Teil fünf

Teile eins bis vier

Die Formel Eins-Weltmeisterschaft 1989 war von Veränderungen bestimmt: Ab sofort waren keine Turbolader mehr erlaubt – Honda war gezwungen, auf Saugmotoren zu setzen. In der letzten Saison noch waren Saugmotoren auf der Rennstrecke verpönt: Wer Saugmotor fuhr, fuhr meist den Turboladern hinterher.
Honda entwickelte aber einen Saugmotor, der einem Turbolader in nichts nachstand – außer im Fahrkomfort. Das angenehme Fahrgefühl des McLaren MP 4/4 mit Turbolader war dahin.
Senna sagte zum neuen McLaren MP 4/5 mit Saugmotor:

„Es ist eine andere Fahrtechnik. Im Großen und Ganzen liegen die Stärken des Motors im unteren und mittleren Drehzahlbereich und im Drehmoment. Nach oben raus ist aber nicht so viel drin, vergleichbar mit einem Turbolader von vor einem Jahr. Da es ein Zehnzylinder-Motor ist, musste das Auto anders konstruiert werden, sodass sich die Handhabung und das Fahrverhalten veränderten. Dementsprechend muss man seine Fahrtechnik verändern, wenn man das beste herausholen will.“

Abmachung zwischen Senna und Prost

Beim ersten Grand Prix der Saison von 1989 in Rio de Janeiro landete Senna durch einen Unfall in der ersten Runde nur auf Platz elf – Nigel Mansell im Ferrari fuhr einen Sensationssieg ein, Alain Prost wurde Zweiter und holte sich seine ersten WM-Punkte. Der Sieg von Mansell kam unerwartet: Ferrari setzte 1989 zum ersten Mal ein semiautomatisches Getriebe ein, der Vorreiter der heutigen Formel Eins-Getriebe. Da man die Technik als anfällig betrachtete, traute man dem Ferrari wenig Siegeschancen zu.
Um einen ähnlichen Unfall im nächsten Rennen in Imola zu verhindern, schlossen Senna und sein Teamkollege Alain Prost eine Abmachung: Erst nach der Tosa-Kurve wollten beide ernsthaft gegeneinander fahren, um gefährliche Situationen zwischen beiden zu vermeiden.
In der Tamburello-Kurve raste Gerhard Berger in die Mauer und zog sich Verletzungen zu: Das Rennen wurde angehalten. 

Bruch zwischen Ayrton und Alain

Beim Neustart lag Prost in Führung – doch Senna überholte ihn in der Tosa-Kurve, ging in Führung und gewann das Rennen mit 40 Sekunden Vorsprung zu Alain Prost.
Prost interpretierte Sennas Überholmanöver in der Tosa-Kurve als einen Bruch ihrer Vereinbarung, erst nach der Tosa-Kurve gegeneinander zu fahren: Zwischen beiden McLaren-Fahrern entbrannte ein Streit, der in einen Presseskandal mündete und über Jahre hinweg nicht abklingen  sollte.
Es kam sogar soweit, dass Prost androhte, aus der Formel Eins zurückzutreten, würde Senna sich nicht öffentlich entschuldigen. Ayrton spürte, dass Alain sehr verärgert war und ließ sich auf eine ausführliche Diskussion mit ihm ein: Trotzdem blieb das Verhältnis zwischen den Teamkollegen extrem angespannt.

Die Saison von 1989 war von vielen Ausfällen von Ayrton Sennas Auto geprägt: Wenn sein Auto aber mitspielte, holte er sich die Poleposition und gewann.
Die Weltmeisterschaft blieb bis zum vorletzten Rennen in Suzuka unentschieden: Senna lag hinter Prost in der Weltmeisterschaft. Suzuka war Sennas letzte Gelegenheit, Punkte zu sammeln, um die Weltmeisterschaft noch für sich zu entscheiden.
Das Verhältnis zwischen Prost und Senna war angespannter als je zuvor: Seit Monaten sprachen beide nicht mehr miteinander wegen dem Vorfall in Imola.
In Suzuka lag Prost lange in Führung, bis Senna in Runde 46 nahe genug für ein Überholmanöver gekommen war: In der letzten Schikane setzte Senna zu einem Überholmanöver an, doch Prost widersetzte sich, beide Autos verhakten sich und kamen in der Auslaufzone zum Stehen. 

Folgenreiche Kollision

Sofort stieg Prost aus: Er nahm an, Sennas Auto sei aus dem Rennen. Somit wäre die Weltmeisterschaft an Alain Prost gefallen, da Senna nicht mehr aufholen hätte können. Prost war sich bereits sicher, die Weltmeisterschaft 1989 gewonnen zu haben.
Doch Senna ließ sein Auto anschieben, fuhr in die Box zur Reparatur seines Frontflügels und gewann das Rennen.
Senna sagte zu seinem Vorgehen:

„Mein Auto war beschädigt. Als ich sah, dass die Nase etwas abbekommen hatte, dachte ich, es sei vorbei. (…) Mein Auto stand an einer gefährlichen Stelle, und es ist die Pflicht des Fahrers, den Wagen da wegzuräumen. Das ist eine der Regeln: Man kann sich von den Streckenposten helfen lassen, sie anweisen, das Auto an eine ungefährlichere Stelle zu schieben. (…) Dann plötzlich, als ich in die Auslaufzone gefahren bin, bekam ich genug Schwung, um zu versuchen, das Auto zu starten. Also schaltete ich die Zündung ein und, sozusagen angeschoben, sprang der Motor an. (…) Ich fuhr in die Box und wusste sicher, dass meine Mechaniker schon warteten, um ihn [den Frontflügel] zu reparieren, wenn das denn möglich wäre. Und es war möglich, sie reparierten ihn und ich konnte wieder zurück auf die Strecke.“ 

Senna wird disqualifiziert 

Doch die Siegerehrung wurde ohne Ayrton Senna auf dem Podium abgehalten: Senna wurde disqualifiziert. Als Gründe wurden eine gefährliche Fahrweise und das Auslassen einer Schikane angegeben. Sennas Disqualifikation bedeutete, dass Alain Prost die Weltmeisterschaft gewonnen hatte.
Doch damit nicht genug: Eine Woche später wurde Senna mit einer Geldstrafe von 100.000 Dollar belegt und ihm wurde eine sechsmonatige Rennsperre auf Bewährung verhängt.
Bis heute wird diese Entscheidung der Verantwortlichen kontrovers diskutiert – Senna sah den Einfluss des damaligen FIA-Präsidenten hinter der Entscheidung und war der Meinung, ungerecht bestraft worden zu sein. Für Sennas Ansicht spricht, dass 1989 zahlreiche Fahrer ähnlich wie Senna Schikanen „ausließen“ und keinerlei Strafe dafür erhielten. 

Ein Schlag für Ayrton Senna

Fest steht, dass durch Sennas Disqualifikation Alain Prost Weltmeister wurde: Ohne die Disqualifikation hätte Senna noch das letzte Rennen in Australien gewinnen müssen, um die Weltmeisterschaft zu gewinnen: Kein unwahrscheinliches Szenario. Man munkelt bis heute, der französische FIA-Präsident Jean-Marie Balestre hätte seinem Landsmann Alain Prost unter die Arme gegriffen, indem er Sennas Disqualifikation in die Wege leitete. 

Für Senna war es ein Schlag: Ähnlich wie beim Grand Prix in Monaco 1984 war Alain Prost erneut durch eine Entscheidung der Offiziellen bevorteilt worden. Nur, dass es diesmal um den Weltmeisterschaftstitel und nicht um einen Grand Prix-Sieg ging.
Beim letzten Rennen der Saison von 1989 in Adelaide fuhr Senna beim Überrunden in das Heck von Martin Brundles Rennwagen, nachdem er sich zuvor einige Male auf der Rennstrecke gedreht hatte. Es war Sennas Art, mit einer schwierigen Saison abzuschließen. 

Keine Superlizenz?

1990 begann für Ayrton Senna unter keinen guten Vorzeichen: Es stand nicht fest, ob Senna 1990 überhaupt einen Grand Prix fahren würde. Der FIA-Präsident ließ offen, ob er Senna eine Superlizenz für die Saison von 1990 ausstellen würde: Außerdem stand noch die sechsmonatige Rennsperre auf Bewährung im Raum.
Senna äußerte sich vor dem letzten Rennen der Saison von 1989, wenige Wochen nach seiner Disqualifikation, bei einer emotionalen Pressekonferenz:

„Hinterher fragt man sich, warum man immer weitermachen soll, wenn man doch nicht fair behandelt wird. Aber Rennen zu fahren liegt mir im Blut und ich weiß, dass die Situation, der wir uns stellen müssen, mich tief in mir drin nur motivieren kann, um dagegen anzukämpfen und zu beweisen, dass das, was ich tue, doch einen Wert hat. Ich mache hier genau dasselbe, was ich schon mein ganzes Leben lang getan habe und fahre so, wie ich es für richtig halte. Wenn mir die Lizenz weggenommen wird, dann sind wohl die Werte, die mich in der Formel 1 halten, ebenfalls verloren gegangen und ich bin dann eben nicht mehr in der Formel 1.“

Simon von Ludwig

Teil sechs.

Maßgebliche Quellen: Rubython, Tom: „Ayrton Senna: The Life of Senna“, 2004 BusinessF1 Books & Jones, Bruce: „Ayrton Senna – Portrait of a racing legend“, 2019 Carlton Books.

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