Erklingt sein Name, taucht man in die Magie einer längst vergangenen Ära des Motorsports ein: Juan Manuel Fangio gehörte zu den Rennfahrern, deren Leistungen erläutern, warum die Formel Eins bis heute als die Königsklasse des Motorsports angesehen wird.
Seine gesamte Rennfahrerkarriere hindurch nannte man Fangio in seiner südamerikanischen Heimat beim Spitznamen El Chueco, der übersetzt so viel wie „krummbeinig“ bedeutet: Damit spielte man auf seine besondere Art und Weise, zu laufen, an. Sein unverwechselbarer Gang wurde zu seinem Markenzeichen und wann immer der legendäre Fangio die Rennstrecke entlanglief, erkannte man ihn schon von Weitem an seinem Gang. Bevor sich Fangio als Rennfahrer unter Beweis stellte, erarbeitete er sich in seiner Heimat in Argentinien einen Ruf als gewiefter Automechaniker. Bereits in jungen Jahren übten Automobile eine große Faszination auf Fangio aus – neben den alltäglichen Reparaturarbeiten konstruierte Fangio Rennwägen.
Ende der Dreißiger präsentierte Juan Manuel Fangio stolz seinen ersten Rennwagen, den Fangio Special: Zwar gab es noch einige Schwachstellen, doch einen funktionstüchtigen Rennwagen selbst zu konstruieren, war eine beachtliche Leistung. 

Es war der Intellekt eines Rennfahrers, der am Ende darüber entschied, ob er siegreich aus einem Rennen hervorgehen würde.

Neueinsteiger mit bescheidenem Equipment

Es dauerte eine Weile, bis Fangio auf die Idee kam, seinen selbst konstruierten Rennwagen auch zu steuern: 1938 fuhr der junge Fahrer den ersten großen Triumph seiner Rennfahrerkarriere ein. Bei seinem ersten Rennen erzielte Fangio mit dem eigenen Rennwagen, der kaum 200 km/h schnell war, gegen einen haushoch überlegenen Rennwagen mit einer Spitzengeschwindigkeit von 260 km/h ein sensationelles Ergebnis ein. Die Hinterräder des Top-Konkurrenten mit Heckantrieb kamen in einer Wasserlache zum Stehen und Fangios auf dem Papier unterlegener Rennwagen zog davon. Der junge Automechaniker beendete das Rennen als Drittplatzierter – für einen Neueinsteiger mit bescheidenem Equipment ein absolut sensationelles Ergebnis.
Juan Manuel Fangio bewies gleich mit seinem ersten Rennen, dass nicht die Höchstgeschwindigkeit oder die PS-Zahl eines Rennwagens alleine entscheidend für einen Rennerfolg waren: Es war der Intellekt eines Rennfahrers, der am Ende darüber entschied, ob er siegreich aus einem Rennen hervorgehen würde. 

Ein Rennen über 10.000 Kilometer

Vom 28. September bis 12. Oktober 1940 fand der Gran Premio Internacional del Norte in Südamerika statt: Dieses Autorennen war alles andere als ein gewöhnliches Rennen. Beim Rennen wurde innerhalb von sieben Tagen der gesamte südamerikanische Kontinent auf einer Streckenlänge von über 4500 Kilometern durchkreuzt. Doch nach sieben Tagen war das Rennen noch nicht vorbei: Anschließend musste die Strecke binnen sechs Tagen wieder komplett zurückgefahren werden. Damit kommt man auf eine Gesamtrenndistanz von knapp 10.000 Kilometern. Die dreizehn Etappen des Rennens führten durch unterschiedliche Klimazonen: Die Fahrer durchquerten subtropische und tropische Klimazonen, in den Kordilleren in Bolivien und im Süden Perus wies das Klima einen Hochgebirgscharakter auf. Die körperliche Anstrengung war immens und kaum in Worte zu fassen. Die höchste Stelle, die von den Rennfahrern passiert wurde, befand sich auf 4694 Metern Höhe bei einem natürlichen Pass am Alto de Toroya in Bolivien. Doch nicht nur für den Mensch, sondern auch für die Maschine war jenes Rennen 1940 eine große Belastung: „Der Mann, der dieses Rennen erfand, muß eine abenteuerliche Vorstellung von der Leistungsfähigkeit eines Automobils gehabt haben.“, schreibt Günther Molter in seiner Biographie über Juan Manuel Fangio.
Fangio erzielte in jenem kräftezehrenden und materialfressenden Rennen 1940 den Gesamtsieg: Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 86,176 km/h stellte er alle Konkurrenten in den Schatten. Von nun an war Juan Manuel Fangio nicht länger ein unbekannter Motorsportbegeisterter aus dem für Kartoffelanbau bekannten Städtchen Balcarce, sondern ein begehrter Rennfahrer, dessen Name in allen Zeitungen bis in die letzte Ecke Südamerikas stand. 

Erste Rennen in Europa

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm Juan Manuel Fangios Rennfahrerkarriere erst so richtig an Fahrt auf: Das Regierungsprogramm der ersten Regierung Argentiniens nach dem Zweiten Weltkrieg sah insbesondere eine großzügige Förderung des Motorsports vor. Als in Europa gerade die ersten Automobilclubs ihre Arbeit wiederaufnahmen, warfen sie ein Auge auf Argentinien: Das südamerikanische Land war ein idealer Austragungsort für Autorennen im Januar und Februar. Wenn in Europa tiefster Winter herrschte und kaum Rennen möglich waren, herrschten im auf der Südhalbkugel gelegenen Argentinien Hochsommer und ideale Bedingungen für Autorennen.
Juan Manuel Fangio verfolgte mit großem Interesse das Motorsportgeschehen: Das bedeutete für ihn, dass er seine Fühler allmählich nach Europa ausstreckte, wo schon damals zahlreiche prestigeträchtige Grand Prix ausgetragen wurden.
Für Fangio, der selbst zum Teil italienischer Abstammung war, muss es ein besonderes Gefühl gewesen sein, den Gran Premio von Sam Remo 1949 zu gewinnen: Es war das allererste europäische Rennen, aus dem er siegreich hervorging. 

Es wird häufig gesagt, Juan Manuel Fangio habe sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere vom Rennfahren verabschiedet.

Unerreichte Leistungen

1950 fand zum ersten Mal die Formel Eins-Weltmeisterschaft statt: Mittlerweile war es selbstverständlich, dass sich Juan Manuel Fangio gegen die europäische Rennfahrer-Elite behauptete. Gleich aus dem zweiten Rennen der Saison, dem Grand Prix von Monaco, ging Fangio als Sieger hervor. Der einmalige Rennfahrer aus Argentinien dominierte auch während der restlichen Formel Eins-Saison 1950 das Fahrerfeld: In der folgenden Saison von 1951 wurde Juan Manuel Fangio zum ersten Mal Formel Eins-Weltmeister. Den Weltmeistertitel holte Fangio im Laufe seiner Karriere insgesamt fünf Mal: Damit stellte er einen Rekord auf, der erst 2003 gebrochen wurde. Von den insgesamt 52 Rennen, in denen Fangio antrat, gewann er 24 Rennen – eine sensationelle Siegesquote, die bis heute von keinem anderen Fahrer auch nur annähernd erreicht wurde.
Es wird häufig gesagt, Juan Manuel Fangio habe sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere vom Rennfahren verabschiedet: Als sich Fangio 1958 vom Sport verabschiedete, war er 47 Jahre alt.
Es steht außer Frage, dass Juan Manuel Fangio eine der beeindruckendsten Rennfahrer-Karrieren überhaupt hinlegte und für den Rest seines Lebens wie kaum ein anderer mit dem Sport verbunden blieb: Schließlich verband ihn nicht nur das Fahren und die Rennstrecke mit dem Sport, sondern auch der technische und mechanische Hintergrund, dessen perfekte Beherrschung der Beginn von Fangios Karriere gewesen war. 

Grand Prix der Niederlande 1955: Juan Manuel Fangio führt im Mercedes-Benz das Rennen an.
Bildnachweis: Fotograaf Pot, Harry / Anefo, Nationaal Archief, CC0

Mercedes-Benz-Werkteam

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere wurde Juan Manuel Fangio vom Mercedes-Benz-Team als Fahrer verpflichtet: Der Daimler-Benz-Konzern hatte beschlossen, ab 1954 wieder in den Grand Prix-Sport einzusteigen. Dieser Einstieg stand im Zeichen eines klar definierten Ziels: Man wollte den „technisch interessantesten Rennwagen seiner Zeit“ konstruieren, wie Günther Molter in seiner Fangio-Biographie schildert.
Beim 41. Grand Prix von Frankreich am 4. Juli 1954 präsentierte sich schließlich das lang erwartete Mercedes-Benz-Werkteam: Als Fahrer waren Juan Manuel Fangio, Hans Herrmann und Karl Kling verpflichtet. Gleich bei seinem ersten Rennen in einem Mercedes-Rennwagen erzielte Fangio einen ersten Platz. Im Laufe der beiden Formel Eins-Saisons 1954 und 1955, in denen Fangio für Mercedes fuhr, brachte er dem Mercedes-Benz-Werkteam zahlreiche Erfolge ein: Die enorme Popularität und der Erfolg von Fangio kann als einer der Gründe angesehen werden, weshalb Mercedes-Benz bis heute aktiv im Formelsport ist. 

Nationalheld

In seiner argentinischen Heimat gilt Juan Manuel Fangio als Nationalheld: Bereits mit seinen ersten Erfolgen als Rennfahrer hatte er die Gunst seiner Landsleute gewonnen.
Dank seines enormen Fundus an Erfahrungen und seiner großen Faszination für die Automechanik konnte Fangio sein Equipment immer perfekt einschätzen und wusste technologische Innovationen – wie man sie bei Mercedes-Benz in den Fünfzigern haufenweise implementierte – zu schätzen und konnte mit ihnen umgehen.
Schließlich war der junge Juan Manuel Fangio jener junge Mann gewesen, der manchem Pannen-Traktor in der Region rund um die landwirtschaftlich geprägte Stadt Balcarce als talentierter Automechaniker einst wieder auf die Sprünge geholfen hatte. Bis heute gibt es zwei Gründe, die Stadt Balcarce bei Buenos Aires in Erinnerung zu behalten: Zum einen wegen der einzigartigen Kartoffeln, die in dieser Region wachsen und zum anderen aufgrund der Tatsache, dass die Stadt der Geburtsort der Rennfahrerlegende „El Maestro“ Juan Manuel Fangio war.

Simon von Ludwig


Beitragsbild: Juan Manuel Fangio (Bildmitte, mit dem Lorbeerkranz) nach seinem Sieg beim Grand Prix der Niederlande 1955
Bildnachweis: Fotograaf Pot, Harry / Anefo, Nationaal Archief, CC0

Maßgebliche Quelle: Molter, Günther: Juan Manuel Fangio, 1995 Motorbuch Verlag Stuttgart


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