Sie wuchs in Austin, der Wiege der US-amerikanischen Folk-Musik, auf: Sie verbrachte einen Großteil ihrer Jugend in Austin und fragte sich immer, wie sie aus dieser Stadt eines Tages mal herauskommen würde. Man soll vorsichtig sein mit dem, was man sich wünscht: Im Laufe von Griffiths Karriere als Sängerin stellte sich irgendwann nicht mehr die Frage, ob sie von Austin wegkommen würde, sondern ob sie jemals wieder die Muße finden würde, Zeit in ihrer Heimat zu verbringen.
Von einem heruntergekommenen Honky-Tonk Piano bis zu einem glamourösen Steinway in der Carnegie Hall: Nanci Griffith hat im Laufe ihrer Karriere als Sängerin so ziemlich alles gesehen. Ob sie am Ende von einem heruntergekommenen Honky-Tonk Klavier oder einem Steinway begleitet wurde, machte keinen Unterschied: Im Vordergrund stand Nanci Griffiths Stimme mit ihrer Gitarre. 

Eigentlich wollte sie Songwriter werden

Egal, an welchem Ort der Welt sie ihre Lieder spielte: Es waren oft die Erfahrungen aus ihrer Kindheit und Jugend, auf die sie in ihren Liedtexten zurückgriff. Wenn Griffith eines ihrer Lieder zum Besten gab, brillierte sie nicht selten mit Intimität und gewährte Einblicke in ihre Seele: Die meiste Zeit ihrer Karriere verbrachte Griffith nicht im Aufnahmestudio, sondern auf Tour.
Griffith sagte einst, man könne dem ständigen Umherreisen wenig abgewinnen – außer den zweieinhalb Stunden auf der Bühne. Diese zweieinhalb Stunden waren für Nanci Griffith Grund genug, trotzdem fast ununterbrochen auf Tour zu gehen: Eine Live-Performance ist nun einmal etwas anderes als eine Aufnahme.
Griffiths eigentlicher Plan war es gewesen, Songwriter für andere zu werden: Dass sie eines Tages ihre eigenen Lieder auch singen würde, war ihr zunächst nicht klar. Was sie aber immer gut konnte, war es, die Gitarre zu spielen: Ihre Beziehung zur Musik begann, als sie mit neun Jahren eine Gitarre geschenkt bekam. Als Griffith jung war, gab es Samstagmorgens im US-amerikanischen Fernsehen eine Sendung, die den Zuschauern Gitarrenunterricht gab: Hier lernte Griffith das Gitarrenspielen. Im Laufe ihrer Karriere entwickelte Griffith dann ihren eigenen Gitarrenstil, der charakteristisch für ihre Bühnenshows wurde.

Nanci Griffiths Karriere begann an einem Ort, wo es ums Trinken ging, nicht um ihre Musik.

Engagiert in einer Bierkneipe

Während ihrer Zeit an der University of Texas spielte Nanci Griffith von abends um neun Uhr bis morgens um zwei Uhr in einer Bierkneipe. Fünf Jahre lang sang Griffith zwischen den dichtesten Rauchschwaden und war permanent von Betrunkenen umgeben. Obwohl das Publikum ihre Kreativität zu diesem Zeitpunkt sicherlich noch nicht zu schätzen wusste, spielte sie trotzdem nur eigene Lieder und entschloss sich dagegen, nur Cover von bekannten Folk-Liedern zu singen.
Nanci Griffiths Karriere begann an einem Ort, wo es ums Trinken ging, nicht um ihre Musik.
Doch eines lernte Griffith während ihrer Zeit in der anrüchigen Bierbar: Egal, was gerade im Publikum passierte, sie konnte die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich ziehen. 

Als Griffith beim Kerrville Folk Festival in Texas auftrat, begann die Künstlerszene in Texas, allmählich auf die junge Nanci Griffith aufmerksam zu werden: Zunächst soll Griffith die Musik nicht als ihren Hauptberuf angesehen haben. Einigen Quellen zufolge soll sie zunächst als Lehrerin gearbeitet haben. Nachdem sie 1977 beim Kerrville Folk Festival den New Folk Prize gewann, änderte sich jedoch die Ausgangssituation: Von nun an nahm sich Griffith fest vor, eine Karriere als Musikerin zu verfolgen. 

There’s a Light Beyond These Woods

1978, ein Jahr später nach ihrem Erfolg beim Kerrville Folk Festival, erschien ihr Debütalbum There’s a Light Beyond These Woods: Das Album wurde vom unabhängigen Label B.F. Deal herausgebracht, das zu dieser Zeit einige lokale Künstler aus Austin förderte. Bis sich Griffith an ein großes Plattenlabel anheften konnte, sollte es noch ein ganzes Jahrzehnt dauern.
Bereits für das Album There’s a Light Beyond These Woods schrieb Griffith einen Großteil der Songs selbst – das behielt sie im Laufe ihrer gesamten Karriere bei. Der Titel des Albums, der auf deutsch soviel bedeutet wie „Hinter diesen Wäldern gibt es ein Licht“, beschreibt Griffiths Stimmung zu dieser Zeit: Sie wusste, es gab mehr von der Welt zu sehen, als nur Austin. Sie wollte aus der Welt heraustreten, in der sie großgeworden war, und rund um den Globus reisen mit ihrer Kunst.
Doch Griffith wusste immer: Die Lichter in New York waren zwar heller als die Lichter von Austin, doch in New York wäre aus ihr niemals die Künstlerin geworden, die sie wurde. 

Folk-Musik und Country-Musik

Auf ihren ersten Studioalben, die von unabhängigen Plattenlabels herausgebracht wurden, widmete sich Nanci Griffith gänzlich der Folk-Musik: Ab Mitte der Achtziger spezialisierte sich Nanci Griffith auf ein Subgenre der Folk-Musik, die Country-Musik. Diese Spezialisierung hatte den großen Vorteil, dass große Plattenlabels einen Country-Musiker eher verpflichteten als einen Folk-Musiker. Zwar ist die Country-Musik ein Ableger der Folk-Musik, aber die beiden Genres unterscheiden sich hinsichtlich ihres Ursprungs und des Klangs. Country-Musik greift nicht selten Elemente der aktuellen Popmusik auf, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen.
Der Titel ihres fünften Studioalbums Lone Star State of Mind spielt auf Griffiths Heimatbundesstaat Texas an: Texas trägt wegen des einzelnen Sterns in seiner Flagge den Beinamen Lone Star State. Das war nicht die einzige Besonderheit an jenem Album: Es war das erste Album, das Griffith im Auftrag des großen Plattenlabels MCA aufnahm. 

Griffith vergaß nie, woher sie kam.

Das Album Lone Star State of Mind enthält unter anderem Griffiths Coverversion von From a Distance, das zu einem von Griffiths bekanntesten Lieder avancierte.
Mit MCA Records wurden Nanci Griffiths Alben zu weltweiten Erfolgen in der Country-Musik:
MCA hatte den Einfluss, zu bewirken, dass auch Hörer, die sonst keine Country-Musik hörten, Nanci Griffith zuhörten. Doch Griffith vergaß nie, woher sie kam: Zwar war sie froh, von der Musikindustrie anerkannt zu werden (sie gewann unter anderem zwei Grammy Awards), doch sie riet jungen Künstlern immer davon ab, nur Musik zu machen, um eines Tages ein Star zu sein: Für sie standen ihre Wurzeln, die Folkmusik und im Speziellen der Musikstil von Folkmusikern wie Woody Guthrie (1912 – 1967), im Vordergrund. 
Groß angelegte Werbekampagnen gab es für Nanci Griffith-Alben nie: Sie war stets auf Tour, um ihre neueste Musik zu bewerben. 

Der Künstler, seine Gitarre und die Bühne

Nanci Griffith konnte in Bezug auf ihren Ruhm nicht wirklich in eine Kategorie eingeordnet werden: Auf der einen Seite war sie keine Nischenkünstlerin, aber auf der anderen Seite war sie auch kein Musikstar von Weltformat – das wollte sie auch nie.
Auch was ihren Musikstil angeht, ist es schwierig, Griffith einer Richtung zuzuordnen: Von den insgesamt zwölf Studioalben, die sie veröffentlichte, gleicht keines dem anderen. Jedes Album schlägt eine andere musikalische Richtung ein und greift unterschiedliche Musikstile auf. 
Dass Griffith im Laufe ihrer Karriere unter anderem mit Peter Buck, Gründungsmitglied der Band R.E.M. und dem Produzenten Glyn Johns, der maßgeblich an der Entwicklung der Beatbands The Rolling Stones und The Who beteiligt war, zusammenarbeitete, machte ihre Musik für eine größere Masse zugänglich: Obwohl man stets den akustischen Charakter von Griffiths Musik betonen wollte, baute man ab und zu auch Elemente aus der kontemporären Popmusik ein.
Nanci Griffiths langjähriger Toningenieur Jim Mooney beherrschte es, das Gleichgewicht zwischen akustischer Musik und elektronischen Elementen herzustellen.
Genau das macht Nanci Griffiths Musik bis heute aus: Die Musik stellt ein Gleichgewicht zwischen den Wurzeln der US-amerikanischen Folk-Musik und Elementen moderner Popmusik dar.
Doch am Ende bleiben die Ursprungskomponenten von Folk-Musik übrig, die Nanci Griffith nie vergaß: Der Künstler, seine Gitarre und die Bühne. Nicht mehr und nicht weniger. 

Simon von Ludwig


Beitragsbild: © Simon von Ludwig

Als Quelle diente unter anderem ein Artikel aus der Mai/Juni-Ausgabe 1995 von Acoustic Guitar.


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