Als Grace Kelly jung war, soll Jo Stafford ihre Lieblingssängerin gewesen sein: Hört man sich You Belong To Me von Jo Stafford an, fällt einem sofort die Klarheit und Präzision ihrer Stimme auf. Dass Jo Stafford eigentlich eine Ausbildung als Opernsängerin absolvieren wollte, überrascht nicht: Auf ihren Aufnahmen brilliert sie mit einer einzigartigen Diktion und einem gesanglichen Ausdruck, den es so nur einmal in der traditionellen Popmusik geben konnte. Mit sechzehn Jahren spielte sie außerdem eine Rolle in der Oper Rigoletto am Long Beach Terrace Theater in Kalifornien. 

Von einem lokalen Radiomoderator lernte Jo Stafford das Singen: Bei ihm übte sie sechs Monate lang nicht etwa das Singen, sondern die richtige Atemtechnik und absolvierte eine Gesangsübung nach der anderen. 1929 stand die junge Stafford zum ersten Mal auf einer Bühne: Sie sang das traditionelle irische Lied Believe Me If All Those Endearing Young Charms.
Als sie die High School besuchte, bildete sie gemeinsam mit ihren beiden Schwestern das Trio The Stafford Sisters. 1938 wurde das Trio dazu eingeladen, bei der Filmproduktion Alexander’s Ragtime Band (1938) mitzuwirken: Während der Dreharbeiten traf Jo Stafford die Mitglieder der künftigen Gesangsgruppe The Pied Pipers

The Pied Pipers

Am Set gab es zwischen den Aufnahmen wenig zu tun – aus Spaß begannen einige Sänger am Set, Harmonien zu singen. So entstand die Gruppe The Pied Pipers, mit der auch Frank Sinatra zwischen 1940 und 1942 einige Male sang. Sinatra war gerade Teil der Bigband von Tommy Dorsey geworden. Tommy Dorsey sollte auch in Jo Staffords Karriere eine große Rolle spielen: Es wird Dorsey zugeschrieben, Frank Sinatra und die Pied Pipers für den Nummer Eins-Hit I’ll Never Smile Again (1940) zusammengeführt zu haben.
Dorsey war auch derjenige, der Stafford die Möglichkeit gab, zum ersten Mal eine Aufnahme als Solokünstlerin herauszubringen: Mit Little Man with a Candy Cigar veröffentlichte Jo Stafford 1942 ihre erste Aufnahme als Sängerin.
In den nächsten drei Jahren waren die Pied Pipers non-stop auf Tournee – sie bereisten verschiedene Städte in den Vereinigten Staaten und blieben meist einige Wochen in einer Stadt. 

Weston verstand es, die klare und warme Stimme Staffords mit passenden Arrangements zu vertonen.

Capitol Records

1944 traf Jo Stafford den Entschluss, eine Solo-Karriere zu verfolgen: Der Sänger und Pianist Johnny Mercer, ein Bekannter Staffords, hatte 1942 die Capitol Records gegründet, das erste Aufnahmestudio an der US-amerikanischen Westküste. Bisher musste Stafford immer an die Ostküste gehen, um am musikalischen Puls der Zeit zu leben – mit den neugegründeten Capitol Records änderte sich das.
Der Musikdirektor von Capitol Records, der Arrangeur und Komponist Paul Weston, war in den folgenden Jahren für den typischen Stafford-Sound verantwortlich: Weston verstand es, die klare und warme Stimme Staffords mit passenden Arrangements zu vertonen. Zu dieser Zeit entstanden Aufnahmen wie Tennessee Waltz oder You Belong To Me

American Folk Songs

1948 veröffentlichte Jo Stafford das Album American Folk Songs: Auf dem Album interpretierte Stafford Folk-Standards wie Wayfaring Stranger. Auf dem Folk-Album wagte man es zum ersten Mal, Folk-Songs mit einem Orchester und mit Streichinstrumenten zu arrangieren.
Damit war Jo Stafford nun nicht mehr nur traditionelle Popsängerin, sondern auch Folksängerin: Das Album wurde so berühmt, dass die American Folklore Society einen Jo Stafford Prize ins Leben ruf. Folk-Sänger wie Judy Collins gaben Staffords Album American Folk Songs später als Inspiration dafür an, selbst Musiker zu werden. 
1954 bekam Jo Stafford ihre eigene Fernsehshow bei CBS: Bei der Jo Stafford Show, deren Episoden jeweils 15 Minuten umfassten, wurde sie von Paul Weston musikalisch begleitet. Weston verfasste auch Musik für Stafford – unter anderem stammt das bekannte Lied Shrimp Boats aus Westons Feder. 

G.I. Stafford

Jo Stafford stand bis Mitte der Sechziger regelmäßig in Aufnahmestudios: Ab Mitte der Sechziger wurde das amerikanische Publikum mit einer völlig anderen Art der Musik vertraut gemacht.
Die Zeiten, in denen die traditionelle Popmusik und die Folkmusik große Massen ansprach, waren vorerst vorüber. Jo Stafford erkannte das und beendete ihre Karriere als Sängerin Mitte der Sechziger. Ihre letzten Alben, die sie Anfang der Sechziger veröffentlichte, griffen hauptsächlich Lieder aus der Vergangenheit auf.
Jo Stafford zeichnete sich dadurch aus, dass sie im Laufe ihrer Karriere ein großes Spektrum an Musikgenres abdeckte: Bekannt war sie vor allem als traditionelle Popsängerin, sie sang jedoch auch Folk-, Jazz-, und Country-Songs.
Außerdem galt sie Zeit ihres Lebens als die Stimme der G.I.s im Zweiten Weltkrieg: Ihre Lieder wurden häufig gespielt, um die US-amerikanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg bei Laune zu halten. Besonders das Lied I Left My Heart at the Stage Door Canteen unterstreicht ihre Tätigkeit im Dienste der US-amerikanischen Truppen während des Zweiten Weltkrieges.

Nicht ohne Grund gilt Jo Stafford als eine der wandlungsfähigsten Sängerinnen ihrer Generation. 

Abstecher in die Comedy-Szene

Nach ihrem Karriereende trat Jo Stafford nur noch selten auf: Zum letzten Mal sang Jo Stafford 1990 bei einer Zeremonie zu Ehren von Frank Sinatra
Bis heute bleibt Jo Stafford wegen ihrer einzigartigen Stimme in Erinnerung: Sie brillierte mit einer makellosen Intonation und einem klaren, puren Klang. Hätte sie, wie sie es zunächst vorgehabt hatte, eine Ausbildung als Opernsängerin absolviert, wäre aus ihr vermutlich eine Koloratursopranistin geworden.
Ihre jahrelange Zusammenarbeit mit dem Arrangeur und Komponisten Paul Weston war einer der Gründe, weshalb Stafford eine konstante künstlerische Leistung abliefern konnte: Weston kannte genau die Stärken von Staffords Stimme und schrieb Stafford die Arrangements auf den Leib. Am Broadway aufzutreten, lehnte Stafford ab – sie hatte die Befürchtung, dass ihre Stimme nicht kräftig genug sei für die Arbeit auf der Bühne.
Jo Stafford ließ in ihrer Karriere nichts aus: 1960 veröffentlichte sie das Comedy-Album Jonathan and Darlene Edwards in Paris. Die musikalische Komödie in zwei Akten, die Stafford und Paul Weston gemeinsam auf die Beine stellten und auch im Fernsehen spielten, führte Jo Stafford in die Welt der Komödien ein. Nicht ohne Grund gilt Jo Stafford als eine der wandlungsfähigsten Sängerinnen ihrer Generation. 

Simon von Ludwig


Maßgebliche Quelle: Jo Staffords Eintrag bei musicianguide.com.
Die Information, dass Grace Kelly in jungen Jahren Jo Stafford bewunderte, stammt aus: Spoto, Donald: High Society – The Life of Grace Kelly, 2010 Crown Publishing

Beitragsbild: © Simon von Ludwig


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