Er wollte auffallen, schrieb Heinz Rühmann in seinen Memoiren über seine frühen Jahre als Schauspieler. Nichts war als junger Schauspieler so wichtig, wie sich auffällig zu kleiden und persönliche Spleens zu zeigen, welche die Aufmerksamkeit auf einen zogen.
Doch es gab nicht nur modische Fragen zu Beginn der Karriere Heinz Rühmanns – da gab es auch den Druck, den er verspürte: Als Rühmann München verließ, um für sein erstes professionelles Engagement nach Hannover zu reisen, gab ihm sein Schauspiellehrer Friedrich Basil folgenden Rat mit auf den Weg: „Sie müssen sich eine Frist setzen, eine Frist von fünf Jahren! Wenn Sie bis dahin keinen echten künstlerischen Erfolg hatten, (…) dann müssen Sie von der Bühne Abschied nehmen. (…)“
Jetzt wusste Heinz Rühmann: Fünf Jahre hatte er also Zeit. Würde sich der Schauspieler behaupten können? Würde er überhaupt auch nur einmal eine bedeutende Rolle spielen? Anfang der Zwanziger stand das noch in den Sternen geschrieben.

Erste Begegnung mit dem Film

Gewiss war es keinesfalls, dass Rühmann eines Tages zu den bekanntesten und profiliertesten deutschen Schauspielern zählen würde. Was hingegen gewiss war: er war darauf angewiesen, bald nennenswerte Erfolge zu erzielen, denn sein Abitur brach er zugunsten seines Traums von der Bühne ab.
1923 wurde Heinz Rühmann nach einem Intermezzo in Norddeutschland Ensemblemitglied des Schauspielhauses München: Große Erfolge bleiben auch dort zunächst aus, er wurde – wie für junge Schauspieler üblich – hauptsächlich in kleineren, relativ unbedeutenden Rollen besetzt. Anschließend wechselte er 1925 an die Münchner Kammerspiele: Dort feierte Heinz Rühmann seine ersten Erfolge als Theaterschauspieler, hauptsächlich bei der Interpretation komödiantischer Rollen.
Zu dieser Zeit – Mitte der Zwanziger – hatte Rühmann ebenfalls seine erste Begegnung mit dem Film: In der Nähe von München waren 1919 die Bavaria Filmstudios gegründet worden, wo später renommierte Regisseure wie der legendäre Alfred Hitchcock oder der einmalige Anatole Litvak ihre Karriere begannen. Das aufstrebende Medium des Films ging an der bayrischen Landeshauptstadt München also keineswegs vorbei: So spielte Heinz Rühmann 1926 seine erste Stummfilmrolle in Das deutsche Mutterherz. Diese erste Filmarbeit von Rühmann gilt bis heute als verschollen. 

Wer den UFA-Produktionschef bei der ersten Probeaufnahme nicht fesseln konnte, bekam meist keine zweite Chance.

Zwischen München und Berlin

Ab 1927 pendelte Heinz Rühmann zwischen München und Berlin hin- und her: Oftmals wurde er für dieselben Theaterstücke in beiden Städten verpflichtet. Es schien so, als wolle man überall vom Schauspieltalent des Heinz Rühmann etwas abbekommen: Rühmann konnte mittlerweile zahlreiche künstlerische Erfolge verbuchen und war ein gefragter Theaterschauspieler.
1930 bot sich für den Schauspieler eine einmalige Chance: Rühmann wurde mitgeteilt, dass der UFA-Produktionschef Erich Pommer in einer Revue auf ihn aufmerksam geworden war und ihn zu Probeaufnahmen einladen wollte. Man suchte noch nach einem Schauspieler für die Rolle des Hans in Die Drei von der Tankstelle (1930).
Von den ersten Probeaufnahmen war Erich Pommer maßlos enttäuscht: Wer den UFA-Produktionschef bei der ersten Probeaufnahme nicht fesseln konnte, bekam meist keine zweite Chance. Doch Erich Pommer entschloss sich, Rühmann nochmals zu Probeaufnahmen einzubestellen – dieses Mal in anderer Kleidung und mit einem anderen Text. Bei den zweiten Probeaufnahmen gab Pommer grünes Licht: Heinz Rühmann würde seine erste große Filmrolle in Die Drei von der Tankstelle an der Seite von Lilian Harvey, Oscar Karlweis und Willy Fritsch spielen. Die Zeit des Pendelns zwischen Berlin und München war von nun an vorbei – Rühmanns Lebensmittelpunkt lag fortan in Berlin. 

Die Feuerzangenbowle

„Es ist der Humor (…) eines Mannes, der weiß, daß er immer ein kleiner Junge sein wird. (…)“, schrieb man später über Heinz Rühmanns erste Filmrollen. Rühmann wurde als einer der ersten Filmkomiker des deutschen Films bezeichnet. In den folgenden Jahren avancierte Heinz Rühmann zu einem der gefragtesten deutschen Schauspieler: So drehte er im Zeitrahmen von 1930 bis 1935 über zwanzig Filme – das waren knapp vier Filme pro Jahr. Rühmann spielte an der Seite von Leinwandlegenden wie Erich Ponto, Hans Albers, Paul Hörbiger, Hans Moser oder Magda Schneider.
Als der Zweite Weltkrieg begann, wurden zwar die Ressourcen knapper, mit denen Filmprojekte realisiert werden mussten, doch das bedeutete keineswegs, dass Schauspieler wie Heinz Rühmann keine schauspielerischen Leistungen mehr ablieferten: Im Gegenteil, mit der Ressourcenknappheit lag der Fokus auf der darstellerischen Leistung hochkarätiger Schauspieler wie Heinz Rühmann.
1944 spielte Rühmann in Die Feuerzangenbowle (1944) die Rolle des Dr. Johannes Pfeiffer: Es ist hauptsächlich diesem Film zu verdanken, dass der Schauspieler Heinz Rühmann vielen Filmbegeisterten bis heute ein Begriff ist.
Führt man sich die Umstände der damaligen Zeit vor Augen, erscheint die Leistung aller Beteiligten umso bravouröser: 1944 herrschte in fast ganz Deutschland ein Klima der ständigen Aufruhr – die Dreharbeiten fanden sozusagen im Bombenhagel statt. Trotzdem war es Aufgabe aller Beteiligten, bei den Dreharbeiten zur Komödie so fröhlich wie möglich zu sein: Rühmann beschreibt in seinen Memoiren, wie am Set wegen jeder Kleinigkeit gelacht wurde.
Umgeben von einer Welt, in der es für jeden einzelnen nur noch um das nackte Überleben ging, meisterte die Besetzung von der Feuerzangenbowle es, eine Komödie auf die Beine zu stellen.

Heinz Rühmann galt als einer der Lieblingsschauspieler des Schriftstellers und Schauspielers Curt Goetz.

Mein Freund Harvey und Curt Goetz

Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete für Heinz Rühmann – wie für viele Filmschaffende seiner Generation – Verdächtigungen und Verhöre: Wenn auch Rühmann versuchte, sich so weit wie möglich auf Distanz zum herrschenden System zu begeben, waren viele Dinge unumgänglich, wenn man in den Dreißigern und Vierzigern in Deutschland seinen Beruf als Schauspieler bewahren wollte.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte Heinz Rühmann seine Schauspielkarriere nach dem Zweiten Weltkrieg aber fortsetzen: Auf den Vorschlag von Marlene Dietrich verkörperte Heinz Rühmann von 1950 bis 1951 die Rolle des Elwood P. Dowd in Mein Freund Harvey am Kleinen Haus München und am Kleinen Theater im Zoo Frankfurt. Etwa zur gleichen Zeit erschien die Verfilmung von Mein Freund Harvey mit James Stewart in der Hauptrolle. 
Eine seiner ersten großen Filmarbeiten nach dem Zweiten Weltkrieg war Auf der Reeperbahn nachts um halb eins (1954) an der Seite von Hans Albers. Für beide Schauspieler – Rühmann und Albers – war dieser Film eine Sternstunde ihrer Nachkriegskarriere.
Heinz Rühmann galt als einer der Lieblingsschauspieler des Schriftstellers und Schauspielers Curt Goetz: Rühmann spielte in den Goetz-Verfilmungen Das Haus in Montevideo (1963) und Dr. med. Hiob Prätorius (1965) die Hauptrollen. In den Figuren von Goetz habe Heinz Rühmann „Brüder im Geiste“ erkannt, wie er in seinen Memoiren betonte: Selbst seine Interpretationen von Friedrich Dürrenmatts Werken (Es geschah am helllichten Tag, 1958) konnten bei Rühmann diesen Zustand nicht hervorrufen. 

Komiker und Charakterdarsteller

Heinz Rühmann begann als einer der ersten großen Komiker des deutschen Films und entwickelte sich zu einem der gehaltvollsten Charakterdarsteller, die man jemals auf einer deutschen Leinwand sehen konnte: Zum Schluss seiner Karriere drehte Rühmann noch einige Fernsehfilme, von denen er sich erhoffte, damit seinem Publikum weiterhin in Erinnerung zu bleiben.
Doch das wahre Medium eines Schauspielers vom Kaliber eines Heinz Rühmann war die Leinwand und die Theaterbühne: Rühmann brachte in den Dreißigern jene Komik, die bis dahin nur auf der Theaterbühne gesehen werden konnte, für ein Millionenpublikum auf die Leinwand. Später befasste sich der versierte Komiker, der auch zum Charakterdarsteller befähigt war, mit Interpretationen von Rollen, die von großen Schriftstellern wie Friedrich Dürrenmatt oder Curt Goetz kreiert wurden.
Heinz Rühmann wusste immer, dass er der „kleine Junge“ bleiben wird, doch dieser „kleine Junge“ revolutionierte die deutsche Theater- und Filmwelt wie kein anderer Schauspieler vor ihm.

Simon von Ludwig


Maßgebliche Quelle: Albers, Hans: Das war’s. 1994 Ullstein [Rühmanns Memoiren]

Beitragsbild: Heinz Rühmann 1960 am Flughafen Amsterdam Schiphol
Bildnachweis: Fotograaf Pot, Harry / Anefo, Nationaal Archief, CC0


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