Fortsetzung von Teil eins

Die Sopranistin Katharina von Mikulicz erzählte über ihre gemeinsamen Studienjahre mit Fritz Wunderlich:

„Wenn man in einem Konzert neben Fritz auf dem Podium stand, merkte man sofort, daß da etwas Außergewöhnliches vor sich geht. Daß da bei ihm in der Tiefe Dinge sind, an die wir nicht rankommen. (…)“

Die Freiburger Musikhochschule, an der Fritz ab 1950 studierte, war erst kurz nach Kriegsende gegründet worden. Zunächst war Fritz sich nicht sicher, ob er sich eine Existenz mit dem Gesang aufbauen konnte. In den ersten drei Semestern konzentrierte sich Wunderlich vorrangig auf das Hornstudium.
Doch schon bald kristallisierte sich für ihn heraus, dass er Sänger werden wollte: Am 8. Dezember 1953 wurde Fritz Wunderlich zum ersten Mal für eine Aufnahme ins Studio eingeladen. 

Zum ersten Mal im Aufnahmestudio

Während dieser ersten Aufnahmesitzung nahm Fritz Unterhaltungsmusik auf: Er stellte zum ersten Mal unter Beweis, dass er auch jenseits der „ernsten Musik“ brillieren konnte. 
Wenig später folgten Aufnahmen mit Begleitung des Kaiserslauterer Rundfunkorchesters unter Leitung von Emmerich Smola.
Diese Aufnahmen halfen ihm, sich finanziell über Wasser zu halten und seine Popularität zu steigern: Schließlich musste er ein Studium finanzieren.

Unmut an der Freiburger Hochschule

Doch an der Hochschule in Freiburg sorgten seine Aufnahmetätigkeiten fur Unmut: Manchem Professor war es unverständlich, wie ein Sänger, der am vorigen Tag eine Operette von Robert Stolz zum Besten gab, am nächsten Tag mit Bach-Kantaten brillieren konnte.
Wunderlichs Tätigkeit als Unterhaltungsmusiker wurde gar als image-schädigend für die Freiburger Hochschule deklariert: Fritz ließ sich jedoch nicht beirren und setzte den Spagat zwischen Unterhaltungsmusik und „ernster Musik“ fort. 

Knapp 350 Jahre nach ihrer Uraufführung sollte im Juli 1955 die «Favola in Musica» L’Orfeo (Claudio Monteverdi) in Hitzacker (Elbe) neu inszeniert werden: Fritz Wunderlich war Teil hiervon – bei dieser Gelegenheit entstand Wunderlichs erste Schallplattenaufnahme. 
Kurz vor dieser Aufnahme ereignete sich ein entschiedener Karrieresprung für den vierundzwanzigjährigen Tenor…

Karrieresprung

Am 4. April vermeldete die Freiburger Zeitung: «Fritz Wunderlich (…) wurde von der Leitung der Württembergischen Staatstheater Stuttgart für drei Jahre als lyrischer Tenor verpflichtet.»
In Wahrheit war es ein Fünfjahresvertrag, den man Fritz angeboten hatte. Das Staatstheater in Stuttgart war schon damals von überregionaler Bedeutung: Max Reinhardt, Begründer der Salzburger Festspiele, soll es einmal als das schönste Theater der Welt bezeichnet haben. 

Fritz hatte damals die Wahl: Entweder er bleibt in Freiburg, nimmt dort umfassende Rollen an, oder aber er geht nach Stuttgart und nimmt in Kauf, dass ihm zunächst nur weniger umfassende Rollen angeboten werden. Er entschied sich für Stuttgart.
Somit war Fritz Wunderlichs Studium nach fünf Jahren beendet – auch von seiner Gesangslehrerin Margarethe von Winterfeldt musste er Abschied nehmen. Die Brieffreundschaft zwischen beiden hielt aber an.

Einspringen als Tamino: Zufall?

Zunächst erhielt Wunderlich in Stuttgart kleinere Rollen: Das Staatstheater war für ihn eine neue Dimension, an die er sich erst gewöhnen musste.
Doch schon bald eröffnete sich für Fritz eine Möglichkeit, sein Talent unter Beweis zu stellen:
Am 18. Februar 1956 war eine Vorstellung der Zauberflöte (Wolfgang Amadeus Mozart) angesetzt. Der Tenor Josef Traxel, der den Tamino darstellen sollte, sagte ab. Man fragte den Opernstar Wolfgang Windgassen, ob er die Rolle übernehmen könne. Der schlug aber vor, die Rolle an Wunderlich zu übergeben: Hintergrund war eine Absprache, die Windgassen und Wunderlich miteinander getroffen hatten – Windgassen hatte versprochen, die Rolle des Tamino an Wunderlich zu übergeben. 
Somit sang Wunderlich zum ersten Mal vor großem Publikum seine spätere Erkennungsrolle – die Rolle des Tamino in der Zauberflöte

Fritz Wunderlich als Tamino
Fritz Wunderlich als Tamino, verwendet mit freundlicher Genehmigung der Fritz Wunderlich Gesellschaft.

Neuer Vertrag

Sein Einspringen als Tamino wurde begeistert aufgenommen: Fritz zeigte, dass er bereit dafür war, in Zukunft Hauptrollen zu übernehmen. Ohne seine Absprache mit Windgassen wäre Fritz vielleicht erst sehr viel später zu einer Hauptrolle in einer Operninszenierung gekommen.
Im April 1956 – nur ein Jahr nach Vertragsabschluss – wurde der Vertrag mit der Stuttgarter Oper revidiert: Wunderlich sollte ab sofort vorrangig Hauptrollen singen und sein Honorar für die Spielzeit 1957/58 belief sich auf 12.000 DM – das entspricht heute rund 30.000 Euro. 
In den kommenden Jahren erhöhte sich sein Jahreshonorar sukzessive – zum Ende des Fünfjahresvertrags (in der Saison 1959/60) belief sich sein Jahreshonorar auf 24.000 DM, heute knapp 55.000 Euro. 

Im Gegenzug stellte Wunderlich der Stuttgarter Oper sein gesamtes Können zur Verfügung: Am liebsten sang er Opern von Mozart oder Werke von Bach – beide Komponisten waren für ihn die Eckpfeiler der Musik.
Es dauerte nicht lange, bis Wien, die Welthauptstadt der Musik, auf den Tenor aufmerksam wurde: Am 2. April 1958 debütierte Wunderlich im Großen Konzerthaussaal in der Matthäus-Passion (Johann Sebastian Bach). Im gleichen Monat standen elf Opernvorstellungen in Stuttgart und zwei Konzertabende auf dem Terminkalender. 

Festspielsommer 1958

Der Sommer 1958 war der erste internationale Festspielsommer für Fritz Wunderlich: Er wurde für vier Zauberflöten-Vorstellungen zum Festspielsommer in Südfrankreich in Aix-en-Provence eingeladen – in der Rolle des Tamino. Georg Solti dirigierte, Walter Berry stellte den Papageno dar.
Zu dieser Zeit war der Tenor Fritz Wunderlich längst kein Geheimtipp mehr, sondern ein aufsteigender Stern am Opernhimmel…

Karl Böhm auf der Suche nach einem Tenor

Im Oktober 1958 war der Dirigent Karl Böhm auf der Suche nach einer Besetzung für die Neuinszenierung der Oper Die schweigsame Frau (Richard Strauss). Die Neuinszenierung sollte bei den Salzburger Festspielen 1959 dargeboten werden.
Besonders die Tenorpartie des Henry Morosus war vakant. Karl Böhm lud Fritz Wunderlich zum Vorsingen ein, um sich selbst einen Eindruck von der Stimme Wunderlichs zu verschaffen. 
Böhm war überzeugt: Er engagierte Wunderlich für die Salzburger Festspiele 1959.
Karl Böhm sagte über seine Zusammenarbeit mit Fritz Wunderlich: 

„Ich habe ihn zum ersten Mal erlebt bei der ersten Rolle, in der er Weltgeltung erlangte. Das war bei den Salzburger Festspielen als Henry in der Strauss-Oper Die schweigsame Frau. Ich kann mich noch sehr gut an diese Inszenierung, die ich dirigierte (…) erinnern. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie schön die Arbeit damals war. Wir haben jeden Tag bis zu zehn Stunden gearbeitet (…). Die Oper habe ich seinerzeit in Dresden uraufgeführt, habe aber als Henry nie einen besseren Vertreter dieser Partie gehört als den Fritz Wunderlich.“

Salzburger Festspiele 1959

Das Auftreten bei den Salzburger Festspielen, eines der weltweit bedeutendsten Musikfestivals der klassischen Musik, wird oft als der eigentliche Karrierebeginn Fritz Wunderlichs bezeichnet. Wer bei den Salzburger Festspielen auftritt, dem öffnen sich als Opernsänger viele Türen: So wurde im Frühjahr 1959 festgelegt, dass Wunderlich ab dem 1. August 1960 festes Ensemblemitglied der Bayrischen Staatsoper werden sollte.
In der Schweigsamen Frau traf Wunderlich zum ersten Mal mit dem Bariton Hermann Prey zusammen: Beide sollte fortan eine jahrelange Freundschaft verbinden, die in vielen musikalischen Zusammenarbeiten mündete. 

Unmittelbar nach den Salzburger Festspielen 1959 trat Wunderlich im August 1960 seinen Dreijahresvertrag mit der Bayrischen Staatsoper an: Sein Durchbruch als Opernsänger war gelungen. Doch lediglich als Opernsänger in die Annalen einzugehen, das war Fritz Wunderlich nicht genug… 

Simon von Ludwig

Teil drei.

Beitragsbild: Fritz Wunderlich als Tamino und Hermann Prey als Papageno, verwendet mit freundlicher Genehmigung der Fritz Wunderlich Gesellschaft.

Die maßgeblichen Quellen sind die Fritz Wunderlich-Biographie von Werner Pfister (Neuauflage 2005 im Schott Musikverlag) sowie eine Dokumentation über Fritz Wunderlich von 1971 (das Zitat von Karl Böhm stammt hieraus).
Der Bussard dankt der Fritz Wunderlich Gesellschaft für ihre Unterstützung.

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