Er war einer der einflussreichsten Regisseure aller Zeiten, der für seine Arbeit als Regisseur niemals mit einem Academy Award ausgezeichnet wurde: Am bekanntesten ist von Sternberg ohne Frage für seine gemeinsame Arbeit mit der deutsch-amerikanischen Schauspielerin Marlene Dietrich – von Sternberg gilt als der Entdecker von Marlene Dietrich für den Hollywood-Film. Die sieben Filme, in denen Marlene Dietrich unter Josef von Sternberg spielte, bildeten die Grundlage für das spätere Image der Dietrich. Später sagte Marlene Dietrich immer wieder, sie habe nie wieder einen Regisseur wie Josef von Sternberg getroffen, der jedes Detail seiner Arbeit perfekt beherrscht haben soll. Er habe nicht nur ein Auge für das gehabt, was sich vor der Kamera abspielte, sondern er habe – insbesondere im Falle von Marlene Dietrich – seine Schauspieler geformt und ihnen ein Image verliehen, das sie für den Rest ihrer Karriere begleitete. Dabei spielte jedes noch so kleine Detail eine Rolle – angefangen mit der Beleuchtung am Filmset, über die Auswahl der Requisiten bis hin zu den Kostümen der Hauptdarsteller: Josef von Sternberg hatte seine eigene Vision vom Film. 

„Man spürt die Luft in jedem Raum.“ – Riefenstahl über von Sternbergs Regieführung

(Riefenstahl 2000, S. 119)

Leni Riefenstahl und Josef von Sternberg

Es spielte für ihn auch keine Rolle, wie oft eine Szene erneut gedreht werden musste, bis das gewünschte Ergebnis erzielt wurde: Was die Arbeit am Filmset anging, soll Josef von Sternberg den Aufzeichnungen zufolge ein absoluter Perfektionist gewesen sein. 

Die Regisseurin Leni Riefenstahl schildert in ihren Memoiren ihre erste Begegnung mit Josef von Sternberg in Berlin, aus der sich eine lang währende Freundschaft entwickeln sollte: Riefenstahl sah den Stummfilm Die Docks von New York [The Docks of New York, 1928] im Kino und soll daraufhin beschlossen haben, den Regisseur höchstpersönlich zu treffen. Man möchte es nicht anders erwarten von Leni Riefenstahl, die damals bereits mit dem Regisseur und Filmpionier Arnold Fanck zusammenarbeitete, dass sie dieses Vorhaben in die Tat umsetzte: „Man spürt die Luft in jedem Raum“ (Riefenstahl 2000, S. 119), soll Riefenstahl ihren Memoiren zufolge im Gespräch mit von Sternberg im Berliner Hotel Bristol gesagt haben und den Regisseur damit sehr beeindruckt haben. Es hatte einen ganz speziellen Grund, weshalb Josef von Sternberg Ende der 1920er gerade in Berlin war… 

Der blaue Engel

In den Babelsberger UFA-Studios wurde gerade das Filmprojekt Der blaue Engel [The Blue Angel, 1930] realisiert – der Film wurde gleichzeitig in einer deutschen und in einer englischen Version gedreht. Heute gilt dieser Film als einer der ersten Klassiker des Tonfilms: Als Vorlage für den Film diente der Roman Professor Unrat von Heinrich Mann. In ihren Memoiren gibt Leni Riefenstahl an, dass von Sternberg gegenüber ihr äußerte, eine ganze Weile nach einer geeigneten Hauptdarstellerin für die Rolle der Lola Lola, gesucht zu haben: Die Varietésängerin Lola Lola verführt den Professor Immanuel Rath (gespielt von Emil Jannings) und führt ihn in den Abgrund – es war nicht einfach, für diese Rolle eine geeignete Besetzung zu finden, denn es war in vielerlei Hinsicht ein neuer Rollentypus. Der Tonfilm war noch relativ neu, wegen der vereinbarten englischen und deutschen Version des Films brauchte man außerdem eine Schauspielerin, die beide Sprachen leinwandreif beherrschte. 

Glaubt man den Ausführungen Leni Riefenstahls, sollen von Sternberg und die angehende Regisseurin damals während ihrem Gespräch im Berliner Bristol auf Marlene Dietrich zu sprechen gekommen sein – im Laufe jenes Gesprächs soll Riefenstahl geäußert haben, dass die junge Dietrich womöglich genau der richtige Typ für die Rolle der Lola Lola sein könnte… 

Das Gespann Dietrich-von Sternberg

Ob der jungen Leni Riefenstahl damals bewusst war, dass sie mit dieser Empfehlung vermutlich einem der künstlerisch ertragreichsten Gespanne aus Regisseur und Schauspieler der Filmgeschichte den Startschuss gab? Josef von Sternberg soll Leni Riefenstahl wenig später dazu eingeladen haben, mit ihm nach Hollywood zu gehen – Riefenstahl lehnte ab, zu ihrem späteren Bedauern. Dafür wählte eine andere Schauspielern den gemeinsamen Weg mit Josef von Sternberg und siedelte nach Hollywood über: Nachdem abzusehen war, welch großer Erfolg Der blaue Engel sein würde, bekam Marlene Dietrich das Angebot von den Paramount Studios, gemeinsam mit Josef von Sternberg in Hollywood Filme zu drehen. In den Dreißigern lässt sich die professionelle Karriere von Marlene Dietrich und Josef von Sternberg praktisch gemeinsam erzählen – das Gespann drehte zahlreiche Filme, die heute als Klassiker gelten und einen integralen Bestandteil der Filmgeschichte darstellen. Zu den bekanntesten Filmen, die Dietrich und von Sternberg gemeinsam realisierten, zählen Marokko [Morocco, 1930], Shanghai-Express (1932) und Die scharlachrote Kaiserin [The Scarlet Empress, 1934]. 

Oft heißt es, Genie und Wahnsinn seien zwei Seiten derselben Medaille.

Josef von Sternberg: Trilby?

Josef von Sternberg sah sich fortan als Wächter des öffentlichen Images „seiner“ Schauspielerin Marlene Dietrich an – „Du Svengali – Ich Trilby“ (Dietrich 1987, S. 102), benannte Marlene Dietrich das Kapitel über Josef von Sternberg in ihren Memoiren. Diese Umschreibung geht zurück auf den Roman des englischen Schriftstellers George du Maurier Trilby

Die Bezeichnung Svengali wurde im Laufe der Zeit zum Synonym für einen „Hypnotiseur“, der im Hintergrund agiert und eine Persönlichkeit aus Kunst und Musik, unter anderem durch Manipulation, auf ihren Weg an die Spitze bringt. Um nichts anderes dreht sich auch George du Mauriers Trilby – doch, bei aller Manipulation: Am Ende bleibt die Frage, welchen Weg Marlene Dietrich gegangen wäre, hätte sie nicht Josef von Sternberg getroffen und wäre mit ihm nicht in die Vereinigten Staaten gegangen. Oft heißt es, Genie und Wahnsinn seien zwei Seiten derselben Medaille – auf Josef von Sternberg mag dies gleichermaßen zugetroffen haben wie auf viele andere Genies in ihren Feldern. 

Die Vision vom Film

Mitte der Dreißiger veränderte sich Hollywood und auch die Sehgewohnheiten des Publikums, das in die Kinosäle strömte: Die letzte Zusammenarbeit von Marlene Dietrich und Josef von Sternberg Der Teufel ist eine Frau [The Devil Is a Woman, 1935] wurde ein Flop und Paramount trennte sich vom Regisseur Josef von Sternberg. Für Marlene Dietrich wurde die Zeit nach Josef von Sternberg nicht besonders einfach – sie hatte denjenigen verloren, der ihr Image geschaffen hatte. Von Sternberg erging es nicht gerade besser – wenn man so will, war seine Karriere als Regisseur nach seiner professionellen Trennung von Marlene Dietrich praktisch vorüber. Zwar drehte er einige weitere Filme, darunter auch den japanischen Film Die Sage von Anatahan [The Saga of Anatahan, 1953], ein Projekt, das von Sternberg sehr am Herzen gelegen haben soll, doch an seine Erfolge mit Marlene Dietrich knüpfte er nie wieder an. 

Es steht außer Frage, dass Josef von Sternberg seinen festen Platz in der Riege der einflussreichsten Regisseure des 21. Jahrhunderts einnimmt: Seine einmalige Bildsprache und die filmische Harmonie seiner Filme sind das Zeugnis eines Regisseurs, der sein Handwerk perfekt beherrschte und es verstand, seine Vision vom Film umzusetzen.

Simon von Ludwig


Beitragsbild: © Simon von Ludwig

Maßgebliche Quellen: Dietrich, Marlene: Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin, 1987 Ullstein Verlag & Riefenstahl, Leni: Memoiren, 2000 Taschen


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