Nicht ohne Grund wurde Julie Londons Gesangsstimme als „die Stimme der Intimität“ beschrieben: Wenn Julie London sang, wurde sie meistens lediglich von einem Bass oder einer Gitarre begleitet – nichts weiter. London verfügte über eine einzigartige Stimme, die das Publikum in den Bann zog wie kaum eine andere und dem Zuhörer ein Gefühl der Intimität vermittelte. Damals gab es zwei verschiedene Arten von Sängern: Jene, die sangen, als ob sie eine große Menschenmenge adressieren würden und jene, die für ein kleineres Barpublikum sangen. Dann gab es Julie London: Sie sang, als ob sie mit dem Zuhörer alleine in einem Raum wäre.
Dem Zeitgeist entsprechend
Alles begann in der Boutique eines gehobenen Herrenausstatters am Hollywood Boulevard: Dort traf Julie London 1943 die Talentagentin Sue Carol, die einigen Einfluss in Hollywood besaß. Sue Carol war vom ersten Augenblick an fasziniert von Julie London: Sie entsprach genau dem, nach dem der Zeitgeist gerade verlangte. Ihre tiefe, laszive Stimme und ihr Erscheinungsbild prädestinierten sie damals zu einer Schauspielkarriere: Julie Londons Typ war gefragt wie nie.
Londons Eltern, die als Vaudeville-Künstler tätig waren, führten ihr Kind früh in die Welt der Kunst ein: So spielte Julie London ihre erste Filmrolle in Die Rache des Gorilla (1944), als sie noch zur High School ging. Bis 1950 drehte Jule London mehrere Filme mit den Warner Brothers Studios.
Sängerin, Schauspielerin oder beides?
Nachdem ihr Vertrag mit den Warner Brothers ausgelaufen war, boten ihr die Universal Studios 1950 einen Vertrag an: Doch London lehnte ab und gewährte ihrem privaten Leben den Vorrang.
Erst fünf Jahre später setzte Julie London ihre Karriere fort: 1955 wurde sie von einem Jazzproduzenten in einem Jazz Club in Los Angeles entdeckt und erhielt das Angebot, bei einer Schallplattenfirma unter Vertrag genommen zu werden. Bisher war sich London sicher, dass sie Schauspielerin werden sollte: Ihre Auftritte in Jazz Clubs waren mehr eine Notlösung. Kurz vor ihrem ersten Auftritt als Jazzsängerin im 881 Club am La Cienega Boulevard in Hollywood, wurde sie von Lampenfieber geplagt und plante gar, den Auftritt abzusagen. Doch London entschied sich, den Auftritt zu absolvieren: Jener Auftritt im Juni 1955 war der Beginn ihrer Gesangskarriere.
Der Mann aus dem Westen
Im Laufe ihrer Karriere nahm Julie London insgesamt 32 Alben auf: Darunter sind einige Aufnahmen, die heute als Jazzstandards gelten. Der Ruhm, der ihr als Sängerin zuteil wurde, ermöglichte es ihr, wieder auf der Leinwand aufzutreten: Im Western Der Mann aus dem Westen [Man of the West, 1958] spielte Julie London an der Seite von Gary Cooper eine der Hauptrollen.
Im Dezember 1955 veröffentlichte Julie London ihr erstes Album, Julie Is Her Name.
Die Sängerin Julie London war nun auf Schallplatte zu hören: Die Stimme, die vorher nur einige wenige Besucher von kalifornischen Jazz Clubs bestaunen konnten, war nun einer großen Masse zugänglich geworden.
Cry Me a River
Der Track Cry Me a River war das erste Lied auf der Schallplatte Julie Is Her Name: Arthur Hamilton verfasste Cry Me a River, das bis heute die Erkennungsmelodie von Julie London ist. Zunächst rechnete keiner damit, dass das Album zu einem Erfolg werden würde: Als das Lied in mehreren Radiosendern lief, riefen die Hörer bei den Sendern an, weil sie das Lied immer wieder hören wollten. Die Nachfrage nach der Schallplatte war so hoch, dass sie kurzzeitig ausverkauft war und das Schallplattenlabel Liberty Records mit der Nachproduktion nicht nachkam. Julie London machte sich zunächst keine Hoffnungen, denn Cry Me a River war zunächst nichts weiter als ein unbekanntes Lied von einer unbekannten Sängerin, das bei einem unbekannten Plattenlabel veröffentlicht wurde.
Innerhalb weniger Jahre jedoch verkaufte sich die Platte nahezu eine Million Mal: Für die damalige Zeit galt die Platte damit als ein phänomenaler Erfolg.
Julie London konnte auf dem Erfolg ihrer ersten Platte aufbauen und veröffentlichte weitere Schallplatten, die ebenfalls zu großen Erfolgen wurden.
Zwischen ihrem ersten Album 1955 und 1960 veröffentlichte Julie London elf Alben: Nach ihrem ersten Album wagte sich London an die Interpretation von Jazz-Titeln heran und interpretierte populäre Lieder von Cole Porter, George Gershwin und Irving Berlin.
Ging man in den Fünfzigern und Sechzigern in einen Schallplattenladen, stachen die Cover von Julie London-Platten hervor: Es waren zum Teil sehr gewagte Cover, die ihrer Zeit weit voraus waren und den Zuschauer durch ihre Aufmachung faszinierten.
Zwei Karrieren
1957 spielte Julie London eine der Hauptrollen im Western Vom Teufel geritten [Saddle the Wind]: Dem Genre des Westernfilms blieb Julie London während ihrer gesamten Leinwandkarriere stark verbunden. Nicht selten kam es vor, dass London im Laufe eines Films einen ihrer Songs zum Besten gab.
Für Julie London waren die Welt der Musik und die Welt des Films nicht weit voneinander entfernt: Mittlerweile hatte Julie London wesentlich mehr Selbstvertrauen und war von einer erfolgreichen Karriere als Sängerin überzeugt. Julie Londons Plan ging auf: Neben ihrer Karriere als Schallplattenstar spielte sie in zahlreichen Filmen, darunter auch 1959 in Heiße Grenze [The Wonderful Country] an der Seite von Robert Mitchum.
Live-Auftritte
Im Laufe der Sechziger nahm Julie London 20 weitere Alben auf: Außerdem entschloss sie sich, live vor einem Publikum aufzutreten. Die Sängerin zog die Art von Publikum vor, das ihr zuhören würde und nahm davon Abstand, in Nachtclubs aufzutreten, wo die Kunst nicht im Vordergrund stand. Mit ihren Konzerten konnte London sogar jene überzeugen, die ihren Gesangsstil bisher kritisierten: Ein Kritiker merkte an, mit ihren Konzerten beweise sie, dass sie mehr könne als Cry Me a River zu flüstern.
Mitte der Sechziger Jahre ließ Julie Londons Erfolg in den USA nach: Dafür wurden ihre Schallplatten im Ausland umso erfolgreicher. In Tokio bemühte man sich darum, die Ausnahmesängerin für eine Reihe von Konzerten zu buchen: Sogar beim japanischen Publikum kam der einzigartige Gesangsstil Julie Londons gut an.
Neuer Zeitgeist
Spätestens ab den Sechzigern wich die US-amerikanische Musikwelt immer weiter vom Great American Songbook, das bisher als das Maß der Dinge galt, ab. Von nun an dominierten andere Künstler die Charts – darunter die Beatles und die Rolling Stones: Das bedeutete für London, dass sie ihre Ausrichtung ändern musste. Die Zeiten, in denen Julie London in den Charts landen konnte, waren vorbei: Auf ihren letzten Alben konzentrierte sich London auf die Qualität und die Auswahl ihrer Lieder. Ob das Album in den Charts landen würde oder nicht, spielte keine Rolle mehr.
Vermächtnis
Ihr einzigartiger Gesangsstil macht Julie London zu einer der einflussreichsten Sängerinnen des 20. Jahrhunderts: Im Laufe ihrer Karriere deckte sie mehrere Genres ab, darunter Jazz und Pop. Mit ihrem letzten Studioalbum Yummy, Yummy, Yummy (1969), einer Kollektion von zeitgenössischen Liedern, beendete Julie London ihre Gesangskarriere: Die Welt der Musik hatte sich geändert und bevor ihr wegen erfolgloser Schallplatten eine Demütigung drohte, entschloss sie sich, einen Schlussstrich unter ihre Karriere als Sängerin zu ziehen.
Londons Einflüsse in der Welt der Musik sind bis heute spürbar: Nicht nur wird ihr Erkennungslied Cry Me a River regelmäßig gecovert, ihr Gesangsstil ist die Inspiration vieler Jazz- und Popsänger.
Maßgebliche Quelle: Owen, Michael: „Go Slow: The Life of Julie London“, 2017 Chicago Review Press
Beitragsbild: © Simon von Ludwig