Fortsetzung von Teil drei
Es war im Juni 1963, als Fritz Wunderlich einen kleinen Eklat in seiner Heimatstadt Kusel auslöste: In einer Fernsehsendung bezeichnete Wunderlich seine Heimat Kusel als „ein kleines Nest in der Pfalz“. Die Menschen aus Kusel fassten das als Beleidigung auf – bis Fritz Wunderlich von der Aufregung erfuhr, dauerte es keine 24 Stunden…
Wunderlichs Reaktion
Am Tag nach der Ausstrahlung der Fernsehsendung verfasste Wunderlich einen Brief an seine Heimat:
„Aber sagt einmal ehrlich, ist es so schlimm, unser schönes Kusel mit ‚Nest‘ zu bezeichnen? Wie anders liegt es denn eingebettet zwischen den drei Hügeln? Ist ein Nest nicht etwas, in dem man sich geborgen fühlt, in dem man glücklich ist? Ich bin sicher, daß ich im Leben nicht so weit gekommen wäre, hätte ich nicht während meiner Kindheit diese Nestwärme genießen dürfen und Ihr dürft mir glauben, mein Beruf ist nicht leicht.“
Damit war der Eklat passé und Wunderlich offenbarte, dass er trotz seiner internationalen Karriere seiner Heimat verbunden blieb.
Wien: Hauptstadt der Musikpolitik
In den kommenden Spielzeiten sollte Wunderlich der Wiener Staatsoper als festes Ensemblemitglied angehören: Wunderlich betrat damit musikpolitisches Terrain. Wunderlich selbst wurde nie Gegenstand musikpolitischer Kontroversen. Trotzdem bekam er vieles von dem mit, was in der Musikstadt Wien vor sich ging.
Zur Eröffnung der Wiener Festwochen 1963 sollte Wunderlich die Partie des Don Ottavio in Don Giovanni (Mozart) singen. Der Dirigent: Herbert von Karajan.
Karajan sorgte im Vorfeld der Don-Giovanni-Produktion für Furore: Er wollte, dass italienische Opern im Original und nicht – wie bisher üblich – in der deutschen Übersetzung gesungen werden. Don Giovanni sollte erst der Anfang sein. Karajan, damals Staatsoperndirektor, traf mit seinem Vorstoß auf Widerstand von allen Seiten.
Heute ist es in Deutschland üblich, Opern in ihrer Originalversion darzubieten. Wunderlich wirkte damals als Don Ottavio in Don Giovanni an dieser Veränderung mit.
Zwei Karrieren
Fortan waren es zwei Karrieren, die Fritz Wunderlich umtrieben: Eine als Opernsänger, die andere als Liedersänger. Hinzu kam noch eine weitere Tätigkeit:
Durch Schallplattenaufnahmen wollte Wunderlich sein Vermächtnis für die Nachwelt hörbar machen. Anfang 1964 unterschrieb Fritz Wunderlich mit der Deutschen Grammophon Gesellschaft einen Exklusivvertrag. Nur wenige Monate später unterschrieb auch Herbert von Karajan einen Exklusivvertrag mit der Deutschen Grammophon Gesellschaft – beide Künstler machten dort Aufnahmen, die bis heute unvergleichlich sind und mehrere Male durch Remastering heutigen Ansprüchen angepasst wurden.
Rückkehr nach Freiburg
Am 28. Oktober 1964 gab Fritz Wunderlich einen Liederabend in seiner Studienstadt Freiburg. Begleitet wurde er von seinem Mentor Hubert Giesen. Hubert Giesen – kein unbekannter Name in der Welt der klassischen Musik: Zwei Jahre reiste er mit Yehudi Menuhin quer durch Europa und Amerika. Er begleitete außerdem zahlreiche Konzerte der berühmten Geiger Fritz Kreisler und Erica Morini.
Eine Kritikerstimme meinte zum Liederabend von Fritz Wunderlich in Freiburg:
„Wer den Aufstieg Fritz Wunderlichs vom Scholaren der Freiburger Musikhochschule bis zur Spitzenklasse der Tenoristen verfolgt hat, der weiß, daß diese märchenhafte Karriere dem Sänger nicht in den Schoß gefallen ist. Viel Fleiß und planmäßige Arbeit ohne frühzeitiges Sichverausgaben waren notwendig, um den Erfolg zu festigen.“
Eine Formulierung sticht ins Auge: Ohne frühzeitiges Sichverausgaben. Fritz Wunderlich stand zunehmend im Fokus medialer Berichterstattung. Die Erwartungen an ihn und seine Darbietungen wurden immer höher. Die Verantwortung, einen gesamten Berufsstand zu repräsentieren, lastete auf Wunderlich. Das Risiko, sich zu verausgaben wurde somit höher – trotzdem fand er einen Weg, seine Energien einzuteilen und gleichzeitig das Publikum zufriedenzustellen.
Königin Elisabeth II.
Im Mai 1965 erwartete Wunderlich ein besonderes Engagement: In München wurde eine Galavorstellung zu Ehren von Königin Elizabeth II. und ihrem Ehemann gegeben. Die Königin hatte sich den Rosenkavalier gewünscht: Fritz Wunderlich übernahm die Rolle des Sängers. Im Hamburger Abendblatt vom 22. Mai 1965 heißt es:
„Die Königin nimmt das Glas [das Opernglas] nicht von den Augen, als Fritz Wunderlich im ersten Akt seine lyrische Arie singt.“
Neuer Entschluss – und dann kam die Met
Als die Festspielsaison 1965 zu Ende war, in der Fritz Wunderlich selten einen freien Tag hatte, fasste er einen Entschluss: Er wollte sich mehr Zeit für sich selbst und für seine Familie nehmen: 1964, ein Jahr zuvor, war sein drittes Kind geboren worden.
Das war leichter gesagt als getan: Die Metropolitan Opera in New York bot ihm an, im Herbst 1966 für vier Wochen nach New York zu kommen und in einer Don-Giovanni-Neuinszenierung mitzuwirken. Die Metropolitan Opera: Das Terrain von Maria Callas, Nicolai Gedda, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti und Ihresgleichen. Wer als Sänger an der Met auftrat, spielte in einer anderen Liga – für viele Opernsänger war die Metropolitan Opera der Schlüssel zum Tor des weltweiten Ruhms.
Fritz Wunderlich war sich nicht sicher, ob er weltweiten Ruhm wollte: Folgt man dem Biographen Werner Pfister, war Wunderlich nicht unbedingt überzeugt, als er der Met für den Herbst 1966 zusagte. Denkbar, dass Fritz Wunderlich durch dieses Engagement der erste deutsche Opernweltstar nach dem Zweiten Weltkrieg geworden wäre.
Debüt in Berlin
Am 10. Februar 1966 gab Fritz Wunderlich sein Debüt an der Deutschen Oper in Berlin, in der Rolle des Tamino in der Zauberflöte.
Gleichzeitig ging Fritz Wunderlich auf eine Liederabendtournee mit Hubert Giesen, die beide in vierzehn Städte deutschlandweit führte.
Wunderlich wollte sein Liederrepertoire auch auf der Schallplatte festhalten: Ursprünglich war die Aufnahme von Schuberts Liederzyklus Die schöne Müllerin für Februar 1967 eingeplant gewesen. Wunderlich setzte bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft durch, dass die Aufnahme auf Juli 1966 vorverlegt wurde.
Das letzte Mal
Ende August 1966 machte sich Wunderlich auf den Weg nach Edinburgh: Verschiedene Opern, darunter die Zauberflöte und Wozzeck sollten dargeboten werden. Außerdem stand ein Liederabend in der Usher Hall auf dem Terminkalender. Es sollte das letzte Mal sein, dass Wunderlich auf einer Opernbühne stand: Oft wird gesagt, Wunderlichs Karriere habe mit der Rolle des Tamino in der Zauberflöte begonnen und auch geendet.
Schicksalsschlag
Als Wunderlich am 6. September nach München zurückkehrte, stand noch ein Traviata-Querschnitt für die Deutsche Grammophon Gesellschaft auf dem Terminkalender. Danach stimmte sich Wunderlich für seine anstehende Reise nach New York ein – Ende September wurde er an der Metropolitan Opera erwartet.
Doch es sollte alles ganz anders kommen, als es geplant war: Am 16. September, kurz nach Mitternacht, zog sich Wunderlich beim Sturz von einer Treppe eine fatale Kopfverletzung zu.
Am Tag danach erlag Wunderlich seinen Kopfverletzungen. Er wurde 36 Jahre alt.
Was der Welt bleibt, ist das Vermächtnis eines er einflussreichsten Tenöre des 20. Jahrhunderts: Seine Opern- und Liederinterpretationen trug Wunderlich über die Grenzen Europas hinaus. Bis heute ist Fritz Wunderlich ein Synonym seines Berufsstandes: Posthum wird dem Sänger immer wieder aufs Neue Ehre erwiesen, so auch im Rahmen der Fritz-Wunderlich-Musiktage, regelmäßig ausgerichtet von Wunderlichs Heimatstadt Kusel.
Beitragsbild: Fritz Wunderlich als Belmonte, mit freundlicher Genehmigung der Fritz Wunderlich Gesellschaft
Die maßgebliche Quelle ist die Fritz Wunderlich-Biographie von Werner Pfister (Neuauflage 2005 im Schott Musikverlag).
Der Bussard dankt der Fritz Wunderlich Gesellschaft für ihre Unterstützung.