„Zarah, wir vergessen Dich nie!“, konnte man im Juni 1981, einige Tage nach dem Tod der bedeutenden Schauspielerin und Sängerin, als Graffiti-Schriftzug auf der Berliner Mauer lesen. Wer war die Schauspielerin und Sängerin, die nach ihrem Karrierehöhepunkt in den Dreißigern und Vierzigern eine beispiellose, dreißigjährige Nachkriegskarriere hinlegte und deshalb auch bei jungen Menschen sehr bekannt war?
Zarah Leander war ein einmaliges Phänomen der deutschen Film- und Musikwelt. Mit ihren Interpretationen der klassischen Zarah Leander-Lieder wie Der Wind hat mir ein Lied erzählt oder Kann denn Liebe Sünde sein? fesselte sie das Publikum wie keine andere Sängerin.
Obwohl die gebürtige Schwedin zu einem der größten Stars des deutschen Kinos avancierte, blieb sie ihrer schwedischen Heimat stets verbunden – nicht selten interpretierte die Sängerin auch schwedische Lieder und stand in Schweden auf der Bühne. Es fällt einem schwer, zu glauben, dass Zarah Leander nie formellen Gesangs- oder Schauspielunterricht erhalten haben soll: Zweifellos war es ihre Berufung, auf der Bühne zu stehen und die Menschen mit ihrer Präsenz zu faszinieren.
Fritzi Massary
Der Mythos Zarah Leander begann mit ihrer einmaligen Stimme: Als die junge Leander 1929 dem schwedischen Revuekönig Ernst Rolf vorsang, fiel ihm sofort die prägnante Kontra-Alt-Stimme der Leander auf.
Als Zarah Leander am Abend des 27. Oktober 1929 für die schwedische Operettensängerin Margit Rosengren einsprang und das Lied Wollt Ihr einen Star sehen, schaut mich an sang, nahm das schwedische Publikum zum ersten Mal mit der Sängerin Kontakt auf.
Das Theater und der Film spielten für Leander bereits früh eine große Rolle: 1926 bat sie ihren Vater, ihr das Reisegeld zu geben, um sich in Berlin einen Auftritt der legendären Operettenkönigin Fritzi Massary anzusehen. Leanders Vater war der einzige in ihrer Familie, der Verständnis hatte für die Theater- und Filmfaszination seiner Tochter: Die Brüder machten sich lustig über die Leinwandträume ihrer Schwester, die Mutter war streng konservativ und war der Meinung, ihre Tochter solle einen „richtigen Beruf“ erlernen. Dieser Aufforderung ihrer Mutter kam die junge Zarah Leander zunächst auch nach: Für einige Zeit arbeitete sie als Sekretärin in einem Stockholmer Buchverlag. Doch von Anfang an stand fest, dass dies keine Tätigkeit sein würde, die Zarah Leander ausfüllen würde…
Die lustige Witwe
„Ich möchte auf einer Bühne stehen und die Menschen dazu bringen, daß sie mir zuhören – und applaudieren“, formulierte Zarah Leander ihren Lebenstraum in ihren Memoiren.
Als sich Leander 1926 um die Aufnahme an der Königlichen Schauspielschule Stockholm bewirbt, fällt sie durch: Die junge Frau lernte bei dieser Gelegenheit aber den Schauspieler Nils Leander kennen, den sie wenig später heiratet. Bisher trug sie den Namen Sara Stina Hedberg – durch ihre Heirat war der Name Zarah Leander geboren. Nils Leander vermittelte der jungen Schauspielerin einige Nebenrollen, mit der sie ihre ersten Schauspielerfahrungen sammeln konnte. Das Vorsprechen beim Revuekönig Ernst Rolf und Zarahs anschließendes Einspringen für Margit Rosengren 1929 lässt sich auch auf die Initiative ihres Ehemanns zurückführen – jener Auftritt im Oktober 1929 verschaffte ihr einen Schallplattenvertrag. Bis 1936 nahm Zarah Leander achtzig verschiedene Lieder in schwedischer Sprache auf, darunter auch eine schwedische Version des Marlene Dietrich-Klassikers Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. In dieser Zeit arbeitete Zarah Leander unter anderem für die Gösta Ekman-Theater AG, eine der renommiertesten Theatergesellschaften im damaligen Schweden. Während ihrer Arbeit für Gösta Ekman erarbeitete sich Zarah Leander unter anderem mit ihrer Rolle in Die lustige Witwe (Franz Lehár) einen Ruf als Operettenschauspielerin. Der Komponist transponierte Leanders Rolle in Die lustige Witwe wegen ihrer Kontra-Alt-Stimme zwei Oktaven tiefer.
Axel an der Himmelstür
Zarah Leander war schon immer mit der deutschen Kultur verbunden: Sie hatte ein deutsches Kindermädchen, ihr Klavierlehrer stammte aus Deutschland und ihr Vater hatte in Leipzig Orgelbau und Musik studiert. Deshalb war Leander bereits in frühen Jahren mit der deutschen Sprache und Kultur vertraut.
Bevor sie sich in den Dienst der deutschen Filmindustrie stellen sollte, führte ihr Weg sie zunächst nach Wien: Der Operettenbuffo Max Hansen hatte 1936 mit Paul Morgan und Ralph Benatzky das Singspiel Axel an der Himmelstür verfasst: Im Singspiel dreht sich alles rund um den Filmreporter Axel Swift (gespielt von Max Hansen), der sich mit einer Story über den großen Filmstar Gloria Mills (gespielt von Zarah Leander) seinen großen Durchbruch erhofft. Das Singspiel war damals als eine Parodie auf Hollywood angelegt: Insbesondere parodierte man den Starrummel, der Filmstars wie Greta Garbo umgab. Zarah Leander brillierte mit Gesangsnummern wie Gebundene Hände und schaffte praktisch „über Nacht“ den Durchbruch, wenngleich diesem Durchbruch auch jahrelange Arbeiten für die Schallplatte vorausgegangen waren. Mit ihrem Erfolg in Axel an der Himmelstür begann die deutschsprachige Karriere der Zarah Leander: Davon nahm auch die UFA, das führende deutsche Filmstudio, Notiz…
UFA-Filme: Höhepunkt der Karriere
Keine zwei Monate nach der Premiere von Axel an der Himmelstür am 1. September 1936 unterzeichnete Zarah Leander einen Filmvertrag mit den UFA-Studios: Zarah Leander wurde ein Mitspracherecht bei der Wahl der Filmstoffe und der Komponisten zugesprochen – für die damalige Zeit alles andere als üblich. Bereits mit ihren ersten drei UFA-Filmen, Zu neuen Ufern (1937), La Habanera (1937) und Heimat (1938) galt Zarah Leander nicht nur im deutschsprachigen Raum als die Filmdiva schlechthin, sondern in fast ganz Europa. Die schwedische Presse merkte an, dass Zarah Leander die schwedische Film- und Theaterkultur in Deutschland perfekt repräsentiere – dieser positive Tonfall der europäischen Presse änderte sich erst im Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Doch bis in die frühen Vierziger hinein galt Zarah Leander in Europa als der Filmstar par excellence. Mit Historienfilmen wie Es war eine rauschende Ballnacht (1939), der lose auf dem Leben von Tschaikowski basierte, oder Das Herz der Königin (1940), in dem es um das Leben der schottischen Königin Maria Stuart ging, schaffte man bewusst Parallelen zu den Greta Garbo-Historienfilmen, die in etwa zur gleichen Zeit in Hollywood gedreht wurden.
Unter der Regie von Rolf Hansen drehte Zarah Leander 1942 den Film Die große Liebe: Es war ihr vorletzter Film vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Mit den beiden Liedern Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen und Davon geht die Welt nicht unter verewigte sich Zarah Leander. Der Film gehört in das Genre der Musikfilme und ist in gewisser Hinsicht ein pessimistischer Film – statt die Bevölkerung mit komplett anderen Themen vom Kriegsleiden abzulenken, führte man dem Kinopublikum die Entbehrungen und Leiden des Krieges vor Auge. Inwiefern dieser Film – entgegen zahlreicher Behauptungen – überhaupt einen Propagandagehalt aufwies, stellte der amerikanische Filmhistoriker David Stewart Hull infrage. Hull betonte, dass der Film nach dem Zweiten Weltkrieg sofort wieder aufgeführt wurde. Das war äußerst ungewöhnlich: Viele Filme aus der Zeit von 1933 bis 1945 wurden erst viele Jahre später wieder aufgeführt in Deutschland.
Ab 1943 zog sich Zarah Leander bis Kriegsende in ihr Gut Lönö in Schweden zurück. Das vom Krieg völlig zerstörte Berlin war nicht mehr das, was sie einmal kennengelernt hatte.
Nachkriegskarriere
Am 24. Oktober 1947 entstanden Zarah Leanders erste Schallplattenaufnahmen nach dem Krieg: 1948/49 folgte eine Konzertreise, die triumphal verlief. Das deutsche Publikum hatte die Leander nicht vergessen, im Gegenteil, man bejubelte sie mehr denn je.
Ein Auftrittsverbot verhängte man gegen Zarah Leander nie: Allerdings war es damals üblich, dass ein Künstler vor einem Auftritt in einer Besatzungszone beim jeweiligen Besatzer eine Genehmigung beitragen musste. Das führte nicht selten zu Terminverschiebungen und Komplikationen – aus entsprechenden Zeitungsberichten entwickelte sich später der Trugschluss, Zarah Leander sei mit einem Auftrittsverbot belegt worden.
In den Fünfzigern war Zarah Leander gefragt wie nie zuvor: Ausgedehnte Tourneen führten sie durch Europa, nach Griechenland und sogar nach Südamerika. Es gab kein größeres Theater, das sich in den Fünfzigern und Sechzigern nicht um ein Zarah Leander-Gastspiel bemühte: Die Schauspielerin drehte zwar noch einige Filme, kehrte aber zu ihren Ursprüngen als Theaterschauspielerin zurück. Die Liste an Zarah Leander-Gastspielen aus dieser Zeit ist schier unendlich.
Einmalig
„Die Rollen, die ich gespielt habe, wurden meiner Art zu sein angepasst. Ich brauchte mich nie in die Seele einer anderen Frau hineinzuversetzen, ich spielte immer so, wie ich empfand. Vielleicht ist es deshalb manchmal auch gut geworden.“, sagte Zarah Leander später rückblickend auf ihre Karriere. Kritiker warfen ihr häufig vor, nur ihre Verkleidung zu wechseln, niemals aber verschiedene Rollentypen zu spielen. Leander stimmte dieser Feststellung zu – dennoch konnte sie auch Rollen spielen, wie jene der Maria Stuart 1940, die ihrer eigenen Person wohl kaum angepasst wurden. Für einen Schauspieler, der als überlebensgroßer Star dargestellt wird, ist es immer schwierig, alle persönlichen Noten aus dem Schauspiel herauszunehmen – wenn man Zarah Leander vorwirft, sie habe nur ihre Toilette gewechselt, müsste man das der Garbo genauso vorwerfen. Für beide Schauspielerinnen, Zarah Leander und Greta Garbo, gab es nichts Schrecklicheres, als sich selbst spielen zu müssen.
Am Ende bleibt übrig: Eine zweite Zarah Leander hat es nie gegeben und wird es auch nie geben. Die tiefe Kontra-Alt-Stimme, ihr imposantes Auftreten und ihr weltgewandter Charme machten sie zu einer einmaligen Persönlichkeit der Film- und Musikwelt.
Maßgebliche Quellen: Paul Seilers (1936 – 2017) Zarah Leander-Archiv und Leander, Zarah: Es war so wunderbar. Mein Leben, 1973 Hoffmann und Campe
Beitragbsild: Zarah Leander 1955 in Kloten.
Bildnachweis: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich) / Com_M04-0276-0010 / CC BY-SA 4.0