Teil eins

Maria Callas sagte rückblickend auf ihre Karriere einmal, die Kunstform der Oper sei tot und brauche dringend eine Wiederbelebung. Diese radikale Aussage, dass die Oper tot sei, wäre womöglich korrekt – hätte es nicht Opernsänger wie Max Lichtegg gegeben. Sänger wie er bewahrten die Oper vor dem Aussterben. Schon in den Dreißigern und Vierzigern führte man vielerorts lieber Operetten als Opern auf: Von diesem Trend bleib auch der aufstrebende Sänger Max Lichtegg nicht verschont. Lange Zeit lief er Gefahr, als „Operettentenor“ abgestempelt zu werden – dagegen wehrte er sich.
Die Geschichte des Sängers Max Lichtegg, der mit bürgerlichen Namen Munio Lichtmann hieß, hatte ihren Anfang im ehemaligen Galizien: Dort verlor die Familie Lichtmann in den Wirren des Ersten Weltkriegs große Teile ihrer Besitztümer. Die Zukunft in der Heimat war ungewiss. Der neunjährige Munio wurde 1919 nach Wien, in die europäische Metropole der Musik, geschickt: Fortan war Wien Kindheits- und Jugendheimat Lichteggs. Seinen Geburtsort sollte er Zeit seines Lebens nicht mehr sehen. 

Eines stand fest: Vom Gesang wollte sich Max Lichtegg nicht mehr trennen.

In jungen Jahren vor dem Mikrophon

Schon in jungen Jahren soll Max Lichtegg von Gesang aller Art sehr fasziniert gewesen sein – Auftritte im Knabenchor einer Wiener Synagoge ließen nicht lange auf sich warten. Bei einem dieser Aufritte fiel der junge Sänger dem Wiener Kantor Emanuel Frenkel auf: Der Kantor veranlasste es, dass man man die junge Stimme Lichteggs auf einer Schallplatte aufzeichnete. Für einen sehr jungen Sänger war es damals alles andere als üblich, eine Schallplatte aufzuzeichnen: Mikrophone gab es nur in Form eines riesigen, blechernen Trichters und die Technik steckte noch in den Kinderschuhen. Wenn die entsprechenden Aufnahmen nicht verloren gegangen wären, wäre Max Lichtegg womöglich als erster Schallplattensänger in die Musikgeschichte eingegangen, der schon in sehr jungen Jahren vor dem Mikrophon stand.
Eines stand fest: Vom Gesang wollte sich Max Lichtegg nicht mehr trennen. Doch würde er damit eines Tages seinen Lebensunterhalt bestreiten können? 

Operndebüt

Weil Max Lichtegg keine eindeutige Antwort auf diese Frage wusste, studierte er ab April 1929 Philosophie in Wien. Er nahm sich fest vor: Egal, wie erfolgversprechend seine Gesangskarriere zunächst verlaufen mochte, ein sicheres Standbein wollte er sich aufbauen. Sein Operndebüt feierte Max Lichtegg am 23. Oktober 1934 in der Rolle des Grafen Almaviva in Rossinis Barbier von Sevilla.
Etwa um die gleiche Zeit machte ihm sein Freund, der Pianist Walter Pirk, einen ungewöhnlichen Vorschlag: Er schlug ihm vor, sich beim Wettbewerb der „Wiener Jazzkapellen und Jazzsänger“ zu bewerben. Max Lichtegg reagierte zunächst wenig begeistert auf dieses Angebot: Ein Wettbewerb für Jazzsänger? Wäre das der richtige Ort für einen aufstrebenden Opernsänger, um sich zu beweisen? Trotz seiner Zweifel lässt er sich zur Teilnahme am Wettbewerb hinreißen – und sollte es nicht bereuen. Lichtegg sang unter anderem ein Lied aus dem gerade aktuellen Joseph Schmidt-Film beim Wettbewerb: Offenbar verliebte sich das Publikum in den jungen Tenor – Lichtegg nahm den ersten Preis mit nach Hause. Fortan war er ein gefragter Sänger in Wien. 

Max Lichtegg 1935 in Wien, zur Verfügung gestellt von Herrn Alfred Fassbind.

Ein richtiger „Charmingboy“

So wurde Lichtegg vom „Wiener Walzermeister“ Oscar Straus dazu eingeladen, bei der Premiere seiner neuen Operette Das Walzerparadies am 15. Februar 1935 mitzuwirken. In einer zeitgenössischen Kritik anlässlich dieser Premiere ist die Rede von einem „(…) richtig[en] Charmingboy mit einem schlanken, metallischen Tenor (…)“ namens Max Lichtegg. 
Zu dieser Zeit sammelte Lichtegg vor allem als Operettentenor Ruhm: Zwar war sein Bedürfnis erfüllt, auf der Bühne zu stehen, aber er war keineswegs zufrieden damit, als Sänger auf die Operette reduziert zu werden.
Sein nächstes Karriereziel war ein Engagement am Opernhaus in Zürich: Dort wurde Lichtegg jedoch zunächst abgewiesen. Sein Weg führte aber trotzdem in die Schweiz: Ab 1936 erhielt Lichtegg am Theater Bern ein Engagement. Dort sang der Tenor unter anderem zum ersten Mal die Rolle des Danilo in Franz Lehárs Die Lustige Witwe. Trotz seiner großen Bühnenerfolge in relativ jungen Jahren verließ sich Lichtegg nicht darauf, dass der Erfolg von Dauer sein würde: Kaum in Bern angekommen, setzte er – neben seinen Tätigkeiten für die Oper und Operette – umgehend sein Universitätsstudium fort. 

Das permanente Gastspiel

Ab 1937 schloss Max Lichtegg einen Gastvertrag mit dem Theater in Basel: Dieses Anstellungsverhältnis bedeutete, dass er sich seine Rollen fortan selbst aussuchen konnte und seinen Studien besser nachgehen konnte. Dass er sich Partien nun selbst aussuchen konnte, war für Max Lichtegg ein enormer Vorteil – somit konnte er endlich in mehr Opern mitwirken.
Als ihm 1939 angeboten wurde, die Partie des Don Carlos in Verdis gleichnamiger Oper zu singen, reagierte Lichtegg trotz seines Ziels, in mehr Opern zu singen, zunächst zögerlich: Der Dirigent Otto Ackermann stand dem damals 29-jährigen Tenor beratend zur Seite und empfahl ihm dringend, die Rolle anzunehmen. Obwohl ihn die Rolle vor eine große Herausforderung stellen sollte, nahm Lichtegg das Angebot an. Mit der Rolle des Don Carlos war Lichtegg endlich im Operngenre angekommen, wie er es sich vorgestellt hatte. Der italienische Tenor Salvatore Salvati (1885 – 1959), seines Zeichens Gesangslehrer von Max Lichtegg, unterstützte ihn ebenfalls dabei, die Rolle mit Erfolg zu spielen.
Während der Zeit seines „permanenten Gastspiels“ in Basel von 1937 bis 1940 verlor Lichtegg sein Ziel nie aus den Augen: Ein Engagement am Stadttheater Zürich. 

Fast zehn Jahre nach dem Beginn seiner Laufbahn als Sänger nahm er es als sicher an, dass er dauerhaft von seinem Gesang würde leben können.

Angekommen in Zürich

Im März 1940 erhielt Max Lichtegg die Möglichkeit, in der Rolle des Almaviva aus dem Barbier von Sevilla (Rossini) beim Stadttheater Zürich vorzusingen: Das Vorsingen war von Erfolg gekrönt – er kehrte mit einem Vertrag für die Saison 1940/1941 heim. Erst mit dem Vertrag mit dem Stadttheater Zürich in der Tasche entschloss sich Max Lichtegg, sein Universitätsstudium zu beenden: Fast zehn Jahre nach dem Beginn seiner Laufbahn als Sänger nahm er es als sicher an, dass er dauerhaft von seinem Gesang würde leben können.
In seinem Vertrag mit dem Stadttheater Zürich war vorgesehen, dass er weiterhin auch Operettenrollen spielen würde – der Fokus sollte aber ganz klar auf der Oper liegen. Gleich zu Beginn seines Engagements in Zürich erfüllte sich Max Lichtegg einen besonderen Traum: Er spielte in einer Oper seines Lieblingskomponisten, Wolfgang Amadeus Mozart. Seine Bewunderung für den Komponisten brachte Lichtegg im Dezember 1940 in der Rolle des Tamino in Die Zauberflöte zum Ausdruck.

Würde sich Max Lichtegg weitere musikalische Träume erfüllen können? Egal, wie berühmt Lichtegg in der Schweiz war – auf der anderen Seite des Atlantiks wartete eine riesige Musiklandschaft auf Sänger wie Max Lichtegg: Es gab immense Möglichkeiten, die sich in den USA einem Sänger wie ihm auftaten, aber es war auch ein ungleich härterer Konkurrenzkampf als auf europäischen Bühnen… 

Simon von Ludwig

Teil zwei.


Der Bussard dankt Herrn Alfred Fassbind aus Rüti bei Zürich, Verfasser der Max Lichtegg-Biographie, für die Zusammenarbeit. 
Das von Herrn Fassbind verfasste biographische Standardwerk über Max Lichtegg, erschienen 2016 beim Römerhof Verlag (Zürich), wurde dem Bussard zur Verfügung gestellt. Die Biographie diente als maßgebliche Quelle für den Artikel. 

Informationen zur Publikation: Fassbind, Alfred A.: Max Lichtegg – Nur der Musik verpflichtet, 2016 Römerhof Verlag Zürich

Beitragsbild: Max Lichtegg 1935 in Wien, zur Verfügung gestellt von Herrn Alfred Fassbind


Die Artikelserie über Max Lichtegg

Max Lichtegg: Der Charmingboy (1.)
Max Lichtegg: Der Charmingboy (1.)
Max Lichtegg: Der Botschafter des Gesangs (2.)
Max Lichtegg: Der Botschafter des Gesangs (2.)
Max Lichtegg: Der universelle Tenor (3.)
Max Lichtegg: Der universelle Tenor (3.)
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