimat war, gab es in Kalifornien wenig, das die Schauspielerin an ihre Heimat erinnerte. 1929 stellte ihr der Regisseur Feyder die Frau des deutschen Schriftstellers Berthold Viertel, Salka Viertel, vor. Salka Viertel spielte ebenfalls eine Rolle in der deutschen Version von Anna Christie.
Salka Viertel und Greta Garbo blieben für den Rest ihres Lebens miteinander befreundet – in den folgenden Jahren veranstaltete Garbo immer wieder Treffen in ihrem Haus, bei denen sich deutsche und schwedische Emigranten trafen.

„Sie schien überempfindlich zu sein, obwohl sie eine stählerne Widerstandskraft besaß.“, schrieb Salka Viertel über ihre Freundin Greta Garbo.

Gottlieb, Robert: Garbo, 2021 Farrar, Straus & Giroux

Greta Garbo war nicht die Art von Hollywood-Star, die häufig Parties oder andere Anlässe besuchte: Vielmehr bevorzugte sie intellektuelle Treffen in ihren eigenen vier Wänden, um sich über deutsche und schwedische Literatur zu unterhalten. Das mag auch erklären, weshalb sie sich besonders gut mit Salka Viertel verstand. 

Historienrollen

Mittlerweile reichte es aus, den Namen Garbo zu nennen und jedermann wusste, um wen es geht: Der Nachname, der ihr von Mauritz Stiller verliehen wurde, war mittlerweile zum Zugpferd für jede Filmproduktion avanciert und war in aller Welt bekannt.
Obwohl sie in der Literaturverfilmung des gleichnamigen Romans von Vicki Baum Menschen im Hotel [Grand Hotel, 1932] nur eine relativ kleine Rolle hatte, führte sie die Starbesetzung des Films souverän an: Bei Menschen im Hotel handelte es sich um den ersten Hollywood-Film überhaupt, der fast ausschließlich mit Stars besetzt wurde.
1933 spielte Greta Garbo in Königin Christine [Queen Christina] eine der wichtigsten Rollen ihrer Karriere. Garbo schlüpfte in die Rolle der Königin Christine von Schweden (1626 – 1689), die nach dem Tod ihres Vaters den schwedischen Thron besteigt. Salka Viertel war am Drehbuch des Films beteiligt.
Es war der letzte von insgesamt vier Filmen, in dem Greta Garbo gemeinsam mit John Gilbert spielte. Das öffentliche Interesse an der Beziehung zwischen John Gilbert und Greta Garbo, die sich auch außerhalb der Filmsets abspielte, war maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Schauspielerin im Laufe der späten Zwanziger und frühen Dreißiger in die Schlagzeilen wanderte.

Ahnte sie womöglich, dass sie durch jene zeitlosen, historischen Rollen fast ein ganzes Jahrhundert später immer noch in Erinnerung bleiben würde?

Die Garbo auf dem Höhepunkt ihrer Karriere

Der Garbo-Biograph Mark Vieira erklärt in seiner Biographie über die Schauspielerin, dass Greta Garbo „nach 1933 die Höhepunkte ihres künstlerischen Schaffens erreichte, aber nicht mehr den durchschnittlichen Kinogeher erreichte.“ [Original: “After 1933, she would reach the heights of her artistry, but she would never again reach the average movie fan.“]: Das spiegelte sich bereits in der Tatsache wider, dass Königin Christine in Europa weitaus erfolgreicher war als in Amerika, wo das Publikum von der schwedischen Monarchie kaum etwas wusste.
Fortan spielte Greta Garbo häufiger historische Rollen, mit denen sie ihr Image noch mehr festigte: Ihre Rolle in der Literaturverfilmung Anna Karenina (1935), die auf dem gleichnamigen Roman von Leo Tolstoi basierte, spielte Garbo die Hauptrolle. Obwohl der Schauspielerin zu jener Zeit andere Angebote vorlagen, entschied sie sich trotzdem für historische Rollen: Ahnte sie womöglich, dass sie durch jene zeitlosen, historischen Rollen fast ein ganzes Jahrhundert später immer noch in Erinnerung bleiben würde?
In den Dreißigern spielte Garbo in zwei weiteren Filmen mit, die ihr Erscheinungsbild für die Nachwelt maßgeblich bestimmten: Im Film Die Kameliendame [Camille, 1936], der auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Alexandre Dumas basierte, spielte Greta Garbo die Hauptrolle. Ihr vorletzter Film überhaupt, Ninotschka [Ninotchka, 1939] war Garbos letzter großer Erfolg beim Publikum und an den Kinokassen. 

Einsame Spitze

„Was gibt es Schlimmeres, als einen Kinostar zu spielen?“ [Original: „What could be worse than playing a movie star?“], sagte Greta Garbo später, als sie gefragt wurde, weshalb sie im Alter von 36 Jahren aufhörte, als Schauspielerin zu arbeiten. 1941 erschien der letzte Film mit Greta Garbo in der Hauptrolle. Sich selbst zu spielen, das kam für Garbo nie in Frage. Sie wusste genau, dass alle spätere Rollen, die sie womöglich hätte spielen können, nur noch ein Nachhall dessen gewesen wären, was einmal war. Mit dem Ende der Dreißiger war die Ära der Greta Garbo vorbei.
Seitdem Garbo Mitte der Zwanziger nach Hollywood gekommen war, hatte sich die Filmstadt extrem verändert: Den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm meisterte Garbo ohne Weiteres, aber die Erwartungen, die man an Hollywood-Stars stellte, änderten sich spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg gravierend. Greta Garbo hatte im Laufe ihrer Karriere das typische „Hollywood-Spiel“ nie gespielt: Im Privaten wie im Beruf war Garbo immer eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die sich niemals hundertprozentig an die Erwartungen anderer anglich.
Greta Garbo hatte Charakter. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ihr Name bis heute in aller Welt wie kein anderer Name für einzigartige Filmkunst steht.

Simon von Ludwig


Maßgebliche Quelle: Gottlieb, Robert: Garbo, 2021 Farrar, Straus & Giroux

Beitragsbild: © Simon von Ludwig


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