Noël Coward wuchs in einer Zeit auf, als die britische Theaterkultur gerade ihren ersten Aufschwung überhaupt erlebte: 1895, vier Jahre vor Cowards Geburt, verlieh Königin Victoria zum ersten Mal einem Theaterschaffenden die Ritterwürde. Sir Henry Irving (1838 – 1905) war der erste britische Schauspieler überhaupt, der das Adelsprädikat „Sir“ führen durfte.
Heute mag das relativ unspektakulär klingen – damals bedeutete die Verleihung der Ritterwürde an einen Schauspieler, dass die Theaterkultur überhaupt erst salonfähig wurde in Großbritannien.
Als Coward gerade fünf Jahre alt war, eröffnete das erste Kino in London – man kann fast sagen, Noël Coward und die moderne britische Theater- und Filmkultur wurden zeitgleich geboren.
Bereits im Alter von 12 Jahren stand Noël Coward auf der Bühne. Doch Cowards Talent lag nicht nur im Schauspiel: Bereits in sehr jungen Jahren zeigte Noël Cowards großes Talent für Reime. So verfasste Coward mit zwanzig Jahren seine ersten Komödien, unter anderem I’ll Leave It To You (1920) und The Young Idea (1923). Seine Faszination für das Theater wurde früh geweckt: Bereits im Alter von fünf Jahren besuchte Coward regelmäßig das Theater. 

Mit elf oder zwölf Jahren begann Coward mit dem Schreiben.

Die High Society

Noël Coward wuchs in einer Gesellschaft auf, die sehr klassenbewusst war: Coward kam aus relativ einfachen Verhältnissen, somit war es alles andere als vorhersehbar, dass er eines Tages eine prominente Persönlichkeit der britischen Gesellschaft werden würde.
Man hatte gerade erst erreicht, dass der Beruf des Schauspielers und des Theaterautors salonfähig wurde – an eine durchlässige Gesellschaft, in der es keine Rolle spielt, aus welchen Verhältnissen ein Schauspieler oder ein Autor entstammt, war noch nicht zu denken.
Trotzdem schaffte es Coward, sich in der damaligen Gesellschaft zu behaupten und fand Anschluss an die „High Society“, deren damalige Angehörige große Förderer der Theaterkultur waren.
Ohne Frage waren Cowards Charme und sein enormes Talent dafür, Theaterstücke zu schreiben und in Rollen zu schlüpfen, der Grund dafür, warum Coward in der „High Society“ Anklang fand: Mit elf oder zwölf Jahren begann Coward mit dem Schreiben.
Wie er später selbst in einem Interview sagte, las er in jungen Jahren sehr viel und brachte sich so das Schreiben selbst bei. So soll er die allermeisten Werke von Charles Dickens bereits gelesen haben, als er siebzehn Jahre alt war.

Erste Erfolge

Anfang der Zwanziger unternahm Noël Coward seine erste Reise in die Vereinigten Staaten: Obwohl ihm noch kein Theatererfolg auf der anderen Seite des Atlantiks beschieden war, nahm er doch zum ersten Mal Kontakt mit der amerikanischen Film- und Theaterkultur auf, die gerade noch in den Kinderschuhen steckte.
In den Zwanzigern befand sich Coward in einer Zwickmühle: Sein Name war inzwischen zu bekannt, um unbedeutende Rollen zu akzeptieren, aber noch nicht bekannt genug, um stets die Hauptrolle zu spielen. Mit I’ll Leave It To You fand der gerade zwanzigjährige Coward 1920 seinen ersten Anklang in der britischen Theaterwelt.

In der Zwischenzeit behauptete sich Coward ebenfalls als Komponist: Für die Musikrevue London Calling! schrieb Coward nicht nur die Handlung, sondern auch die Musik und den Text zur Musik. Außerdem spielte Coward an der Seite von Gertrude Lawrence bei der Premiere der Musikrevue die Hauptrolle. Es war keine Seltenheit, dass Coward in einem Stück, das er selbst geschrieben hatte, die Hauptrolle übernahm: So konnte Coward gewährleisten, dass sein Theaterstück genau so in Szene gesetzt wurde, wie er es sich beim Schreiben ausgemalt hatte. Nicht zuletzt deshalb sollen die Uraufführungen von Coward-Stücken besonders authentisch gewirkt haben. 

Coward war einer der wenigen Theaterautoren, die den Tanz auf dem Vulkan beherrschten.

Kontroversität – Tanz auf dem Vulkan

Mit dem Theaterstück The Vortex etablierte sich Noël Coward Mitte der Zwanziger als Schauspieler und Theaterautor: Wie viele von Cowards Theaterstücken hat auch The Vortex die Zustände in der damaligen britischen Gesellschaft zum Thema. Nicht selten brach die Handlung eines Coward-Stücks Tabus der damaligen Gesellschaft – manchmal lösten seine Stücke regelrechte Skandale aus. Doch bei all dem Skandalpotenzial, das in Cowards Theaterstücken steckte, wusste er stets, wie weit er gehen durfte, damit sich keine Gesellschaftsgruppe beleidigt fühlte und ihn als Autor boykottieren würde. The Vortex wurde nicht zuletzt wegen der kontroversen Handlung zu Noël Cowards erstem großen Erfolg. Kontroverse Themen in einem Theaterstück zu behandeln, war damals ein zweischneidiges Schwert: Fehlte es einem Theaterstück an kontroversen Elementen, galt es als durchschnittlich und wurde wenig beachtet. Überforderte ein Theaterstück die damalige Gesellschaft aber mit zu viel Kontroversem, würde man das Stück zensieren. Coward war einer der wenigen Theaterautoren, die diesen Tanz auf dem Vulkan beherrschten. Nichtsdestotrotz kam es damals mehr als einmal vor, dass man Coward-Stücke zensierte. 

The Vortex: Durchbruch

The Vortex war nicht nur in Großbritannien ein erfolgreiches Theaterstück: In den Vereinigten Staaten feierte das Stück gleichermaßen großen Erfolg. Mitte der Zwanziger wurde das Stück The Vortex für fünf Monate am New Yorker Broadway gespielt, bevor das Broadway-Ensemble auf eine Tournee durch die Vereinigten Staaten aufbrach, die das das Stück unter anderem nach Chicago, Cleveland und Cincinnati brachte.
Cowards große Theatererfolge führten dazu, dass der Schauspieler und Theaterautor Ende der Zwanziger einer der gefragtesten und einflussreichsten Kreativen seiner Branche war.
Anfang der Dreißiger reiste Noël Coward nach Los Angeles, wo er die Bekanntschaft von Leinwandgrößen wie Gloria Swanson oder Charlie Chaplin machte. Ohne Frage beeindruckte ihn die Welt des Films – er wusste, dass sich viele seiner Theaterstücke gut dazu eignen würden, verfilmt zu werden. Diese kurzen Reisen, die Coward immer wieder in seiner freien Zeit machte, waren das einzige Privatleben, das er für eine lange Zeit hatte. Bis in die späten Jahre seines Lebens hatte Coward jede Woche einen prall gefüllten Terminkalender, der von Premieren und anderen Anlässen überquoll. 

Coward und David Lean

1930 verfasste Noël Coward eine seiner bekanntesten Komödien, die er wiederholt als eines seiner Lieblingswerke bezeichnete: Private Lives ist bis heute eine der meistgespielten Coward-Komödien.
Noël Coward ging mittlerweile dazu über, nicht nur Theaterstücke zu schreiben, die Skandale auslösten. Viele seiner Theaterstücke der Dreißiger und Vierziger waren vor allem amüsante Stücke. Anfang der Dreißiger sagte Coward in einem Interview: „Die primäre und wichtigste Funktion des Theaters ist es, die Menschen zu unterhalten, nicht sie zu reformieren oder zu erziehen“. [Originalzitat: “The primary and dominant function of the theatre is to amuse people, not to reform or edify them.“].
Das Theaterstück Private Lives verfilmte man Anfang der Dreißiger: Damit war Private Lives der erste Hollywood-Tonfilm auf Basis eines Theaterstücks von Noël Coward.
In den 1940ern arbeitete Noël Coward für einige Filme mit dem Filmregisseur David Lean zusammen: Coward lieferte mit seinen Theaterstücken die Vorlage zu David Leans ersten Regiearbeiten. Lean sollte später mit Regiearbeiten wie Lawrence von Arabien als einer der legendärsten Filmregisseure in die Annalen eingehen. 

Vor allem seine einmalige Begabung für das Reimen zeichnete den Schriftsteller Coward aus.

Goldeneye und Vermächtnis 

In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg war Noël Coward eine Größe der britischen Gesellschaft: Bei Konzerten und anderen gesellschaftlichen Anlässen war der Autor und Schauspieler Coward stets ein willkommener Gast. So präsentierte er Marlene Dietrich bei ihrem ersten Auftritt im Café de Paris am 21. Juni 1954 mit einem legendären Gedicht, das er Marlene Dietrich zu Ehren verfasste. 
Marlene Dietrich und Noël Coward waren gute Bekannte und hatten eine große Gemeinsamkeit: Beide engagierten sich während des Zweiten Weltkriegs für die Truppenbetreuung.
In den Fünfzigern spielte Coward in kleineren Cameo-Rollen in Filmen mit, unter anderem In 80 Tagen um die Welt [Around the World in 80 Days, 1956]. Mit dem James Bond-Autor Ian Fleming verband Noël Coward eine Freundschaft: Fleming lud Coward dazu ein, in seinem Anwesen Goldeneye auf Jamaica zu wohnen. Auf Goldeneye entstanden Flemings James Bond-Romane. Auch Coward sog die einzigartige Aura in Goldeneye auf und nutzte die Umgebung für sein kreatives Schaffen. Als Coward gefragt wurde, ob er die Hauptrolle im ersten James Bond-Film Dr. No (1962) spielen wolle, antwortete Coward trotz seiner Bekanntschaft mit Fleming mit einem klaren „Nein.“

Noël Coward war einer der einflussreichsten Theaterautoren seiner Generation: Seine enge Verbundenheit mit dem Schauspiel und der Theaterbühne begann bereits im Alter von fünf Jahren. 
Zu Zeiten, als die britische Gesellschaft in eng definierte Klassen unterteilt war, erreichte Coward, der aus relativ einfachen Verhältnissen stammte, Großes: Seine Theaterstücke und Kompositionen werden bis heute in aller Welt gespielt. In den späteren Jahren seiner Karriere festigte sich der legendäre Status von Noël Coward insbesondere durch die Inszenierung seiner Stücke am Londoner Café de Paris.
Vor allem seine einmalige Begabung für das Reimen zeichnete den Schriftsteller Coward aus: Sein Vermächtnis bleibt bis heute einmalig in der Theaterwelt.

Simon von Ludwig


Maßgebliche Quelle: Morley, Sheridan: A Talent To Amuse – A Life of Noël Coward, 2016 Dean Street Press

Beitragsbild: Noël Coward 1935 an Bord der MS Dempo
Bildnachweis: Fotograaf Willem van de Poll, Nationaal Archief, CC0


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