Wer hätte damit gerechnet, dass aus ihm eines Tages einer der versiertesten britischen Charakterdarsteller seiner Generation werden würde, als der junge James Mason begann, Altphilologie zu studieren? Als feststand, dass es für ihn keinen Platz im familiären Textilgeschäft geben würde, entschloss seine Familie, dass eine Karriere im Indian Civil Service – die Verwaltungselite von Britisch-Indien – wohl das Beste für ihn sein würde.
Ein Abschluss in Altphilologie war eine Voraussetzung für eine solche Karriere.
Doch als sein erstes Sommersemester begann, verschoben sich die Dinge ein wenig für den jungen Studenten Mason: Ein Freund lud ihn dazu ein, die Welt des Schauspiels zu entdecken – für Mason ein Ereignis, das seinen gesamten weiteren Lebenslauf bestimmte. Fortan wirkte Mason regelmäßig bei Schauspielen an der Cambridge University mit. Nach dem Ende seines ersten Jahres in Cambridge stand für ihn fest: Eine Karriere im Indian Civil Service wäre keineswegs das Beste für ihn. Er sattelte um auf Architektur und spielte weiterhin in Theaterstücken mit. 

David Niven und James Mason – wer konnte 1931 ahnen, dass dies zwei Namen waren, die das Potenzial hatten, als Maßstab für ganze Generationen an künftigen britischen Schauspielern zu dienen? 

Theaterpremiere

Nach seinem Abschluss in Architektur stand James Mason vor einer schwierigen Entscheidung: Würde er eine Karriere als Architekt anstreben oder würde er sein Glück als Schauspieler suchen? Beide Karrierewege schienen zunächst nicht besonders erfolgversprechend: Anders, als man vielleicht glauben mag, versprach eine Karriere als Schauspieler zunächst größere Chancen. Eine ernsthafte Karriere als Architekt hätte bedeutet, dass Mason für einige weitere Jahre die Universität hätte besuchen müssen. Als Schauspieler gab es damals die Möglichkeit, relativ schnell an Rollen zu kommen – die Theaterwelt sprühte über vor Rollenangeboten. Schauspieler waren Mangelware und gesucht. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass der Beruf des Schauspielers in vielen Kreisen noch in Verruf war und viele Studenten sich deswegen recht schnell vom Traum des Schauspielens wieder trennten.
Sein Debüt als professioneller Theaterschauspieler feierte James Mason am 23. November 1931 auf der Bühne des Theatre Royal in Aldershot: Es war die gleiche Theaterbühne, auf der David Niven drei Jahre zuvor sein Debüt gefeiert hatte. David Niven und James Mason – wer konnte 1931 ahnen, dass dies zwei Namen waren, die das Potenzial hatten, als Maßstab für ganze Generationen an künftigen britischen Schauspielern zu dienen? 

Erste Filmrolle

Während David Niven 1932 begann, ungenannte Rollen in Hollywood-Streifen zu spielen, war Mason um diese Zeit froh, regelmäßige Beschäftigungen als Theaterschauspieler bei kleineren britischen Theatern zu ergattern.
Zwischen September 1933 und April 1934 übernahm James Mason verschiedene kleinere Rollen am renommierten Old Vic Theatre in London: In der Zwischenzeit versuchte Mason, seine ersten Schritte in der Filmwelt zu gehen – zunächst jedoch ohne Erfolg. Eine negative Erfahrung beim Dreh zum Film Das Privatleben des Don Juan [The Private Life of Don Juan, 1934], in dem James Mason eine sehr kleine Rolle übernehmen sollte, schreckte den Schauspieler zunächst davon ab, an eine Filmkarriere zu denken. Im Sommer 1935 traf James Mason bei einer Party den US-amerikanischen Regisseur und späteren Schauspieleragenten Albert „Al“ Parker: Parker galt als eine Persönlichkeit, die sofort erkannte, wenn eine Person ein Schauspieltalent besaß. Bei jener Party 1935 erkannte Parker in James Mason ein großes Schauspieltalent: Parker lud Mason zu Probeaufnahmen ein und vermittelte ihm einen Vertrag bei der britischen Vertretung von 20th Century Fox. Eine Folge dieses Arrangements war 1935 sein erstes Engagement in einer Hauptrolle im Film Late Extra

Quotenfilme 

Trotz seines Vertrages mit einem renommierten Filmstudio nahm James Masons Filmkarriere nur langsam an Fahrt auf: Seine ersten Filme galten als sogenannte Quotenfilme, die infolge des Cinematograph Films Act von 1928 gedreht werden mussten. Dieser Gesetzestext besagte, dass Kinos eine bestimmte Anzahl an Filmen aus britischer Produktion zeigen mussten.
Was ursprünglich zur Förderung der britischen Filmindustrie ins Leben gerufen wurde, wandte sich schon bald ins Gegenteil: Die sogenannten Quotenfilme der Dreißiger galten als mittelmäßig, gegen die großen Produktionen aus Hollywood hatte eine britische Produktion meist keine Chance. 
Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges verbesserten sich die Aussichten für Mason, an eine hochkarätige Filmrolle zu kommen, nicht gerade: Mason bekannte zu dieser Zeit, dass er ein Pazifist sei und Kriege aller Art ablehnte. Diese Ansicht hielt viele Filmschaffende, die eine andere Einstellung zum Zweiten Weltkrieg hatten, davon ab, James Mason in einem Film zu besetzen.
Dieses Merkmal stellt einen weiteren Unterschied zu anderen britischen Schauspielern seiner Generation dar – wohingegen David Niven perfekt in eine Uniform passte, lehnte Mason das Tragen einer Uniform grundsätzlich ab. 

Niemand glaubte in den späten Dreißigern und frühen Vierzigern ernsthaft an den Schauspieler James Mason.

Gescheitertes Filmprojekt

Der durchwachsene Verlauf von James Masons Filmprojekt I Met a Murderer (1939) sprach sich schnell in der Branche herum: Das Drehbuch wurde von Mason selbst mit seiner späteren Frau Pamela geschrieben. Pamelas Vater war der Präsident der Filmvertriebsgesellschaft Gaumont-British: Man ging davon aus, dass der Film dank dieser Verbindung ohne Probleme seinen Weg in die Kinos finden würde.
Doch die Führungsetage von Gaumont-British entschloss sich – trotz der familiären Beziehungen – dazu, den Film nicht ins Programm aufzunehmen: Für James Mason war mit dieser Entscheidung ein ganzes Jahr an Arbeit vergebens gewesen. Der Schaden für seinen Ruf war immens. Die Negativkopie des Films wurde in die Vereinigten Staaten verschifft und soll bei einer U-Boot-Attacke verloren gegangen sein. Zwar tauchte später eine weitere Kopie des Films auf, doch niemand zeigte ernsthaft Interesse daran, den Film aufzuführen. Zwar galt I Met a Murderer aus intellektueller Sicht als ein Paradewerk – heute hat der Film Sammlerwert – doch damals ließ sich der Film nicht vermarkten.

Braucht es mehr als den typischen britischen Gentleman?

Zu dieser Zeit zog sich Mason gerne in ein Kino zurück und genoss die Filme Buster Keatons – ein eigener großer Filmerfolg tat sich noch lange nicht am Horizont auf. Sein Faible für die Filme von Buster Keaton sollte er später noch auf besondere Art und Weise zum Ausdruck bringen…
Niemand glaubte in den späten Dreißigern und frühen Vierzigern ernsthaft an den Schauspieler James Mason: Nicht zuletzt wegen seiner Opposition gegenüber dem Zweiten Weltkrieg zögerten viele Filmschaffende, ihn zu besetzen.
Trotzdem stand fest: Würde sich die britische Filmwelt alleine durch die Darstellung des typischen Gentleman – wie von David Niven verkörpert – international repräsentieren, würde sie nicht überleben.
Spätestens Ende der Vierziger würde es einen Bedarf an vielseitigen und versierten Charakterdarstellern geben – doch würde James Mason der Richtige sein?

Simon von Ludwig

Teil zwei.


Maßgebliche Quelle: Morley, Sheridan: Odd Man Out: James Mason – A Biography, 2016 Dean Street Press

Beitragsbild: © Simon von Ludwig


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