Fortsetzung von Teil eins

Man könnte meinen, Max Lichtegg sei mittlerweile ebenfalls ein gefeierter Schallplattenstar gewesen: Das war jedoch nicht der Fall. Im August 1941 war Lichtegg einen Schallplattenvertrag eingegangen, laut dem er für fünf Jahre an eine einzige Schallplattenfirma gebunden war. Während dieser Zeit wurden hauptsächlich Operetten eingespielt und einige weitere Lieder, die jedoch wenig mit dem späteren Repertoire des Künstlers gemeinsam hatten. So kam es, dass Max Lichtegg trotz seines großen Erfolges auf der Bühne zunächst kein Schallplattenstar war. 
Anfang der Vierziger wollte Max Lichtegg sein gesangliches Portfolio ausweiten: Bei seinen Bühnenerfolgen in Oper und Operette war es beinahe selbstverständlich, dass Lichtegg ein Engagement bei der Zürcher Konzertdirektion erhielt. Der Sänger war nun voll und ganz in Zürich angekommen – in jener Stadt, die zu Beginn seiner Karriere sein großes Ziel war. Der Hauptunterschied zwischen einer Konzertbühne und einer Opernbühne besteht darin, dass der Künstler auf einer Konzertbühne selbst auswählt, was er aufführt: Lichtegg lernte diesen Umstand zu schätzen.

Botschafter des Gesangs

Im Juni 1942 kam Franz Lehár aus Wien nach Zürich, um im Rahmen der Zürcher Theaterwochen selbst die Aufführung einiger seiner Werke zu dirigieren. Max Lichtegg wurde als Sänger bei den Lehár-Konzerten engagiert. Aus dieser Zeit ist ebenfalls eine Widmung Franz Lehárs an Max Lichtegg erhalten geblieben, die der Komponist im Juni 1942 dem Tenor auf einer Partitur hinterließ:

Die Widmung Lehárs an Max Lichtegg, zur Verfügung gestellt von Herrn Alfred Fassbind.
Die Konzerte unter Lehár 1942 in Zürich. Franz Lehár selbst ist am Dirigentenpult zu sehen, Max Lichtegg ist einer der Sänger. Zur Verfügung gestellt von Herrn Alfred Fassbind.

Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs bekam Max Lichteggs Schallplattenkarriere Aufwind: Inzwischen gab es eine Einigung bei der Vertragssituation des Tenors. Ihm wurde nun gestattet, auch für eine andere Schallplattenfirma Aufnahmen einzuspielen. Im Rahmen von zwei Aufnahmesitzungen im Oktober 1944 und Februar 1945 etablierte sich Max Lichtegg als eine Art „Botschafter des Gesangs“: Hätte es ihm die Schweizer Musiklandschaft erlaubt, hätte er sich damals schon in den Gebieten des geistlichen Gesangs und des Oratoriums ebenfalls weitergebildet. Doch in der damaligen Musiklandschaft war es schon problematisch, wenn ein Sänger zugleich Opern und Operetten sang. 

Hinaus in die Welt

Bisher war Max Lichtegg vor allem durch Schallplattenaufnahmen in der Schweiz bekannt: Durch einen 1946 eingegangen Vertrag mit einem international aufgestellten Plattenlabel fand Lichtegg Zugang zum Musikmarkt jenseits der Schweiz. Außerdem war es ihm dort möglich, Liedaufnahmen einzuspielen. Die Tätigkeit für das internationale Plattenlabel war ein willkommener Ausgleich zum „Operetten-Alltag in Zürich“, wie Alfred Fassbind in seiner Biographie die künstlerische Situation Lichteggs zu dieser Zeit beschreibt. Schon bald stellte sich die Frage, ob seine Tätigkeit für die internationale Schallplattenszene in ein Amerika-Engagement münden könnte. Die amerikanischen Bühnen galten schon damals als die umkämpftesten Bühnen der Welt: Lichteggs Agent William Stein setzte sich 1947 dafür ein, den Tenor in die Vereinigten Staaten zu holen – sei es nur für ein paar Wochen. 

Für den Fall, dass es in den USA nicht klappen würde, bemühte sich William Stein weltweit um Engagements für Max Lichtegg: Stein scheute es nicht, seine Verbindungen zu Opernhäusern in aller Welt zu nutzen, um dem Sänger ein Engagement zu vermitteln. Selbst südamerikanische Opernhäuser blieben nicht außen vor. 

Den künstlerischen Wert seiner Tätigkeit stufte Lichtegg höher ein als den finanziellen Gewinn, den er aus seiner Tätigkeit zog. 

“The European Frank Sinatra“

Im Sommer 1947 traf schließlich die erfreuliche Nachricht ein: Max Lichtegg wurde für vier Auftritte in Kalifornien unter Vertrag genommen. Im Rahmen dieser Auftritte feierte Lichtegg sein Debüt in den Vereinigten Staaten: Damals war es eine Tradition, noch unbekannte Künstler, die in den USA ihr Debüt feierten, mit einem „Slogan“ zu bewerben. Für Max Lichtegg ließ sich die US-amerikanische Presse einen besonders extravaganten Slogan einfallen: Die amerikanische Boulevardpresse begrüßte den Schweizer Tenor mit der Schlagzeile “MAX LICHTEGG – The European Frank Sinatra“. So gut die Schlagzeile auch gemeint war, bewies man damit, dass die Presse in den USA zwischen einem Popsänger und einem Opernsänger keinen großen Unterschied machte. Trotzdem sang der Tenor Lichtegg nicht etwa My Way oder Strangers In The Night, sondern konzentrierte sich auf sein Opern- und Operettenrepertoire.
Max Lichtegg hatte die Wahl zwischen einem Engagement an der Lyric Opera of Chicago und dem Engagement für vier Konzerte in Kalifornien: Obwohl das Engagement in Chicago finanziell vorteilhafter gewesen wäre, entschloss sich Lichtegg für Kalifornien. 

Das unterschied Max Lichtegg von vielen anderen populären Sängern seiner Zeit, egal ob aus dem Popgenre oder aus dem Operngenre: Den künstlerischen Wert seiner Tätigkeit stufte er höher ein als den finanziellen Gewinn, den er aus seiner Tätigkeit zog. 

„Der Schuss wird Ihnen schon nach hinten losgehen“

Das amerikanische Bühnengeschäft war nicht nur hart umkämpft, es war vor allem ausgelegt auf eines: Finanzielle Rentabilität. Zwar überlebte auch in der Schweiz kein Opernhaus ohne solide Besucherzahlen, aber das Schweizer Publikum stellte ohne Frage andere Ansprüche an eine Opernvorstellung oder ein Konzert als das amerikanische Publikum. Lichtegg wusste das und reagierte stets zögerlich, wenn es darum ging, sein festes Engagement in Zürich durch Übersee-Engagements in Gefahr zu bringen.
Als Max Lichtegg nach seinem ersten Engagement in den USA in die Schweiz zurückkehrte, beäugte man sein Amerika-Intermezzo äußerst kritisch: „Der Schuss wird Ihnen schon noch nach hinten losgehen“, so der Kommentar des damaligen Direktors des Stadttheaters Zürich. Dieser Umstand zeigte dem Tenor, dass auch Zürich in Zukunft kein gänzlich sicherer Hafen sein würde: Vielleicht war dies einer der Beweggründe, warum er seinen Agenten anwies, die Fühler weiterhin in Richtung Amerika auszustrecken… 

Max Lichtegg 1947 vor der San Francisco Opera, zur Verfügung gestellt von Herrn Alfred Fassbind.

Ein sonderbares Erlebnis

Von William Stein kam grünes Licht: Max Lichtegg stand 1948 erneut eine musikalische Reise an die Westküste der Vereinigten Staaten bevor. In Los Angeles wollte man ihn wieder auf der Bühne sehen, außerdem wurde er an der San Francisco Opera für Gastspiele in Stücken wie Meistersinger (Wagner) oder Don Giovanni (Mozart) verpflichtet. Zeitgleich gab Max Lichtegg Gastspiele an der Wiener Staatsoper: Hier gab Lichtegg unter anderem eine seiner Paraderollen, den Tamino, zum Besten. Jene Engagements waren mindestens genauso wichtig für das Vorankommen seiner künstlerischen Karriere wie Engagements auf außereuropäischen Bühnen.
Als sich Lichtegg auf den Weg nach Kalifornien machte, war New York eine Zwischenstation auf der Reise. Opernkenner wissen: Die in New York beheimatete Metropolitan Opera ist für viele Opernsänger der Schlüssel zum internationalen Durchbruch. Für den Sänger arrangierte man ein Vorsingen am prestigeträchtigen Opernhaus.
„Mein Vorsingen an der Met war ein sonderbares Erlebnis.“, sollte Max Lichtegg später berichten. Man entließ den Sänger, ohne ihm ein Engagement anzubieten: Der Zürcher Theaterdirektor sollte Recht bekommen, Max Lichteggs Versuch, langfristig in Amerika Fuß zu fassen, ging gewissermaßen nach hinten los. 

Was sich zunächst nach einem schlechten Omen anhört, sollte sich bald als großes Glück entpuppen: Die Metropolitan Opera war für ihre enorme Popularität bekannt, aber nicht unbedingt dafür, ihren Sängern große künstlerische Freiheiten zu gewähren. Die nächste Phase im Leben von Max Lichtegg zeigt auf, dass ein Opernsänger nicht zwangsläufig darauf angewiesen ist, durch das „Portal der Met“ zu gehen, um als einer der versiertesten Sänger seiner Generation in die Annalen einzugehen… 

Simon von Ludwig

Teil drei.


Der Bussard dankt Herrn Alfred Fassbind aus Rüti bei Zürich, Verfasser der Max Lichtegg-Biographie, für die Zusammenarbeit. 
Das von Herrn Fassbind verfasste biographische Standardwerk über Max Lichtegg, erschienen 2016 beim Römerhof Verlag (Zürich), wurde dem Bussard zur Verfügung gestellt. Die Biographie diente als maßgebliche Quelle für den Artikel. 

Informationen zur Publikation: Fassbind, Alfred A.: Max Lichtegg – Nur der Musik verpflichtet, 2016 Römerhof Verlag Zürich

Beitragsbild: Max Lichtegg 1947 in Zürich, zu sehen in seiner Paraderolle des Tamino aus der Zauberflöte. Zur Verfügung gestellt von Herrn Alfred Fassbind.


Die Artikelserie über Max Lichtegg

Max Lichtegg: Der Charmingboy (1.)
Max Lichtegg: Der Charmingboy (1.)
Max Lichtegg: Der Botschafter des Gesangs (2.)
Max Lichtegg: Der Botschafter des Gesangs (2.)
Max Lichtegg: Der universelle Tenor (3.)
Max Lichtegg: Der universelle Tenor (3.)
PlayPause
previous arrow
next arrow

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert