Der Name Enrico Caruso ist ein Synonym für die Kunst der Oper: Wenn man einem Opernsänger sagt, er „klingt wie Caruso“ ist dies wohl das größte Kompliment, das einem Opernsänger zuteil werden kann. Obwohl Enrico Caruso bereits vor über hundert Jahren starb, genießt er heute dennoch einen ungebrochenen Legendenstatus – wie Enrico Carusos Stimme auf einer Opernbühne geklungen haben mag, lässt sich nur schwer sagen. Von Carusos Wirken sind zwar einige Tonerzeugnisse übrig geblieben, doch anhand dieser Aufnahmen lässt sich nur schwer bestimmen, was Carusos Stimme wirklich ausmachte. 

Enricos Mutter Anna Caruso setzte sich früh in seinem Leben dafür ein, dass ihr Sohn sein musikalisches Talent auslebte: Zwar starb Carusos Mutter, als er gerade einmal fünfzehn Jahre alt war, doch die Mutter Carusos mag als die wahre Entdeckerin der Stimme des einzigartigen Tenors gelten. Dass Caruso überhaupt in der Welt der Musik durchstarten konnte, ist nicht nur seiner Mutter, sondern auch seinem Bruder Giovanni zu verdanken: Giovanni Caruso bestritt anstelle seines Bruders Enrico eine wesentlich längere Militärzeit, damit Enrico nach 45 Tagen Militärdienst freigestellt werden konnte und die Möglichkeit bekam, seine Karriere weiterzuverfolgen. 

Gesangsausbildung und Rückschlag

Ohne diesen familiären Rückhalt würde sich heute sehr wahrscheinlich niemand mehr an den Namen Enrico Caruso erinnern: Nichtsdestotrotz dürfte ein Sommertag im Jahre 1891, an dem Caruso in einem Café neapolitanische Lieder darbot, entscheidend für seinen weiteren Lebensweg gewesen sein. An jenem Tag saß der Bariton Eduardo Missiano in genau dem Café, in dem Caruso Lieder darbot und war beeindruckt von Carusos Stimme. Missiano vermittelte das 18-jährige Gesangstalent an den Musiklehrer Guglielmo Vergine, der fortan die Gesangsausbildung des jungen Enrico Caruso übernahm. Vergine vermittelte Caruso auch seine ersten Engagements als Opernsänger: Doch – man mag es kaum glauben – für Caruso war es am Anfang alles andere als einfach, Fuß in der Opernwelt zu fassen. Bei einer Probe zur Oper Mignon (Ambroise Thomas) im Herbst 1894 versagten die Nerven des noch unerfahrenen Opernsängers und es kam zu keinem Engagement. 

Doch unabhängig davon war man sich einig, dass Carusos Stimme ein einmaliges Timbre besaß, das es in dieser Form kein zweites Mal gab… 

Der in Neapel geborene Enrico Caruso war der Region rund um seine neapolitanische Heimat ohnehin sehr verbunden.

Karrierebeginn in der neapolitanischen Heimat

Enrico Caruso begann seine Karriere als Opernsänger in der italienischen Provinz Caserta: Am Teatro Cimarosa machte sich der junge Tenor mit den Gepflogenheiten im italienischen Opernbetrieb vertraut und sammelte seine ersten darstellerischen Erfahrungen. Diese Erfahrungen waren unschätzbar und würden in Zukunft verhindern, dass Caruso bei einer Probe noch einmal die Nerven verliert – Gaetano Donizettis Oper Lucia di Lammermoor wurde in dieser Zeit zu einer der wichtigsten Opern im Repertoire des jungen Opernsängers. Zu dem Können, das man einem Opernsänger abverlangt, zählt nicht nur ein enormes stimmliches Talent, sondern auch die Fähigkeit, neue Rollen unter Umständen extrem schnell zu lernen. Zwischen 1895 und 1898 machte sich Enrico Caruso in Kampanien und in Süditalien einen Ruf als gefragter und versierter Operntenor: Der in Neapel geborene Enrico Caruso war der Region rund um seine neapolitanische Heimat ohnehin sehr verbunden. Eigentlich hieß Enrico Caruso mit Vornamen Errico – ein typisch neapolitanischer Name. Als sich um die Jahrhundertwende für den jungen Sänger abzeichnete, dass er in Zukunft auch außerhalb seiner neapolitanischen Heimat Erfolge feiern würde, trennte er sich von der neapolitanischen Schreibweise seines Namens und verwendete fortan Enrico als Vornamen. 

Neben seiner Tätigkeit als Opernsänger zeichnete Enrico Caruso gerne Karikaturen. Hier ein Selbstportrait, das ihn in der Rolle des Bajazzo aus Leoncavallos gleichnamiger Oper zeigt.
Bildnachweis: Public Domain / via Wikimedia Commons

„Primo tenore“

Betrachtet man Enrico Carusos Karriere, fällt eines auf: Er wurde von Anfang an in großen Hauptrollen von Opern besetzt. Den typischen Weg des Opernsängers, der häufig von kleinen Rollen über Nebenrollen schließlich zur Hauptrolle führt, ging Caruso nicht. Der Opernsänger wurde von Anfang an – analog zur „Primadonna“ – als eine Art „primo tenore“ (Seedorf 2022, S. 25) angesehen und auch anerkannt. 

Kurz vor der Jahrhundertwende trat Enrico Caruso sein erstes Auslandsengagement an: Im Januar und Februar 1899 gastierte der Opernsänger in St. Petersburg – dort spielte man damals sehr häufig italienische Opern. Auch in Südamerika war Caruso äußerst begehrt – der junge Tenor war auf dem besten Weg, eine Karriere als international gefragter Opernsänger zu starten. Innerhalb eines Zeitraums von knapp fünf Jahren erarbeitete sich Caruso ein Repertoire von ungefähr 40 Rollen – eine beeindruckende Leistung. Außerdem kamen fortwährend neue Opern hinzu. 

An Weihnachten 1900 debütierte Enrico Caruso am legendären Mailänder Teatro alla Scala in der Rolle des Rodolfo aus La Bohème (Puccini): Beim als sehr kritisch geltenden Scala-Publikum kam Enrico Caruso sehr gut an. Carusos Scala-Debüt beförderte ihn schließlich an die Spitze der italienischen Opernsänger und legte den Grundstein für seinen internationalen Durchbruch. 

Der Tenor Enrico Caruso war ein Pionier des Operngesangs auf der Schallplatte. 

„Napoleon des Grammophons“

Mit der Erfindung des Grammophons und – im weiteren Verlauf – der Erfindung der Schallplatte, gab es Möglichkeiten, Operngesang zu „konservieren“ und auch außerhalb des Opernhauses zugänglich zu machen. Enrico Caruso darf als einer der ersten Opernsänger gelten, dem die besondere Ehre zuteil wurde, seine Stimme auf Schallplatten zu verewigen: Obwohl auf den ersten Schallplattenaufnahmen Carusos laut dem Musikwissenschaftler Thomas Seedorf deutliche musikalische Ungereimtheiten vernehmbar sind (nachträgliche Korrekturen oder Neuaufnahmen waren kaum möglich), verkauften sich diese Platten blendend. Viel besser noch: Als die Neuigkeit grassierte, dass es nun Schallplattenaufnahmen mit Enrico Caruso gab, stiegen auch die Verkaufszahlen des gerade auf dem Markt neu eingeführten Grammophons deutlich. Der Tenor Enrico Caruso war also ein Pionier des Operngesangs auf der Schallplatte. 

Es ist davon auszugehen, dass Enrico Caruso – wenn überhaupt – nur einen Bruchteil seines heutigen Ruhmes genießen würde, wenn er nicht als „Napoleon des Grammophons“ in die Musikgeschichte eingegangen wäre. 

Duca di Mantova – Paraderolle

Ab 1903/04 war die Metropolitan Opera in New York das Zentrum des künstlerischen Wirkens von Enrico Caruso: Der Sänger schloss mit der prestigeträchtigen Oper einen Vertrag, der auch Regelungen für Engagements beinhaltete, die Caruso fernab der Met erfüllte. Damals wie heute steht für einen Opernsänger, der an der Met singt, eines fest: Über einen dauerhaften Erfolg als Opernsänger muss er sich ab diesem Zeitpunkt keine großen Gedanken mehr machen. Außerdem konnte Enrico Caruso weitestgehend selbst bestimmen, in welchen Opern er auftrat – insbesondere die Rolle des Duca di Mantova aus Verdis Rigoletto avancierte zu einer Paraderolle Enrico Carusos. 

Nach zahlreichen Saisons an der Metropolitan Opera ging Enrico Caruso 1914 davon aus, wieder Engagements in Europa wahrnehmen zu können: Unter anderem war für den Herbst 1914 eine Deutschlandtournee geplant. Doch diese geplante Tournee musste wegen höherer Gewalt abgesagt werden: Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 wurden in Deutschland sämtliche künstlerische Aktivitäten fast gänzlich eingestellt. Caruso unternahm weiterhin ausgedehnte Tourneen, unter anderem durch Südamerika, die ihn stimmlich und körperlich sehr erschöpften. 

Der Name Enrico Caruso ist heute nicht nur ein Synonym für einen Operntenor, sondern für die Musik an sich: Mit seinem Vermächtnis, das insbesondere seine Schallplattenaufnahmen umfasst, beeinflusste Caruso nachhaltig die Welt der Oper. Auch heute erinnert man sich an seine gesanglichen Leistungen – nicht zuletzt helfen die zahlreichen Mythen und Legenden, die sich rund um seine Persönlichkeit entwickelten, dabei den legendären Tenor in Erinnerung zu halten.  

Simon von Ludwig


Maßgebliche Quelle: Seedorf, Thomas: Enrico Caruso – Tenor des Jahrhunderts, 2022 Edition text+kritik

Beitragsbild: Selbstportrait von Enrico Caruso als Karikatur. Zu sehen ist er in der Rolle des Bajazzo aus Leoncavallos gleichnamiger Oper.
Bildnachweis: Public Domain / via Wikimedia Commons


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