Fortsetzung von Teil eins

Anfang der Siebziger Jahre stand Montserrat Caballé vor der wahrscheinlich größten künstlerischen Herausforderung ihrer Karriere: Opernkenner hatten jahrelang darauf gewartet – nun war es soweit: Montserrat Caballé würde ihr Debüt in der Rolle der Norma in Puccinis gleichnamiger Oper geben. Es wurde gemunkelt, Montserrat Caballé würde die Nachfolgerin von Maria Callas in der Rolle der Norma werden: Maria Callas hatte ihre internationale Karriere mit der Norma gewissermaßen gestartet und 1965 mit ihrem letzten Auftritt in einem Opernhaus auch in dieser Rolle beendet. Caballé hatte sich einst geäußert, Callas sei ihr größes Vorbild für die Rolle der Norma gewesen – die weltbekannte griechische Sopranistin riet Caballé aber, keinesfalls ihre Norma zu kopieren, sondern ihre eigene Interpretation zu schaffen. 

Norma

Das Feld war offen für Montserrat Caballé: Nach Maria Callas hatte sich kaum mehr eine Sopranistin an die Rolle der Norma herangetraut. Callas galt als Maßstab, der unerreichbar schien. Als Montserrat Caballé am Abend des 8. Januar 1970 hinter der Bühne des Gran Teatro del Liceo in Barcelona stand und in wenigen Minuten die Norma zum Besten geben würde, war eines klar: Es war nicht ihr Ziel, Maria Callas zu übertreffen oder von ihrem „Thron“ zu stoßen. Mit ihrer Interpretation der Norma schuf Montserrat Caballé eine alternative Interpretation der Norma, die sich unabhängig von anderen Interpretationen behaupten konnte. 

Mit den Schallplattenaufnahmen verewigte sich Caballé.

Maria Callas

Kurz nach ihrem Debüt in der Rolle der Norma erhielt Caballé ein besonderes Geschenk von Maria Callas: Jenes Paar Ohrringe, das Callas anlässlich ihrer Norma-Auftritte an der Scala 1955 getragen hatte. In einem Interview wenige Tage vor ihrem Tod antwortete Maria Callas folgendes auf die Frage, ob sie eine Nachfolgerin in der Opernwelt habe: „Dafür kommt nur Montserrat Caballé in Frage.“
Caballé entschied sich, die legendären Ohrringe nicht zu tragen: „Es gab nur eine Maria“, begründete Caballé ihre Entscheidung.
Neben der Rolle der Norma hatten Caballé und Callas noch eine weitere Gemeinsamkeit: Beide arbeiteten mit dem einflussreichen Theater- und Opernregisseur Luchino Visconti zusammen, der bei zahlreichen Operninszenierungen federführend war. 

In den Siebzigern nahm Montserrat Caballé zahlreiche Schallplattenaufnahmen auf: Ihre Arbeit für verschiedene Aufnahmestudios führte sie in zahlreiche europäische Städte. Mit den Schallplattenaufnahmen verewigte sich Caballé.
1973 debütierte Montserrat Caballé am Covent Garden in London und an der Lyric Opera of Chicago, beide Male in der Rolle der Violetta in Traviata (Verdi).

Rückkehr nach Wien

Zum Eröffnungsabend der Opernsaison 1976-77 kehrte Montserrat Caballé an die Wiener Staatsoper zurück: Vor fast zwanzig Jahren – als sie noch weit weniger bekannt war – hatte ihr die Wiener Staatsoper nach einem Gastspiel einen Vertrag angeboten, den sie ablehnte. Nun kehrte sie als Zugpferd einer Don Carlos-Inszenierung zurück an die Oper. Der Abend glich einer Galavorstellung und wurde unter anderem von Elizabeth Taylor besucht. Die Vorstellung verlängerte sich um eine Stunde, da die Standing Ovations zu keinem Ende kamen. 

La vestale

Am 26. Dezember 1982 debütierte Montserrat Caballé in der Oper La vestale (Gaspare Spontini): Bei der Oper handelte es sich damals um eine Rarität. Ursprünglich war die Oper aus dem Jahre 1807 als ein Geschenk an die Gattin von Kaiser Napoleon, Joséphine, gedacht. Die Oper wurde im 20. Jahrhundert kaum aufgeführt: Die einzige berühmte Produktion der Oper war eine Scala-Produktion von 1954 mit Maria Callas in der Titelrolle. La vestale war eine weitere Oper, in der Montserrat Caballé das Erbe von Maria Callas antrat. 

1985 tourte die britische Rockband Queen durch Europa: Anlässlich dieser Tournee spielte die Band im Fußballstadion von Barcelona. Der Gründer und Leadsänger der Gruppe Freddie Mercury verkündete im spanischen Fernsehen, von allen spanischen Institutionen bewundere er Montserrat Caballé am meisten und nichts wünsche er sich mehr, als sie zu treffen. 

Freddie Mercury schrieb das Stück Barcelona als Zeichen seiner Bewunderung für die spanische Sopranistin.

Freddie Mercury 

Der Presserummel um diese Äußerung Mercurys war so groß, dass Caballé Wind davon bekam: Doch zunächst wurde nichts aus dem Treffen. Mitte der Achtziger hatte Caballé einen strikten Tourneeplan, dem sie nachkommen musste.
Am 22. Juni 1985 führte sie ihr Tourneeplan zum Royal Opera House in London: Dort gab sie einen Liederabend. Am Ende des Liederabends wurde ein Treffen zwischen Freddie Mercury und Montserrat Caballé arrangiert. Das Treffen arrangierte Mike Moran, der in den Siebzigern als Korrepetitor am Covent Garden tätig war und nun zur Entourage von Queen gehörte.
Freddie Mercury schrieb das Stück Barcelona als Zeichen seiner Bewunderung für die spanische Sopranistin. Außerdem war Freddie Mercury damit beauftragt worden, einen Song für die Sommerolympiade 1992 in Barcelona zu verfassen.

Barcelona

Ende der Achtziger gehörte es zu Caballés jährlicher Routine, einmal am Royal Opera House in London aufzutreten: Bei einer dieser Vorstellungen hörte das Publikum nicht auf, nach Zugaben zu rufen. Als eine dieser Zugaben sang Caballé an jenem Abend ein Lied namens Exercise in Free Love, das Freddie Mercury für sie geschrieben hatte. Mercury saß an jenem Abend im Publikum und verbeugte sich – das Publikum begriff die Kollaboration zwischen einem Rockstar und einer Operndiva erst am nächsten Tag, als alle Zeitungen davon berichteten.
Die Kollaboration mit Freddie Mercury sollte Montserrat Caballé weit über die Opernwelt hinaus bekannt machen: Zwischen Januar 1987 und 1988 nahm das Duett Barcelona feste Züge an und wurde aufgenommen. 

Ruhm jenseits der Opernwelt

Die Schallplatte Barcelona, die noch andere Duette der beiden enthielt, kletterte innerhalb kürzester Zeit an die Spitze der Charts. Es kam damals selten vor, dass eine Operndiva an die Spitze der Charts rückte: Bis heute kennen viele Popliebhaber weltweit Montserrat Caballé nur wegen ihrer Zusammenarbeit mit Freddie Mercury. Damit ist Caballé eine der ganz wenigen Stars Oper, deren Berühmtheit die Grenzen der Opernwelt überschreitet. 

Im Laufe der Neunziger Jahre wurde Montserrat Caballé immer wieder als die letzte noch lebende Operndiva angepriesen: Der Operngesang war ihre Leidenschaft, der sie bis in ihre letzten Lebensjahre nachging. Bis zu ihrem Tod im Jahre 2018 war Caballé regelmäßig auf einer Opernbühne zu sehen und gab Konzertabende: Sie ließ sich bis zuletzt durch nichts und niemanden beirren, ihrer großen Leidenschaft nachzugehen.

Simon von Ludwig

Artikelserie über Maria Callas

Maßgebliche Quelle: Pullen, Robert & Taylor, Stephen: „Montserrat Caballé – Casta Diva“, 1994 Victor Gollancz 

Beitragsbild: © Simon von Ludwig

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