Möchte man die Geschichte des Rock’n Roll erzählen, kommt man an seinem Namen nicht vorbei: Bevor Elvis Presley oder die Beatles das Showbusiness bestimmten, waren es Musiker wie Ricky Nelson (1940 – 1985), die den Grund lieferten, warum sich der Rock’n Roll Rock’n Roll nannte. Doch wie kam es, dass es mit Nelsons Karriere ab Mitte der Sechziger steil bergab ging und fortan Phänomene wie Elvis Presley oder die Beatles die Musikcharts dominierten? 

Man kann nicht sagen, dass Ricky Nelson selten an der Spitze der Charts stand: Bei über 50 Gelegenheiten stand Nelson an der Spitze der Billboard Charts. Nelson kam keineswegs aus einer musikfremden Familie – sein Vater war ein Bandleader und seine Mutter war Sängerin. Nelsons Vater Ozzie Nelson stammte aus New Jersey und hatte 1930 seine eigene Band gegründet – dieses Orchester genoss damals einen gewissen Status: Ozzie Nelsons Orchester ging bei einem Wettbewerb, dessen Sieger sich als das beste Orchester von New York City bezeichnen durfte, noch vor Paul Whitemans Orchester als Sieger hervor. 

The Adventures of Ozzie and Harriet

In den Vierzigern konnte Rickys Vater Ozzie seine Band über die Medien der damaligen Zeit weiter bekannt machen: Ab 1944 hatte die Band ihre eigene Radioshow, The Adventures of Ozzie and Harriet. Es war absehbar, dass es nicht lange dauern würde, bis der 1940 geborene Ricky Nelson in der Radioshow seiner Eltern auftreten würde – 1949 trat er zum ersten Mal an der Seite seines Bruders David in der Radioshow The Adventures of Ozzie and Harriet auf. 

Wenig später wurde aus der Radioshow – gemäß den technischen Fortschritten in den Fünfzigern – ebenfalls eine Fernsehshow: Es lag in der Natur in der Sache, dass Ricky Nelson auch in der familiären Fernsehshow regelmäßig auftrat und so einem sehr breiten Publikum bekannt wurde. 
In den Fünfzigern war Ricky Nelson auf dem besten Weg, einer der ersten Teenagerstars im Showbusiness der Vereinigten Staaten zu werden: Die musikalischen Einlagen, die er unter anderem in der familiären Show ablieferte, begeisterten schon bald zahlreiche Musikhörer. 

Meistens lieferte Ricky Nelson zum Schluss einer Folge der familiären Show eine Gesangseinlage.

Vorbild für Elvis Presley?

Damals, als Musik ausschließlich auf Schallplatten veröffentlicht werden konnte, war es üblich, einen Song mit Hit-Potenzial auf die A-Seite der Schallplatte zu setzen und einen weniger verheißungsvollen Song auf die B-Seite der Schallplatte. Nicht selten kam es daher vor, dass der Song auf der B-Seite einer Schallplatte nicht mehr als ein Lückenfüller war, von Hörern kaum beachtet wurde und in den Charts erst gar nicht erwähnt wurde. 
Bei Ricky Nelson verhielt sich das Ganze ein wenig anders: Wurde eine Ricky Nelson-Schallplatte veröffentlicht, war es für eine Zeitlang eine Selbstverständlichkeit, dass der Song auf der A- und der B-Seite der Schallplatte in den Charts landete. 

Obwohl Elvis Presley fünf Jahre älter war als Ricky Nelson, ist es gut möglich, dass Ricky Nelson eines der Vorbilder von Presley war: Presley soll später dem Gitarristen James Burton gegenüber geäußert haben, dass er niemals eine Folge The Adventures of Ozzie and Harriet verpasste und insbesondere von Nelsons Gesangskünsten begeistert war. James Burton war lange Zeit der Gitarrist in Ricky Nelsons Band und arbeitete später einige Jahre für Elvis Presley.
Meistens lieferte Ricky Nelson zum Schluss einer Folge der familiären Show eine Gesangseinlage, die auch dazu beitrug, seine Schallplatten an die Spitze der Charts zu bringen. 

Rio Bravo

Eine der erinnerungswürdigsten Darbietungen lieferte Ricky Nelson zweifelsohne im Howard Hawks-Western Rio Bravo (1959) an der Seite von John Wayne, Dean Martin und Walter Brennan: Nelson bot im Western unter anderem den Folksong Cindy dar – Hawks entschloss sich, Ricky Nelson in der Rolle des Colorado Ryan zu besetzen und äußerte später, dass der große Erfolg von Rio Bravo unter anderem auf den Auftritt von Ricky Nelson zurückzuführen sei – Rio Bravo gilt heute als einer der besten Western von Howard Hawks. 

Jene Szene, in der Nelson mit Dean Martin Cindy darbietet, umgibt eine wahre Magie: Selbst der gestandene Westerndarsteller John Wayne kann sich dieser Magie nicht entziehen und ist sichtlich fasziniert von der Gesangseinlage. In diesem Film zeigte Ricky Nelson, dass er nicht nur ein enormes musikalisches Potenzial besaß, sondern auch eine wahre darstellerische Gabe sein Eigen nennen konnte – man möchte sich fragen, welche Art von Schauspieler Ricky Nelson geworden wäre, wenn man ihn in weiteren solchen Rollen engagiert hätte. Doch irgendetwas hielt Ricky Nelson davon ab, in dieser Richtung weiterzuarbeiten – stattdessen stürzte er sich in den Sechzigern wieder in den rohen Konkurrenzkampf mit anderen Musikern, der mit dem Aufkommen neuer musikalischer Bewegungen und Phänomene immer hoffnungsloser wurde… 

Songs aus den 1930ern aufzuwärmen, galt als vollkommen unmodern. 

Travelin’ Man – Faszination für jüngere und ältere Musikhörer

1961 brachte Ricky Nelson wohl einen seiner bekanntesten Songs überhaupt heraus: Travelin’ Man erklomm damals die Spitzen sämtlicher Charts. Das Besondere an Ricky Nelson war, dass er jüngere wie ältere Generationen gleichermaßen in den Bann zog – ein großer Unterschied zu Phänomenen wie Elvis Presley oder den Beatles, die ab 1963 im Rahmen der „britischen Invasion“ auch im US-amerikanischen Showbusiness Einzug hielten. Elvis Presley genoss hauptsächlich bei jüngeren Generationen ein hohes Ansehen, wohingegen Ricky Nelsons Musik moderne Elemente mit klassischen Akzenten der damaligen amerikanischen Musikkultur verband – damit war Nelsons Musik nicht nur der jungen Generation an Musikhörern vorbehalten.

Das mag auch mit Ricky Nelsons Faible für die amerikanische Musik der 1930er zusammenhängen: Seine Vorliebe für die Musik der 1930er brachte Ricky Nelson unter anderem mit einer Neuinterpretation des Hits For You, das einst vom Bandleader Glen Gray (1906 – 1963) bekannt gemacht wurde, zum Ausdruck. 
Doch obschon diese Werke eine enorme künstlerische Qualität aufwiesen, waren sie in der hart umkämpften Musikwelt der Sechziger keineswegs ein Garant für Erfolg: Im Gegenteil, Songs aus den 1930ern aufzuwärmen, galt als vollkommen unmodern. 

Stone Canyon Band – ungenutztes Potenzial

Ab Mitte der 1960er war der Rock’n Roll für Ricky Nelson praktisch „tot“ und er wollte sich der Country-Musik widmen: Das mag hauptsächlich damit zu erklären sein, dass die Erfolge in der sich ständig verändernden Welt der Mainstream-Musik ausblieben. Um sich ganz der Country-Musik zu widmen, gründete Ricky Nelson 1969 die Stone Canyon Band – über diese Band und ihre zahlreichen Alben aus den Siebzigern ist zwar heute so gut wie nichts mehr bekannt, was aber nicht bedeutet, dass die Band keinen nachhaltigen Einfluss auf das US-amerikanische Showbusiness ausübte. So war der Rockmusiker Randy Meisner (1946 – 2023), der später Gründungsmitglied der extrem erfolgreichen Band Eagles war, einige Zeit Mitglied bei Ricky Nelsons Stone Canyon Band

Ricky Nelson wiederholte nie wieder seine überwältigenden Erfolge aus den Fünfzigern: Obwohl er das Potenzial besessen hätte, es zu einem Sänger und Schauspieler zu bringen, der jüngere wie ältere Generationen begeisterte, bekam er nicht die Chance, dieses Potenzial vollkommen auszuschöpfen. 

Simon von Ludwig


Beitragsbild: © Simon von Ludwig

Maßgebliche Quellen: Die Biographie von Ricky Nelson auf rickynelson.com und eine Dokumentation über Ricky Nelson via YouTube.


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