Sie galt als die Lieblingssängerin von Herbert von Karajan, war eine Freundin der Maria Callas und wuchs mit Luciano Pavarotti auf: Mirella Freni.
Als Mirella mit zehn Jahren einen Gesangswettbewerb gewann, riet man ihr, ihre Stimme zu schonen: So würde sie es eines Tages zu einer großen Sängerin bringen, prophezeite ihr der Tenor Beniamino Gigli. Sie befolgte den Rat: Jahrelang sang Mirella nicht und ließ ihrer Stimme genügend Freiraum, damit sie sich entwickeln konnte. 

Debüt als Teenager

Mit 19 Jahren feierte Freni ihr Debüt am Teatro Communale in Modena: Sie gab die Rolle der Micaëla in Bizets Carmen zum Besten. Dass sie den Rat aus ihrer Kindheit befolgt hatte, zahlte sich aus: Freni wurde gefeiert.
Es war nicht einfach für Mirella, so lange mit dem Singen zu warten: Der Wunsch, endlich aufzutreten, wurde in ihren Teenager-Jahren immer stärker. Doch sie erinnerte sich immer wieder an den Rat, den der Tenor Gigli ihr gegeben hatte… 

La Prudentissima

Die Fähigkeit, das Limit der eigenen Stimme zu kennen, begleitete Freni während ihrer gesamten Karriere. Sie nahm sich vor, keine Partien zu singen, die ihre Stimme ruinieren würden.
Einmal lud Karajan sie dazu ein, die Titelrolle in Turandot (Giacomo Puccini) zu singen. Ein Angebot, dass nicht alle Tage hereinkam: Die Ehre, unter dem Maestro von Karajan zu singen, wurde nicht jedem Sänger zuteil.
Doch Freni sagte ab: Sie war überzeugt davon, dass die Rolle der Turandot ihr Stimmvolumen übersteige.
Eines der Geheimnisse hinter Frenis jahrzehntelanger Gesangskarriere war, nicht das erstbeste Engagement anzunehmen. Auch wenn das Angebot von Karajan kam. Nicht wirtschaftliche Interessen standen an erster Stelle, auch nicht das Prestige einer Rolle, sondern die Musik und die Qualität des Dargebotenen.
Nicht ohne Grund wurde Mirella Freni von den italienischen Opernliebhabern La Prudentissima (dt. „die Vorsichtige“) getauft. 

Nach ihrem erfolgreichen Debüt setzte sie alles daran, mehr Erfahrungen in der Opernwelt zu sammeln: 1961 übernahm sie kurzfristig die Rolle der Nanetta in Falstaff (Giuseppe Verdi) für eine Aufführung im Covent Garden London.
Ein Jahr später feierte sie ihr Debüt bei den Festspielen von Glyndebourne als Susanna in Le nozze di Figaro (Mozart). 

Einflussreicher Förderer

Am 31. Januar 1963 feierte eine neue Produktion von La Boheme am Teatro alla Scala ihre Premiere: Herbert von Karajan dirigierte, Franco Zeffirelli inszenierte. Mimì wurde von Mirella Freni dargeboten. 

Herbert von Karajan war von der Stimme Frenis begeistert – fortan wurde er ein einflussreicher Unterstützer der italienischen Sopranistin.
Jene Produktion gastierte am 3. November 1963 auch in Wien – doch nicht ohne Zwischenfälle:
Als die Gewerkschaft der Wiener Staatsoper bemerkte, dass Karajan nicht nur das gesamte Ensemble der Scala, sondern auch den Maestro suggeritore, den Assistent des Dirigenten, aus Italien engagiert hatte, kam es zum Bruch zwischen Karajan und der Gewerkschaft: Karajan war schon auf dem Weg zu seinem Dirigentenpult und der österreichische Bundespräsident hatte seinen Sitzplatz eingenommen, als der Streikbefehl kam.
An jenem Abend fand keine Vorstellung statt – doch das sollte die Karriere der Mirella Freni keineswegs behindern. 

Misserfolg oder abgekartetes Spiel?

Doch zunächst legte sich ein kleiner Schatten über ihren aufgehenden Stern: Karajan hatte die Idee, eine Neuinszenierung der Traviata (Giuseppe Verdi) in die Wege zu leiten. Karajans letzte Neuinszenierung der Traviata lief alles andere als optimal ab: Es war 1957, als Maria Callas mit Herbert von Karajan vereinbarte, im Festspielsommer siebenmal die Traviata zu singen. Als der Vertrag am 4. Mai 1957 unterschrieben werden sollte, konnte es zu keiner Einigung kommen: Karajan musste die Traviata ohne Maria Callas inszenieren. 

Unter diesen Vorzeichen stand Karajans neuer Anlauf – dieses Mal sollte Mirella Freni die Violetta zum Besten geben. Der Maestro war überzeugt, dass Mirella Freni die richtige für die Violetta war. Doch auch dieses Mal hatte der Maestro kein Glück mit seiner Neuinszenierung: Zwar gab es keine Vertragsschwierigkeiten, doch Mirella Freni wurde ausgebuht, das Publikum schätzte ihre Interpretation nicht. Später machte Mirella Freni Andeutungen, es sei ein abgekartetes Spiel gewesen: Sie wurde mit allerlei Gegenständen aus den Zuschauerrängen beworfen, die Opernbesucher für gewöhnlich nicht mit in die Oper brachten. Es sollte der einzige Misserfolg in Mirella Frenis jahrzehntelanger Karriere bleiben.
Herbert von Karajan ließ sich von diesem Reinfall nicht abbringen und unterstützte die Sopranistin weiterhin: 1963 begann eine 17-jährige musikalische Zusammenarbeit zwischen Karajan und Freni, die sich insbesondere durch zahlreiche Plattenaufnahmen manifestierte. 

Übergang zu dramatischen Rollen

1964 feierte sie ihr Debüt an der Metropolitan Opera als Mimì in La Bohème: Mit diesem Debüt erlangte sie internationale Berühmtheit. Die Rolle der Mimì wurde fortan ihre Erkennungsrolle.
In den folgenden Jahren gab sie viele Rollen an der Metropolitan Opera zum Besten, bis sie sich 1968 dazu entschloss, hauptsächlich in Europa aufzutreten. Herbert von Karajan schlug ihr vor, zu dramatischen Rollen überzugehen. Dies bezog sich insbesondere auf die Rolle der Desdemona in der Verdi-Oper Otello. Freni folgte dem Vorschlag, zur Überraschung der Opernwelt. Bisher war sie vor allem bekannt, „leichtere“ Rollen zu singen – nun erfand sie sich neu als dramatischer Sopran…

Es gelang ihr: 1975 spielte sie Elisabeth de Valois in Don Carlos (Verdi) und 1979 die Aida in Verdis gleichnamiger Oper. Beides Rollen, die als anspruchsvoll angesehen werden und von einer Sopranistin viel Training und Ausdauer abverlangen.
Auch der schauspielerische Aspekt der Oper kam in ihrer Karriere nicht zu kurz: 1974 stand sie gemeinsam mit Plácido Domingo für den Opernfilm Madama Butterfly vor der Kamera – Karajan dirigierte. 
Als Freni 1980 das Angebot Karajans, die Turandot zu singen, ablehnte, kam es zum Bruch zwischen beiden Musikschaffenden: Sie arbeiteten nach 1980 nicht wieder zusammen.

Verismo-Stil

In den Neunzigern entschloss sich Freni, einen neuen Opernstil in ihr Repertoire aufzunehmen: Den Verismo. Diese Stilrichtung der italienischen Oper erlebte ihre Blütezeit zwischen 1890 und 1920. Freni glänzte in Rollen wie der Titelrolle in Adriana Lecouvreur (Francesco Cilea) oder der Rolle der Caterina Hubscher in Madame Sans-Gêne (Umberto Giordano). Der Sopranistin gelang es in den Neunzigern erneut, eine neue Stilrichtung in ihr Repertoire aufzunehmen.  

In einem Interview von 1990 sagte Mirella Freni:

„Die Leute fragen mich immer, was mein Geheimnis ist, worin liegt die Magie? Warum bin ich immer noch auf der Bühne? Ich liebe und respektiere mein Instrument. Ich wurde mit einem Instinkt geboren, was richtig ist, was die richtige Technik ist und ich habe daran zum größten Teil selbst gearbeitet.“

Abschied von der Opernbühne

2005 sang Mirella Freni im Alter von 70 Jahren in einer Produktion von Die Jungfrau von Orleans (Tschaikowski) an der Washington National Opera. Im selben Jahr gab die Metropolitan Opera eine Gala anlässlich ihrer nunmehr 50 Jahre andauernden Bühnentätigkeit. Es war ihr Abschied von der Opernbühne.
Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Bass Nicolai Ghiaurov, errichtete Mirella Freni die Centro Universale de Bel Canto in Vignola (in der Provinz Modena), an der Opernsänger aller Stimmfächer ausgebildet wurden. Ab 2002 unterrichtete das Ehepaar hier Meisterklassen. 

Unvergesslich

Mirella Freni gilt nicht ohne Grund als eine der einflussreichsten Sopranistinnen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Ihre fünfzigjährige Karriere ist einmalig. Hinzu kommt die Vielfalt ihres Repertoires: Mit Rollen wie der Mimì in La Bohème über Verdis Aida bis hin zur Adriana Lecouvreur deckte Mirella Freni große Teile der europäischen Oper ab. Doch auch vor der russischen Oper schreckte Freni nicht zurück: Tschaikowski-Opern wie Eugen Onegin gehörten gleichermaßen zu ihrem Repertoire, das insgesamt über 40 Opernrollen umfasste. Dank über 30 Gesamtaufnahmen von Opern bleibt Mirella Freni ihrem Publikum bis heute unvergessen und gewinnt auch nach ihrem Ableben die Herzen von Opernliebhabern. 

Simon von Ludwig

Als maßgebliche Quelle diente der Dokumentarfilm „Mirella Freni – A Life Devoted To Opera“, 2010 Arthaus Musik.

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