Auf den ersten Blick ist es nur ein Poloshirt, das aus Baumwolle gefertigt ist. Doch auf den zweiten Blick offenbart sich ein komplexer Herstellungsprozess, dessen Grundlage der Anbau der Baumwollpflanze ist. Bei den Kleidungsstücken, die aus in der Natur anbaubaren Materialien hergestellt werden, ist die Baumwolle der mit Abstand beliebteste Stoff. 
Man schätzt die Baumwolle in aller Welt als vielseitigen, pflegeleichten und schnell nachwachsenden Stoff – außerdem ist Baumwolle in einfachen Qualitäten weitaus preisgünstiger als exklusive Naturmaterialien wie Kaschmir.
Doch Baumwolle ist nicht gleich Baumwolle: Bei den verschiedenen Baumwoll-Sorten gibt es nicht nur Qualitätsunterschiede, es gibt auch verschiedene Unterarten der Baumwollpflanze, die am Ende zu verschiedenen Stoffen weiterverarbeitet werden.
Die Baumwolle als Luxusgut – heute kann sich das kaum noch jemand vorstellen. Doch vor tausenden von Jahren war die Baumwolle in Europa ein Luxusgut: Das hing damit zusammen, dass die Baumwollpflanze ausschließlich in tropischen Regionen wuchs – kostspielige Baumwollimporte aus tropischen Ländern waren damals nur dem griechischen und römischen Adel vorbehalten. 

Um die Baumwolle für jedermann verfügbar zu machen, entwickelte man in Italien Mischgewebe.

Ursprünge der Baumwolle

Man geht heute davon aus, dass die Ursprünge der Baumwollpflanze in Indien liegen: Als Alexander der Große auf seinem Feldzug im Jahr 327 v. Chr. Indien erreichte, wurde das Interesse von griechischen und römischen Kaufleuten an der Baumwolle geweckt: Es ist davon auszugehen, dass in Europa vor den Feldzügen Alexander des Großen niemand wusste, dass es so etwas wie Baumwolle überhaupt gab. 
Als im 1. Jahrhundert n. Chr. arabische Geschäftsmänner ebenfalls im Baumwoll-Geschäft tätig wurden, erhob man die Baumwolle in arabischen Ländern zur Alltagskleidung. Es sollte jeder in den Geschmack der großen Vorteile eines Kleidungsstücks aus Baumwolle kommen können.
In Italien entstand im frühen Mittelalter die erste große Baumwoll-Industrie Europas: Zwischen 1000 und 1300 n. Chr. sprossen besonders im Norden Italiens Zentren des Baumwollhandels aus dem Boden.
Um die Baumwolle für jedermann verfügbar zu machen, entwickelte man in Italien Mischgewebe: So wurde zum Beispiel ein Gewebe namens Fustian erfunden, das hauptsächlich aus Leinen besteht und zu einem kleinen Teil aus Baumwolle, die damals noch als Luxusprodukt gehandelt wurde.

Baumwolle-Verbot – Calico Act

In der Frühen Neuzeit nahm die britische Ostindien-Kompanie Notiz von der enormen Bedeutung des Baumwollstoffes: Ab 1615 fand bedruckte Baumwolle den Weg nach Großbritannien. Doch der Baumwollstoff war damals noch weit entfernt davon, sich als Standardstoff für Kleidungsstücke zu etablieren: In Großbritannien hatte die dort ansässige Wollindustrie großes Interesse daran, dass die Bevölkerung weiterhin Wolle tragen sollte und keine Baumwolle. Wolle hatte den großen Nachteil, dass sie sich kaum bedrucken ließ und Kleidungsstücke aus Wolle deshalb meist recht farblos und blass erschienen. Bis ins späte 18. Jahrhundert war das Tragen von (bedruckten) Textilien auf Baumwollbasis in Großbritannien sogar verboten.
Im Rahmen des sogenannten Calico Act wurde ab 1721 der Import von Stoffen auf Baumwollbasis in das Vereinigte Königreich grundsätzlich verboten. Unter dieses Verbot fiel insbesondere der sehr günstige Calico-Stoff (Calico Act), der bis heute unter anderem für Testkleidungsstücke in der Modeindustrie eingesetzt wird. Man begründete das Verbot damit, dass die aus Indien importierten und zu sehr günstigen Preisen angebotenen Baumwollstoffe die heimische Industrie in Großbritannien gefährdeten. Bereits vor dem Verbot erließ man astronomisch hohe Zölle für den Import indischer Stofferzeugnisse.
Erst 1774 wurde dieses Verbot wieder gelockert, aber nur deshalb, weil man in Großbritannien in der Zwischenzeit Maschinen erfunden hatte, die durch ihre Technik mit dem Herstellungsvolumen der östlichen Konkurrenz mithalten konnten. 

Baumwolle in den Südstaaten

Während die Baumwolle in Großbritannien noch verboten war, erkannte man in den südlichen englischen Kolonien in Nordamerika schon längst das Potenzial, das hinter der einmaligen Nutzpflanze steckte: Ab 1750 wuchs die Bedeutung der amerikanischen Baumwollindustrie immens. Die klimatischen Bedingungen in den Südstaaten der USA waren ideal für den Anbau der Baumwollpflanze. Trotzdem war die Baumwolle auch in Amerika zunächst ein Luxusgut: Das hing vor allem damit zusammen, dass mit dem Anbau von Baumwolle extreme manuelle Arbeit verbunden war. Erst als im Jahre 1793 die Baumwollentkörnungsmaschine erfunden wurde, änderte sich an dieser Tatsache etwas. Diese Maschine übernahm das Abtrennen der Baumwollfasern von den Samenkernen der Baumwollpflanze und ermöglichte zum ersten Mal eine Massenproduktion der begehrten Faser. In Indien und im asiatischen Raum waren andere Methoden zur Massenherstellung schon früher bekannt, weshalb bis ins 19. Jahrhundert hinein ein Großteil der Baumwollproduktion dort stattfand.
Doch aufgrund der innovativen Erfindungen in den USA waren Baumwollplantagen in den Südstaaten 1860 bereits für zwei Drittel des weltweiten Baumwollvolumens verantwortlich: Die USA liefen der östlichen Welt den Rang als volumenstärkste Baumwollproduzenten immer mehr ab. 

Ein Kleidungsstück aus Pima-Baumwolle ist immer besonders weich und anschmiegsam.

„Cotton is King“ und Baumwoll-Varianten

Unter dem Slogan „Cotton is King“ war die enorme Baumwollproduktion in den USA maßgeblicher Bestandteil des wirtschaftlichen Aufschwungs der Vereinigten Staaten, der ab Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte. Bis heute sind die Vereinigten Staaten weltweit führender Baumwollproduzent und wer eine Reise durch die Südstaaten der USA antritt, wird die zahlreichen Baumwollplantagen nicht übersehen. 
Baumwolle wird unter anderem auch in Peru, China, Indien, Usbekistan und Ägypten angepflanzt: Besonders die peruanische und die ägyptische Baumwolle genießen ein hohes Ansehen, da sie sich zu besonders weichen und zugleich strapazierfähigen Stoffe verarbeiten lassen, die auch nach langem Tragen ihre ursprüngliche Farbe beibehalten. In Peru wird die sehr begehrte Baumwoll-Variante Pima angebaut, die eine eigene Unterart unter der Bezeichnung Gossypium Barbadense darstellt. Die aus dieser Variante gewonnene Pima-Baumwolle ist außergewöhnlich langstapelig. Die sehr langen Fasern dieser Baumwolle lassen sich zu einem sehr glatten und weichen Garn verarbeiten: Ein Kleidungsstück aus Pima-Baumwolle ist immer besonders weich und anschmiegsam.

Baumwolle: Unübertroffene Vielfalt 

Baumwolle findet nicht nur in der Bekleidungsindustrie Einsatz: Viele Seile, Planen oder Zelte werden ebenfalls aus Baumwolle hergestellt. Das liegt darin begründet, dass sich aus Baumwolle gänzlich unterschiedliche Stoffqualitäten herstellen lassen, die sich besonders in Sachen Weichheit und Robustheit stark voneinander unterscheiden.
In der Hemdenherstellung wird zum Beispiel besonders gerne der Popeline-Stoff verwendet, der sich durch ein Rippenmuster auszeichnet und besonders knitterfrei ist.
Ein weiterer, in der Vergangenheit sehr begehrter Stoff, ist der Musselin-Stoff, der sich durch sein lockeres Webverfahren und leichte Durchsichtigkeit auszeichnete.
Die Baumwolle ist heute aus der Bekleidungsindustrie nicht mehr wegzudenken: Vor einigen hundert Jahren löste die Baumwolle die herkömmliche Wolle als begehrtesten Stoff ab und musste sich insbesondere in Großbritannien zunächst gegen große Widerstände behaupten.
Doch schon bald erkannte man: Die Vorteile der Baumwolle überwiegen eindeutig. Der in vielen verschiedenen Qualitäten und Preisstufen verfügbare Stoff eignet sich beinahe für jeden Anspruch, den man an ein Kleidungsstück stellt. Greift man zu höherwertig eingestuften Stoffen wie Seide oder Kaschmir, die vollkommen anders hergestellt werden, kommt man zwar in den Genuss einiger weiteren Vorzüge, nimmt aber auch eine geringere Pflegeleichtigkeit in Kauf. 

Simon von Ludwig


Beitragsbild: Baumwollanbau in Süd-Peru, 1963
Bildnachweis: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Heim, Arnold / Dia_023f-077 / CC BY-SA 4.0


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