2023 wird das 24-Stunden-Rennen von Le Mans 100 Jahre alt.

Als 1923 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans zum ersten Mal ausgetragen wurde, führte die Rennstrecke noch mitten durch die Ortschaft Le Mans: Für die Einwohner der Stadt im Nordwesten Frankreichs muss es ein einmaliges Erlebnis gewesen sein, für einen ganzen Tag  lang in regelmäßigen Abständen Rennwägen an ihren Häusern und Wohnungen vorbeifahren zu sehen.
Ein Autorennen vor einhundert Jahren spielte sich innerhalb ganz anderer Dimensionen ab, als heute: Zwar lag die Höchstgeschwindigkeit des schnellsten Teilnehmers nur bei etwa 145 km/h, doch der Nervenkitzel war umso höher. Damals war das 24-Stunden-Rennen noch keine vollends durchorganisierte Maschinerie, sondern vor allem eines: Ein Autorennen mit der großen Besonderheit, dass es sich über 24 Stunden hinzog. 
Aus Sicherheitsgründen verlegte man 1932 die Rennstrecke aus der Innenstadt heraus: Bis heute wird das 24-Stunden-Rennen aber auf dem Circuit des 24 Heures, der südlich der Stadt Le Mans liegt, ausgetragen.
Das Fahrzeug, welches nach 24 Stunden die größte Renndistanz zurückgelegt hat, gewinnt das Rennen. Mehr als eine Viertelmillion Zuschauer strömen jedes Jahr nach Le Mans, um dem Rennen beizuwohnen: Dabei ist es Tradition, nicht in Hotels zu übernachten, sondern in Zelten direkt an der Rennstrecke.

Die klassische Champagnerdusche, die bei keinem Formel Eins-Rennen fehlen darf, wurde 1967 vom Rennfahrer Dan Gurney in Le Mans erfunden.

Testlabor und Champagnerdusche

Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gilt als das Testlabor par excellence, wenn es um technologische Weiterentwicklungen in der Welt der Automobile geht: Doppelkupplungsgetriebe, Turbomotoren, Benzindirekteinspritzung und Scheibenbremsen – das sind alles Technologien, die heute aus der Welt der Automobile nicht mehr wegzudenken sind. Fast alle dieser Technologien wurden von den Autoherstellern auf der extrem verschleißintensiven Rennstrecke von Le Mans erprobt, um später den Weg in die Autos für die breite Masse zu finden.
Nicht nur innovative Technologien entwickelte man auf der Rennstrecke von Le Mans: Die klassische Champagnerdusche, die bei keinem Formel Eins-Rennen fehlen darf, wurde 1967 vom Rennfahrer Dan Gurney in Le Mans erfunden. Erst 1969 begann man in der Formel Eins mit der Tradition der Champagnerdusche. 
In den frühen Jahren des Rennens war es nur dem Fahrer selbst gestattet, mit dem Bordwerkzeug Reparaturen am Fahrzeug durchzuführen. Heute ist es auch gestattet, Reparaturen von Mechanikern durchführen zu lassen – allerdings muss das Fahrzeug die Boxengasse ohne fremde Hilfe erreichen. 

Hoher Vollgas-Anteil

Traditionell findet das 24-Stunden-Rennen von Le Mans in Juni statt, in einer der kürzesten Nächte des Jahres: Ein nicht unwesentlicher Teil der Rennzeit findet in der Nacht statt – dieser Part des Rennens gilt gemeinhin als der spannendste Teil, da die Fahrer nur sehr schlechte Sicht haben und auf den Geraden trotzdem Geschwindigkeiten jenseits der 300 km/h fahren.
Der Vollgas-Anteil auf der Rennstrecke von Le Mans ist sehr hoch: In früheren Zeiten fuhren die Fahrer bis zu 400 km/h auf den Geraden, aus Sicherheitsgründen fährt man heute aber nicht mehr solche hohen Geschwindigkeiten. Der hohe Vollgas-Anteil der Rennstrecke resultiert in hohen Belastungen für Karosserie und Bauteile: Deshalb gilt die Strecke als eine der verschleißtreibendsten Rennkurse auf der ganzen Welt. Selbst heute ist es nicht selbstverständlich, dass ein Auto das ganze Rennen über durchhält: Oftmals scheidet gut ein Viertel der Teilnehmer aus dem Rennen aus, weil das Fahrzeug auf der Strecke liegen bleibt.
Aufgrund der Länge des Rennens treten immer Drei-Mann-Fahrerteams an, die Fahrer wechseln sich im Laufe des Rennens ab. Bis in die 1980er Jahre bestanden die Fahrerteams nur jeweils aus zwei Fahrern. 

Zündschloss auf der linken Seite des Lenkrads

Bis 1969 absolvierten die Fahrer ein besonderes Ritual, bevor der Startschuss zum Rennen fiel: Beim legendären Le Mans-Start mussten die Fahrer so schnell wie möglich über die Fahrbahn zu ihren Fahrzeugen sprinten, die auf der gegenüberliegenden Seite neben der Boxengasse aufgestellt waren.
Um diesen Prozess so schnell wie möglich zu gestalten, dachte sich ein Sportwagenhersteller etwas Besonders aus: Ziel war es, dass der Fahrer, sobald er nach dem Sprint in sein Fahrzeug eingestiegen war, so schnell wie möglich losfahren konnte.
Damit der Fahrer, sobald er eingestiegen war, mit der rechten Hand bereits den ersten Gang einlegen konnte, montierte jener Hersteller das Zündschloss auf der linken Seite des Lenkrads. Normalerweise befand sich das Zündschloss, wie bei den meisten Fahrzeugen bis heute, auf der rechten Seite des Lenkrads.
Mit jener Technik konnte der Fahrer mit der linken Hand den Motor starten und mit der – nun freien – rechten Hand den ersten Gang einlegen.
Das Zündschloss auf der linken Seite des Lenkrads wird bis heute genau so in den Serienfahrzeugen jenes Sportwagenherstellers verbaut: Es ist nur ein Beispiel für eine Technik, die ausgehend von Le Mans den Weg in den Alltag vieler Automobilbegeisterter fand.
Wegen Protesten und Sicherheitsbedenken ließ man ab 1970 den bekannten Le Mans-Start fallen,  bis heute wird das Rennen mit einer Einführungsrunde und einem fliegenden Start begonnen. 

Ohne jenen Film mit Steve McQueen in der Hauptrolle wäre das 24-Stunden-Rennen von Le Mans wohl kaum das, was es heute ist.

Steve McQueen und Le Mans – Motorsport in seiner Reinstform 

Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans ist Motorsport in seiner Reinstform: Diese Aussage hätte der legendäre Hollywood-Schauspieler Steve McQueen vermutlich genau so abgesegnet. 
Für McQueen bot Le Mans eine besondere Faszination: In der Stadt im Nordwesten Frankreichs sah der „King of Action“ all seine Träume vom Motorsport erfüllt – diese Leidenschaft wollte er filmisch verewigen.
1970 realisierte Steve McQueen seinen lange gehegten Traum von einem Motorsport-Film: Der Film Le Mans (1970) ist bis heute einmalig und stellt den Motorsport dar, wie er damals war. Der Film lebt vor allem von – für die Verhältnisse der damaligen Zeit – sehr aufwändig und fortschrittlich gedrehten Rennszenen, die Dialoge und die Handlung rücken eher in den Hintergrund.
Eines steht fest: Ohne jenen Film mit Steve McQueen in der Hauptrolle wäre das 24-Stunden-Rennen von Le Mans wohl kaum das, was es heute ist. Seine enorme Popularität in aller Welt verdankt das 24-Stunden-Rennen vor allem dem Hollywoodschauspieler Steve McQueen, für den der Motorsport sein ganzes Leben bedeutete. 

Prestige

Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans mag zwar nur eines von acht Rennen sein, das die FIA zu der Klasse der 24-Stunden-Rennen zählt: Trotzdem ist das Rennen von Le Mans jenes 24-Stunden-Rennen, das mit Abstand am meisten Prestige genießt. Derjenige, der einmal das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewonnen hat, wird diesen Moment ganz sicher in seinem gesamten Leben nie wieder vergessen: Selbst für Fahrer wie Jochen Rindt, die eigentlich hauptsächlich mit der Formel Eins assoziiert wurden, war ein Sieg in Le Mans (Rindt siegte 1965) ein wichtiger Meilenstein der Karriere. Für Jochen Rindt war sein Le Mans-Sieg gar sein Sprungbrett für eine erfolgreiche Formel Eins-Karriere.
Bis heute stellen Autohersteller beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans den technologischen Entwicklungsfortschritt ihrer Automobile unter Beweis: Somit spielt das Rennen nicht nur in der Karriere von Rennfahrern eine entscheidende Rolle, sondern auch in den Entwicklungsabteilungen der jeweiligen Automobilbauer.

Simon von Ludwig


Beitragsbild: © Simon von Ludwig


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