Auf der Erde bestand über 63 Millionen Jahre hinweg eine extrem vielfältige Walnussflora. Heute fehlen jedoch die meisten dieser Arten – die heutigen Walnusspflanzen sind aus erdgeschichtlicher Sicht nur ein Überbleibsel einer einst reichen Walnusskultur. Wie kam es, dass eine Pflanze, die bereits vor 65 Millionen Jahren in einer verwandten Form Europa besiedelte, zwischenzeitlich in Europa ausstarb? 
Erforscht man die Geschichte einer Pflanze wie die der Walnuss, muss man sich von der gängigen Zeitrechnung, wie man sie aus dem Alltag kennt, trennen. Bei der Erforschung der Kulturgeschichte einer Pflanze rechnet man nicht in hunderten Jahren, auch nicht in tausenden Jahren, sondern in Millionen von Jahren. Anhand der Geschichte der Walnuss kann man eine Reise durch die verschiedenen Erdzeitalter antreten – der Zürcher Landschaftsarchitekt und Stadtökologe Jonas Frei nimmt den interessierten Leser in seiner 2019 erschienen und 2023 erweiterten Monografie „Die Walnuss. Arten, Botanik, Geschichte, Kultur“ auf genau diese Art der Reise mit. Bis heute ist die Entwicklung der Walnussgewächse zu keinem Stillstand gekommen – der fortwährende Wandel, den man über die letzten Jahrmillionen nachvollziehen kann, setzt sich stetig fort. 

Doch die Walnuss überlebte.

Eiszeitalter

Im Laufe der Erdgeschichte gab es immer wieder in regelmäßigen Abständen Eiszeitalter: An diesem Vorgang hat sich auch heute nichts geändert. Diese regelmäßig auftretenden Eiszeiten führten dazu, dass sich sehr viele ans warme Klima gewöhnte Pflanzen aus Mitteleuropa fast gänzlich zurückzogen. Wenn sich das Verbreitungsgebiet einer Pflanze damals nicht auch schon bis in den Mittelmeerraum erstreckte, starb sie meistens komplett aus – die vergleichsweise geringe Artenvielfalt im heutigen Europa ist laut Jonas Frei auf diesen Umstand zurückzuführen. In der Kulturgeschichte der Walnuss gab es keine „Zäsur“, nach der die Walnuss in Mitteleuropa gar nicht mehr auffindbar war: Vielmehr herrschte ein ständiges Hin- und Her zwischen Eiszeiten und Wärmeperioden vor, die Walnuss eroberte zwischenzeitlich Teile ihres Gebietes in Mitteleuropa zurück, gab es dann wieder her, bis vor ca. 10.000 Jahren (dem Ende der letzten Eiszeit) die Walnuss in Mitteleuropa schließlich gänzlich ausgestorben war. 

Im Gegensatz zur Haselnuss, nach der man wegen ihres enormen Stellenwerts in der Ernährung des Steinzeitmenschen die Haselzeit benannte, wurde nach der Walnuss keine Periode der Steinzeit benannt: Nach der letzten bekannten Eiszeit gab es lediglich in Nordamerika und Asien noch einige Abkömmlinge der Walnusspflanze. Doch die Walnuss überlebte.

Wiederverbreitung der Walnuss

Wie kam es, dass die Walnussgewächse ihren Weg zurück nach Mitteleuropa fanden? 
Man geht zum Beispiel davon aus, dass die Entwicklung der Haselnuss evolutionsgeschichtlich parallel zur Entwicklung der Nager verlief – ohne Nager gäbe es keine Tiere, welche die Haselnuss hätten verbreiten können. Doch bei der Walnuss verhält es sich anders: Zwar spielen auch hier bei der Verbreitung Nager keine geringe Rolle, doch die Tatsache, dass sich die Walnuss nach dem Ende der letzten Eiszeit ihr europäisches Verbreitungsgebiet zurückeroberte, ist vor allem auf die Evolution einer auf der Erde heimischen Spezies zurückzuführen: Die Evolution des Menschen. Auf verschiedene Quellen aus der Zeit der Römer und der Griechen lässt sich zurückführen, dass die Walnuss in beiden Hochkulturen einen hohen Stellenwert genoss. Der Walnussbaum war gar Bestandteil der griechischen Mythologie – der botanische Name der Walnussgattung der Hickorys Carya geht sogar auf die griechische Mythologie zurück: Karya war die jüngste Tochter des Königs der Lakonier, in die sich  Dionysos, der Gott des Weines, verliebte. Dionysos verwandelte sie in einen Nussbaum. 

Doch von woher kamen ursprünglich jene Walnussbäume, die zu Zeiten der Griechen in Europa wieder angebaut wurden? In griechischen Schriften ist von der Walnuss als „Persische Nuss“ die Rede – andere Theorien gehen davon aus, dass der Eroberer Alexander der Große die Walnuss im Mittleren Osten entdeckt haben soll und in den Mittelmeerraum mitbrachte. 
Eines steht fest: In der Wiederverbreitung der Walnuss im mitteleuropäischen Raum spielte die kulturelle Entwicklung des Menschen eine entscheidende Rolle. 

»Noix de Grenoble«

In der römischen Kultur genoss die Walnuss ebenfalls einen hohen Status: In den Ruinen der Stadt Pompeji am Fuße des Vesuv, die im Jahr 79 n. Chr. von einem Vulkanausbruch durch dicke Ascheschichten in einen Zustand der Erstarrung versetzt wurde, fand man die versteinerten Überreste von Walnüssen. 

Auf Anordnungen des Frankenkaisers Karl der Große geht zurück, dass der Walnussbaum auf dem Gebiet des von ihm initiierten europäischen Reiches in großem Stil wieder angepflanzt wurde: Karl der Große war nicht nur ein Feldherr, er war auch bekannt für seine groß angelegten Reformen auf dem Gebiet der Landwirtschaft. Auf eine dieser Reformen geht die enorme Verbreitung der Walnuss auf dem Gebiet des einstigen Frankenreichs zurück – auch im heutigen Frankreich findet sich noch eine Hochburg des Walnussanbaus: In der sehr kulturell und kulinarisch geprägten Region Périgord im Südwesten Frankreichs und rund um die Stadt Grenoble werden heute die einzigen Walnüsse angebaut, die den Status einer geschützten Ursprungsbezeichnung genießen.
Unter der Bezeichnung »Noix de Grenoble« werden großkernige, ausgesuchte Walnüsse vertrieben. Die Walnüsse aus dieser Region sind geschmacklich den Erzeugnissen aus anderen Massenproduktionen häufig vorzuziehen. Eigentlich herrscht rund um Grenoble ein perfektes Weinbauklima vor: Doch wegen der Verbreitung der Reblaus avancierte die Walnuss rund um Grenoble von der Nebenkultur zur Hauptkultur. 

Walnussholz wird häufig bei der Konstruktion von Instrumenten verwendet.

Vielfältige Verwendung der Walnusspflanze

Jonas Freis Monographie über die Walnuss unterteilt sich in zwei wesentliche Teile: Im ersten Teil wird der Leser detailliert darüber aufgeklärt, wo die geschichtlichen Ursprünge der Walnusspflanzen liegen, wie die Walnuss genutzt wird und welche Systematik den verschiedenen Walnusssorten zugrundeliegt. Der zweite Teil der Monographie ist prall gefüllt mit Artenportraits sämtlicher Sorten der Walnusspflanze, die sich auf der Erde finden: Jede einzelne Sorte ist detailgetreu beschrieben und mit Bildern illustriert. Damit ist Freis Walnuss-Buch ein auch für Laien verständliches Werk, um einen Überblick über die Kulturgeschichte der Walnuss zu erhalten, aber gleichzeitig auch ein Lexikon für den geschulten Botaniker. 

Die Erzeugnisse der Walnusspflanzen werden vielfältig verwendet: Neben dem Kern der Walnussfrucht, der genießbar ist und auch zum Backen verwendet werden kann, kommt auch dem Holz des Walnussbaums im Möbelbau eine große Bedeutung zu. Walnussholz wird auch häufig bei der Konstruktion von Instrumenten verwendet – das Edelholz kann es in Sachen Qualität und Beständigkeit mit manchem Tropenholz aufnehmen, das massenweise zur Möbelherstellung verwendet wird. Verglichen mit Tropenholz hat das Walnussholz in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung eher eingebüßt, wird jedoch nicht selten für luxuriöse Intarsien und Maserfurniere verwendet. 

Die Walnuss – Überlebende der Eiszeit

Von Nordamerika über Europa bis Asien: Die Walnusspflanze ist auf allen drei Kontinenten zu finden und wird in der europäischen wie in der asiatischen Kultur geschätzt. Jonas Frei gibt in seiner Walnuss-Monographie die Menge der weltweiten Walnussproduktion mit etwa 383.000.000 Tonnen an – das ist weit mehr als noch als vor einigen Jahrzehnten: Die Walnuss erfreut sich weltweit ungebrochener Beliebtheit und ist aus dem Landschaftsbild in Mitteleuropa nicht wegzudenken. 

Bei der Walnusspflanze handelt es sich um ein Millionen Jahre altes Gewächs, das lange Zeit in Europa beheimatet war. Nach dem Ende der letzten Eiszeit starb die Walnuss – wie viele andere Pflanzen und Bäume – aus und wurde mit dem Aufkommen der ersten europäischen Hochkulturen wahrscheinlich aus Asien wieder nach Europa eingeführt. Die Walnuss gehört somit zu jenen Pflanzen, die mehrere Millionen Jahre Erdgeschichte überlebt hat und sich bis heute behauptet. Von vielen Pflanzen, die es vor Jahrmillionen gab und heute nicht mehr, wird der Mensch vermutlich niemals erfahren.
Vor einigen Jahrzehnten wurde argumentiert, die Erde stehe aktuell kurz vor einer neuen Eiszeit – man möchte sich fragen, ob die Walnusspflanze auch die nächste Eiszeit überleben wird… 

Simon von Ludwig


Als maßgebliche Quelle diente folgendes Werk:
Frei, Jonas: Die Walnuss. Arten, Botanik, Geschichte, Kultur. 2019 AT Verlag, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage 2023. 

Der Bussard bedankt sich beim AT Verlag für die Zusammenarbeit, welche die Bereitstellung des Werkes von Jonas Frei umfasste. 
Das 2019 erschienene Standardwerk von Jonas Frei, Landschaftsarchitekt und Stadtökologe aus Zürich, bietet einen umfassenden Überblick über die Arten, Botanik, Geschichte und Kultur der Walnuss.

Cover: © at-verlag.ch


Beitragsbild: © Simon von Ludwig


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