Fortsetzung von Teil zwei

1949 feierte Max Lichtegg eine Art „Rückkehr nach Wien“ – in jene Stadt, in der seine musikalische Laufbahn ihren Anfang genommen hatte. Lichtegg erwarb sich einen Ruf als versierter Operntenor in verschiedenen Rollen, darunter in Rossinis Barbier von Sevilla oder Bizets Carmen. Der Tenor bekam einen Urlaub vom Operetten-Genre – zu einem festen Vertragsverhältnis mit der Wiener Staatsoper, das über Gastspiele hinausging, kam es leider nicht.
Da sich mit der Zeit auch das Engagement in Zürich als problematisch erwies, war es bedauernswert, dass Lichtegg keine feste Bindung mit der Wiener Staatsoper eingehen konnte.
In den Fünfzigern gab es immer wieder verschiedene Anfragen aus aller Welt für Engagements – der Agent William Stein machte Lichtegg immer wieder Hoffnungen für einen Amerika-Durchbruch. Nach zahlreichen Ernüchterungen erwartete Lichtegg jedoch gar nicht mehr, dass es zu einem solchen Durchbruch kommen würde. 

Große Bekanntheit

Abgesehen davon kamen ausländische Erfolge in seinem Stammhaus in Zürich alles andere als gut an: Nicht zuletzt deshalb zeichnete sich eine Trennung vom Stadttheater Zürich ab. Außerdem waren Lichteggs Gagen – verglichen mit Gagen von anderen Opern- und Operettenstars – nahezu lächerlich gering. Selbst Maria Callas sagte später in einem Interview, sie verfüge zwar aber über ein gewisses Vermögen, würde sich aber keinesfalls als reich bezeichnen – wie muss es wohl Lichtegg gegangen sein? Dass Lichtegg trotz dieser finanziellen Umstände in Zürich blieb, ist ein erneuter Beweis, dass es Max Lichtegg um die Kunst ging. Zürich war bis auf Weiteres die beste Möglichkeit, um die künstlerischen Ansprüche zu erfüllen, die er an sich und seine Kunst stellte.
Ab der Saison 1951/1952 schloss Lichtegg nur noch halbjährige Gastverträge mit Zürich ab: Der Tenor sah dies als Vorbereitung auf andere, internationale Engagements.
Seine Bekanntheit in der Schweiz nahm mittlerweile – für Schweizer Verhältnisse – gigantisches Ausmaß an: Stand eine Modeschau eines renommierten Schweizer Modeherstellers an, so gehörte es zum guten Ton, Max Lichtegg zur musikalischen Untermalung des Abends einzuladen. 
Zu einer Zeit, als Modeschauen die einzige Informationsquelle für Modeinteressierte waren, hatte eine solche Schau einen wichtigen Status. 

Max Lichtegg 1953 in der Rolle des Paganini in der gleichnamigen Oper von Franz Lehár, zur Verfügung gestellt von Herrn Alfred Fassbind.

„Künstlerisch völlig ausgeschaltet“

Ende Januar 1953 war das Maß voll: Max Lichtegg vermerkte in seinem Tagebuch, „Künstlerisch völlig ausgeschaltet – keine guten Rollen mehr.“ Das Ende seines Engagements in Zürich zeichnete sich ab. Würde das Ende seiner Zürcher Verpflichtungen das Sprungbrett in die große, weite Welt bedeuten?
Der Dirigent Otto Ackermann war mittlerweile ein stetiger Begleiter von Max Lichtegg geworden: Bereits zu Lichteggs Zeit in Bern stand Ackermann ihm beratend zur Seite. Beide arbeiteten bei einem Engagement für die Opéra de Monte Carlo Ende Februar 1953 in Carl Maria von Webers Freischütz zusammen. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Max Lichtegg in Monte Carlo auftreten würde. Zwei Jahre später trat Lichtegg erneut in Monte Carlo auf, dieses Mal in Boris Godunov (Mussorgsky). Das Opernhaus des kleinen, aber als exklusiv geltenden Fürstentums Monaco schien ein idealer Ort für den Tenor Max Lichtegg, seine gesanglichen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. 

Die Konzerttourneen waren für Lichtegg eine willkommene Möglichkeit, sämtliche Aspekte seines Repertoires zur Schau zu stellen. 

Neue Chancen

Mitte 1954 terminierte Max Lichtegg schließlich seinen Vertrag mit dem Zürcher Stadttheater: Für den Sänger war es das Ende einer Ära, das zugleich zahlreiche Chancen bot.
Eine solche neue Chance tat sich sogleich in Max Lichteggs Laufbahn auf:
Der Agent Eynar Grabowsky leitete 1956 eine neue Phase in der Karriere Max Lichteggs ein. Grabowsky organisierte für Lichtegg eine Tournee mit 34 Konzerten in der ganzen Schweiz – die Tournee verlief mit großem Erfolg und steigerte den Bekanntheitsgrad des Tenors. Grabowsky sollte dem Tenor in den kommenden Jahren als Manager tatkräftig zur Seite stehen.
Weitere Konzerttourneen in der Schweiz und ins Ausland standen in den nächsten Jahren an: Die Konzerttourneen waren für Lichtegg eine willkommene Möglichkeit, sämtliche Aspekte seines Repertoires, das Opern, Operetten und Lieder umfasste, zur Schau zu stellen. 

Max Lichtegg und die Operette

Anlässlich einer Aufführung der Lehár-Operette Land des Lächelns 1961 an der Kongresshausbühne Zürich gab Max Lichtegg folgendes Statement ab:

„Warum singe ich gerne Lehár? Die Kunst für die menschliche Stimme zu schreiben, ist immer mehr im Schwinden begriffen. (…) Franz Lehár kannte die Führung der menschlichen Stimme und somit auch die Wirkung des gesanglichen Ausdrucks. (…) Er war eben der ‚Sänger-Komponist‘. (…) Der Sänger findet durch Lehár in der Operette das, was des Sängers ist: Die Möglichkeit zum ‚Schön-Singen‘, oder wie es der alte, leider oft misshandelte, in seiner wahren Bedeutung vergessene Begriff des ‚Belcanto‘ besagt. Und darum wird es, solange es Gesangskunst geben wird, sicherlich auch Franz Lehár geben.“

Fassbind, Alfred A.: Max Lichtegg – Nur der Musik verpflichtet, 2016 Römerhof Verlag Zürich, S. 391f.

Dieses Statement zeigt Max Lichteggs Beziehung zur Operette auf: Es war eine Antwort auf jene Kritiker, die ihn zu einem „Operetten-Tenor“ degradieren wollten – dabei ist die Operette nicht minder Bestandteil des Belcanto in seiner modernen Form. 

Ein Porträt von Max Lichtegg in den 1960ern, zur Verfügung gestellt von Herrn Alfred Fassbind.

Das moderne Belcanto

Das Belcanto in seiner modernen Form war zur damaligen Zeit jedoch noch lange nicht anerkannt: Max Lichtegg spricht den Aspekt des „Schön-Singens“ an – viele seiner Zuhörer schätzten genau jenen Aspekt an seinem Gesangsstil. Viele Sänger und Fachkundige, die sich dem Belcanto verpflichtet fühlen, sahen das damals ganz anders als Max Lichtegg: Das Belcanto bedeute nicht „Schön-Singen“ alleine, sagte Maria Callas einst zu ihren Schülern an der Juilliard School in den Siebzigern. Beim Belcanto handele es sich viel mehr um die stimmtechnischen Anforderungen der Komponisten des Belcanto-Stils, so die Operndiva. Ums Schön-Singen gehe es dabei nicht unbedingt – sollte es die Szene erfordern, müsse man gar bereit sein, herb und in schrillem Ton zu singen. Bei der Oper handele es sich schließlich um ein Schauspiel. Soweit die Meinung der Callas und womöglich anderer einflussreicher Fachkundiger dieser Zeit. 

Seiner Zeit voraus

Der Tenor Max Lichtegg war somit der Vertreter einer Art von Sängern, die zur damaligen Zeit auf der internationalen Bühne wenig repräsentiert waren. Die Kunst des „Schön-Singens“ wie Max Lichtegg sie perfekt beherrschte, war zwar vom Publikum nachgefragt, aber die Zeit war gewissermaßen noch nicht reif für diese Art von Sänger. Damals galten noch andere Maßstäbe und viele Fachkundige hätten die Operette nicht einmal im Alptraum zum Belcanto gezählt: Genau das wurde Max Lichtegg während seiner gesamten Karriere zum Verhängnis. Für den universellen Ansatz in der Kunst des Gesangs, wie Lichtegg ihn anstrebte, war die Zeit noch nicht reif.
Max Lichtegg war eine Art universeller Tenor: Außerdem schreckte er nicht davor zurück, Werke von Komponisten, die schon damals in Vergessenheit geraten waren, wiederzubeleben. Somit war Max Lichtegg nicht nur ein Bewahrer der Kunst des Belcanto, sondern auch ein Wegbereiter des „modernen Belcanto“. 

Simon von Ludwig


Der Bussard dankt Herrn Alfred Fassbind aus Rüti bei Zürich, Verfasser der Max Lichtegg-Biographie, für die Zusammenarbeit. 
Das von Herrn Fassbind verfasste biographische Standardwerk über Max Lichtegg, erschienen 2016 beim Römerhof Verlag (Zürich), wurde dem Bussard zur Verfügung gestellt. Die Biographie diente als maßgebliche Quelle für den Artikel. 

Informationen zur Publikation: Fassbind, Alfred A.: Max Lichtegg – Nur der Musik verpflichtet, 2016 Römerhof Verlag Zürich

Beitragsbild: Max Lichtegg mit Dagmar Koller 1970 im Fernsehen. Zur Verfügung gestellt von Herrn Alfred Fassbind.


Die Artikelserie über Max Lichtegg

Max Lichtegg: Der Charmingboy (1.)
Max Lichtegg: Der Charmingboy (1.)
Max Lichtegg: Der Botschafter des Gesangs (2.)
Max Lichtegg: Der Botschafter des Gesangs (2.)
Max Lichtegg: Der universelle Tenor (3.)
Max Lichtegg: Der universelle Tenor (3.)
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