Fortsetzung von Teil eins

Ende 1935 wurde eine Radiosendung mit Joseph Schmidt in die Vereinigten Staaten übertragen: Vor einem Radioempfänger in New York saß der Musikmanager Sol Hurok und verpflichtete Schmidt für ein Gastspiel in den Vereinigten Staaten im Frühjahr 1937.
1936 ergab sich erneut die Möglichkeit für Schmidt, Konzerte in Deutschland zu geben: Die politische Situation hatte sich jedoch immer weiter zugespitzt, sodass die Konzerte in letzter Minute abgesagt wurden.
Doch in Deutschlands Nachbarländern war Joseph Schmidt gefragt wie nie: Am 5. Juli 1936 trat der Tenor vor 100.000 Menschen im holländischen Birkhoven auf. Für damalige Verhältnisse war das ein Konzert der Superlative – solche Besucherscharen bei Konzerten gab es nur selten. Diese Menschenmassen zeigen, welche Reichweite der Tenor in den Dreißigern hatte. Joseph Schmidt war nunmehr nicht einfach nur ein Tenor, er war ein Startenor. 

Wien war sein letzter Anker in einer Welt, die er nicht mehr erkannte.

Joseph Schmidt sings…

Europäische Radioübertragungen in alle Welt hatten die Ankündigung „Joseph Schmidt sings…“ mittlerweile zu einem Garant für künstlerische Qualität werden lassen. 
Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass Schmidt zwischen 1936 und 1938 in den Elstree Studios der British International Pictures in englischen Versionen seiner deutschsprachigen Filme mitwirkte. In diesen Jahren nahm Schmidt zahlreiche Drehtermine in London wahr – doch von Wien wollte sich der Tenor in diesen Tagen keineswegs trennen. Wien war sein letzter Anker in einer Welt, die er nicht mehr erkannte: Schmidt glaubte weiterhin daran, dass sich die Lage früher oder später entspannen würde und er seine Karriere weiterverfolgen könnte.
Bevor sich Joseph Schmidt im Frühjahr 1937 für sein Gastspiel auf die Reise in die Vereinigten Staaten begab, gab er am 24. Januar 1937 sein allerletztes Konzert in Deutschland: Seine letzte Konzertreise durch Deutschland, die ihn nach Frankfurt und Berlin führte, lag Schmidt besonders am Herzen. Die Konzerte fanden jedoch nicht ohne weiteres statt, sondern mussten vorher in einem langwierigen Prozess genehmigt werden: Allmählich dämmerte es Schmidt, dass er seine Karriere im deutschsprachigen Raum nicht länger verfolgen konnte… 

Der Weg in den Konzertsaal

„The Tiny Man With The Great Voice“ – mit diesen Schlagzeilen begrüßte man Schmidt im Frühjahr 1937 in New York. Für Schmidt war sein USA-Gastspiel in vielerlei Hinsicht eine Premiere: Nicht nur hatte er noch nie Übersee gesungen, er erhielt Zugang zu einer neuen Welt.
In dieser neuen Welt musste er erst lernen, sich zurechtzufinden: Sein Debüt in der New Yorker Carnegie Hall war für den 7. März 1937 anberaumt.
Mit diesem Debüt in der Carnegie Hall hatte Joseph Schmidt unter Beweis gestellt, dass er auch ohne ein Mikrophon das gesamte Potenzial seiner Stimme ausschöpfen konnte. Europäische Künstler hatten es damals alles andere als einfach in den Vereinigten Staaten – Schmidt konnte mit seinen Darbietungen die amerikanischen Musikliebhaber in seinen Bann ziehen.
„Es ist der ehrliche Wunsch von Joseph Schmidt, nur von einem Steinway-Flügel begleitet zu werden“: Annoncen wie diese tauchten bald in den amerikanischen Zeitungen auf und beweisen, dass sich die amerikanische Presse mit dem Tenor angefreundet hatte. Der Radiotenor Joseph Schmidt hatte seinen Weg in den Konzertsaal gefunden. Ob er auch den lange erhofften Durchbruch auf einer Opernbühne noch schaffen sollte? In Europa meinte man es zu dieser Zeit nicht gut mit ihm: Während seiner Zeit in Amerika wurde am 1. Oktober 1937 die Aufführung des Films Ein Lied geht um die Welt in Deutschland verboten. 

Es gab Ende der Dreißiger in Mitteleuropa keinen Platz mehr für einen Künstler wie ihn: Joseph Schmidt bekam das zu spüren. 

Debüt auf der Opernbühne – trotz Widrigkeiten

Nach seiner Reise nach Amerika, die im Februar 1938 beendet war, kehrte Joseph Schmidt zunächst nach Wien zurück: Für die Saison 1939/40 lag ein Vertrag mit dem Musikmanager Sol Hurok zur Unterschrift bereit – Schmidt schob das Unterzeichnen des Vertrags zunächst auf. Als Österreich Teil des Deutschen Reichs wurde und das Künstlerrefugium Wien vom einem Tag auf den anderen Geschichte war, entschloss sich der Tenor nach Belgien zu emigrieren: Trotz dieser prekären Umstände blieb der Vertrag von Sol Hurok ohne Unterschrift und Joseph Schmidt betrat kein einziges Mal mehr in seinem Leben amerikanischen Boden. Welche genauen Beweggründe Joseph Schmidt zu dieser Entscheidung geführt haben, ist bis heute nicht geklärt.
Fest steht, dass sich Joseph Schmidt in Belgien den Traum erfüllen konnte, auf einer Opernbühne zu stehen. Obwohl es in Belgien nicht selten heftige Kritik an Joseph Schmidts Auftritten hagelte – nicht zuletzt zurückzuführen auf politische Umstände – gab der Tenor seine Premiere in seiner ersten wirklichen Opernrolle. Ab Januar 1939 verkörperte Joseph Schmidt in Brüssel die Rolle des Rodolfo in Puccinis La Bohème. Diese Rolle spielte er innerhalb von einem Jahr über zwanzig Mal – im April 1939 führte ihn sogar ein Gastspiel in dieser Rolle nach Helsinki. Jenes Gastspiel in Helsinki war einer der letzten Erfolge, die Schmidt feiern sollte. Für Schmidt war es mittlerweile alles andere als einfach, einen Erfolg zu landen: Viele Kritiker stellten den Tenor schlichtweg bloß, andere zogen öffentlich über ihn her. Es gab Ende der Dreißiger in Mitteleuropa keinen Platz mehr für einen Künstler wie ihn: Joseph Schmidt bekam das zu spüren. 

Joseph Schmidt ca. 1934 in Wien: Wien war Joseph Schmidts Refugium bis in die späten Dreißiger, bevor für ihn der Spießrutenlauf begann.
Bild zur Verfügung gestellt vom Joseph Schmidt-Archiv.

Spießrutenlauf 

Am 10. Mai 1940 wollte Joseph Schmidt seinen Anhängern in Brüssel ein neues Konzertprogramm präsentieren: Doch der Lauf der Geschichte machte ihm dabei einen Strich durch die Rechnung. Am gleichen Tag begann der Westfeldzug und folglich musste Joseph Schmidt auch aus Belgien fliehen: Was nun folgte, glich einem Spießrutenlauf. An Einreisegenehmigungen in andere Länder mangelte es Joseph Schmidt nicht – man ließ ihn zunächst schlichtweg nicht aus Belgien ausreisen.
Die Kunst spielte in dieser Zeit nur noch eine untergeordnete Rolle. In dem Wirrwarr, das sich in Joseph Schmidts letzten Lebensjahren ereignete, blieb keine Zeit und kein Raum mehr für das, was er eigentlich tun wollte: Singen.
Schmidts Fluchtweg führte ihn zunächst über Frankreich und dann in die Schweiz, wo sein Lebensweg am 16. November 1942 im Alter von nur 38 Jahren ein abruptes Ende fand. 

Eine Stimme wie seine gab es nur einmal

Der Tenor hat der Nachwelt ein umfangreiches Vermächtnis hinterlassen: Nicht nur war er einer der ersten Sänger, die durch das Radio zu großem Ruhm gelangten, er nahm zahlreiche Schallplatten auf, mit denen er seine einzigartige Stimme verewigte.
Gerade sein früher Tod trug dazu bei, dass Joseph Schmidt von der Nachwelt umso mehr in Erinnerung behalten wird: Dabei spielt nicht nur sein Lebensweg eine Rolle, der nicht beispielhafter sein könnte für einen Künstler der damaligen Zeit. Der Tenor brach Konventionen, indem er es trotz zahlreicher Hindernisse – von denen seine geringe Körpergröße nur eines war – zu allem im Leben brachte, was er sich vorgenommen hatte. Er brachte es zum Radiotenor, zum Schauspieler und zum Operntenor: Die Umstände seiner Zeit hinderten Joseph Schmidt nicht daran, alles Potenzial aus seinem einmaligen musikalischen Talent herauszuholen. Eine Stimme wie seine gab es nur einmal. 

Simon von Ludwig


Der Bussard dankt Herrn Alfred Fassbind, Leiter des Joseph Schmidt-Archivs in Rüti bei Zürich, für die Zusammenarbeit.
Das von Herrn Fassbind verfasste biographische Standardwerk über Joseph Schmidt, in überarbeiteter Auflage erschienen 2021 bei Rüffer & Rub, wurde dem Bussard zur Verfügung gestellt. Die Biographie diente als maßgebliche Quelle für den Artikel.

Informationen zur Publikation: Fassbind, Alfred A.: Joseph Schmidt – Sein Lied ging um die Welt, 2021 Rüffer & Rub

Beitragsbild: Joseph Schmidt 1937 im Atelier Lotte Jacobi in New York, zur Verfügung gestellt vom Joseph Schmidt-Archiv


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