An der Lee Strasberg-Schule in New York wurde Tony Bennett in Belcanto unterrichtet: Doch er hatte keineswegs vor, Opernsänger zu werden. Vielmehr wurde seine Gesangstechnik geschult, sodass er bis ins hohe Alter immer noch so singen konnte wie in jungen Jahren. Eigentlich wurde die Lee Strasberg-Schule in New York hauptsächlich von jungen Menschen besucht, die Schauspieler werden wollten, nicht unbedingt von jenen, die eine Gesangskarriere anstrebten. Doch was war Tony Bennetts Beruf anderes als eine Art des Schauspiels? Tony Bennett, der mit bürgerlichem Nachnamen Benedetto hieß, beherrschte jeden Aspekt seines Bühnenauftritts perfekt und verstand es, das Publikum in seinen Bann zu ziehen. 
Manchem Film, wie dem Martin Scorsese-Film GoodFellas (1990), zu dessen Beginn Bennetts Interpretation von Rags to Riches erklingt, verlieh seine Musik einen magischen Touch. „Solange ich denken kann, wollte ich schon immer Gangster werden.“ – diese ikonische Textzeile begleitet den Beginn von Scorseses GoodFellas gemeinsam mit Tony Bennett. 

Die großzügigen Trinkgelder, die er als singender Kellner zum Dankeschön für seine brillanten Gesangseinlagen erhielt, wären schon ein solides Einkommen gewesen. 

Der singende Kellner 

Vom legendären Jazz-Komponisten Irving Berlin (1888 – 1989) ist bekannt, dass er seine „Gesangskarriere“ als singender Kellner begann: Tony Bennett tat es ihm gleich. Später sagte er rückblickend, selbst wenn er als Sänger nie berühmt geworden wäre, hätte das nichts ausgemacht – die großzügigen Trinkgelder, die er als singender Kellner zum Dankeschön für seine brillanten Gesangseinlagen erhielt, wären schon ein solides Einkommen gewesen. 

Nachdem sein Vater gestorben war, kam auf Tony Bennett die Verantwortung zu, gemeinsam mit seiner Mutter für das Wohl der vierköpfigen Familie zu sorgen. Damals wäre Bennett wohl kaum auf die Idee gekommen, dass aus der Not eine Tugend werden würde und er mit seinen Einkünften aus Schallplattenverkäufen nicht nur seinen Lebensunterhalt verdienen würde, sondern er seiner Mutter auch noch einen angenehmen Lebensabend auf einem ruhigen Landsitz ermöglichen konnte. 

(Noch) kein Star

Anfang der Fünfziger galt Tony Bennett als ein Jazzsänger, der zwar bereits ein paar Hits verbuchen konnte, doch als gefeierter Star galt er damals noch nicht wirklich: In der Branche zweifelte man an, dass sein Erfolg andauern würde. Die „wahren“ Stars der damaligen Zeit waren Sänger wie Frank Sinatra und Bing Crosby – doch genau jene beiden Sänger trugen dazu bei, dass Tony Bennett ebenfalls in diese Gruppe mit aufgenommen wurde. Als Frank Sinatra 1955 in der amerikanischen Illustrierten Life eine Artikelserie über sein eigenes Leben schrieb, äußerte er sich in dieser Artikelserie auch über andere Sänger: Nachdem Sinatra über Bennett das Statement abgegeben hatte, dass der junge Tony Bennett ihn am meisten begeistere, wurde der Jazzsänger in der Musikbranche ganz anders wahrgenommen: Als sich dann noch Bing Crosby über Bennett als den „besten Sänger, den er je gehört habe“, äußerte, war Benedetto an der Spitze der Jazz- und Popbranche der damaligen Zeit angekommen. 

Popkultur verändert sich

Die drei Hits Because of You, Rags to Riches und Cold, Cold Heart waren Anfang der Fünfziger Tony Bennetts Eintrittskarte zum Showbusiness: In den Sechzigern landete Tony Bennett mit dem Hit I Left My Heart in San Francisco nicht nur in den amerikanischen Charts, sondern auch in den weltweiten Charts: Es schien ganz so, als ob sich Tony Bennett dauerhaft an der Spitze des amerikanischen Showbusiness eingefunden hatte. 

Das Showbusiness – insbesondere das amerikanische – zeichnet sich durch viele Vorzüge aus, die einem Sänger einzigartige Möglichkeiten der Entfaltung bieten können: Doch die enorme Dynamik des amerikanischen Showbusiness stellte auch den arrivierten Tony Bennett früher oder später vor eine große Herausforderung. Spätestens in den Sechzigern war die moderne Rock- und Popmusik im Aufkommen, mit Gruppen wie den Beatles oder den Rolling Stones. Die Blütezeit des Jazz und des Swing, von der Bennett ganz klar profitiert hatte, schien vorbei: Clive Davis, der zu seiner Zeit sehr einflussreiche Präsident der Plattenfirma Columbia, ließ 1975 über Bennett die Aussage fallen, dass er „musikalisch zu oft über die Schulter zurück [schaue]“. Tony Bennett war nun einmal ein Idol der Swingära. In die neue Form der amerikanischen Populärkultur passte er nicht hinein. Doch, obwohl die Zeichen der Zeit gegen ihn standen, war die Ära von Tony Bennett noch nicht vorüber… 

Tony Bennett wurde praktisch über Nacht aus dem amerikanischen Showbusiness ausgeschlossen.

Comeback

Tony Bennett zeichnete in den Siebzigern tatsächlich zwei LPs auf, die ihn als Rock- und Popsänger am Musikmarkt platzieren sollten: Einem Reporter soll er anvertraut haben, dass er sich bei den Aufnahmen zu diesen LPs übergeben musste – die amerikanische Plattenindustrie fand solche Kommentare überhaupt nicht lustig. Tony Bennett wurde praktisch über Nacht aus dem amerikanischen Showbusiness ausgeschlossen und er entfremdete sich gar so sehr von den Verantwortlichen der Plattenindustrie in den USA, dass er mit seiner Familie für drei Jahre nach London ins „Exil“ ging.  

Wie kam es, dass Tony Bennetts Musik und einmaliger Stil bis in die heutige Zeit an ihrem Einfluss nichts eingebüßt haben? Anfang der Neunziger feierte Tony Bennett, nach der enormen Entfremdung vom amerikanischen Showbusiness, ein Comeback: Dieses Comeback begann sehr wahrscheinlich mit der Verwendung von Bennetts Hit Rags to Riches im Scorsese-Film GoodFellas (1990). Durch die prominente Platzierung des Liedes, das wie kaum ein anderes zur Handlung des Filmes passt, machte man ein wesentlich jüngeres Publikum mit der Musik von Bennett vertraut. Nun wurde eine Zielgruppe für Bennetts Musik sensibilisiert, die zu seiner Blütezeit in den Fünfzigern und Sechzigern noch gar nicht auf der Welt war. 

Eine „erwachsene Art von Pop“

Er singe „eine erwachsene Art von Pop“, betonte Tony Bennett in einem Interview im Mai 1997 mit dem Magazin Jazzpodium: Genau diese „erwachsene Art von Pop“ brachte Tony Bennett Mitte der Neunziger erneut zurück an die Spitze. Gemeinsam mit seinem neuen Album Steppin’ Out (1993), einer Hommage an Fred Astaire, wurde ein gleichnamiges Musikvideo auf MTV veröffentlicht: Das Musikvideo wurde dermaßen erfolgreich, dass nun auch die Teenager von damals wussten, wer Tony Bennett war – somit trug er den Jazz und den Swing bis in das heutige Musikzeitalter. Der Name Tony Bennett bleibt unvergessen, wenn man an die Musik des letzten Jahrhunderts denkt – obwohl der Jazzsänger ursprünglich ganz klar dem Jazz- und Swing-Genre zuzuordnen war, verstand er es, sich im Laufe seiner Karriere regelmäßig neu zu erfinden – wenn er auch in den Siebzigern für eine kurze Zeit lieber das Exil in England wählte als die Anpassung an den musikalischen Zeitgeist. 

Doch vielleicht war es genau jene leicht verzögerte Anpassung an den musikalischen Zeitgeist, die Tony Bennett zu dem einmaligen Sänger machte, als der er in die Geschichte der Jazzmusik einging? Wenn Tony Bennett sich sofort an jeden neuen musikalischen Trend angepasst hätte, wäre ihm womöglich nie die Möglichkeit zugekommen, die Jazz- und Swing-Musik in die Moderne zu bringen: Bis zu seinem Tod 2023 legte Tony Bennett regelmäßig die Werke des Great American Songbook wieder neu auf. Benedetto transportierte den Jazz ins 21. Jahrhundert hinein. 

Simon von Ludwig


Beitragsbild: Tony Bennett 1966 bei der Grand Gala du Disque in Amsterdam
Bildnachweis: Fotograaf Onbekend / Anefo, Nationaal Archief, CC0

Maßgebliche Quelle: Ein Interview mit Tony Bennett 1997, erschienen in der Zeitschrift Jazzpodium Nr. 10-11/2023


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