Dieser Artikel erscheint zum 25. Todestag von Barbara am 24. November 2022.

Ihre Chansons trugen ausnahmslos autobiographische Züge: So etwas wie Fantasie gebe es bei ihr nicht, sagte Barbara einst. Sie könne nur Chansons schreiben, weil sie ihr Leben lebe, formulierte sie. Ihre Chansons drehen sich oft um Schicksalsschläge: Sei es der Tod der Eltern oder ein kleines Malheur, Barbara packte es in ein Chanson. Barbaras lyrisches Talent war nicht ganz unähnlich dem von Jacques Brel, dessen Lieder sie in jungen Jahren interpretierte.
Wenn auch ein Großteil von Barbaras Werk als melancholisch beschrieben werden kann, hatte sie auch Ideale, für die sie sich einsetzte: In Deutschland ist sie vor allem für ihr Chanson Göttingen bekannt, das in der Nachkriegszeit für die Förderung der deutsch-französischen Freundschaft eingesetzt wurde.
Obwohl Barbaras Familie im besetzten Frankreich zu kämpfen hatte, erachtete sie es als sinnlos, weiterhin Ressentiments zwischen beiden Völkern zu schüren und verfasste das Chanson Göttingen

Jacques Brel

1950 entschloss sich Barbara nach einigen erfolglosen Monaten in Paris, nach Brüssel auszuwandern: Dort traf sie Jacques Brel. Damals war Jacques Brel noch lange nicht die Berühmtheit, die er später war. Barbara und Jacques Brel – das waren beides Künstler, die nur eingefleischte Varieté-Besucher kannten und im Vorprogramm der Show eines großen Künstlers auftraten.
Weil Barbara zu Beginn ihrer Karriere hauptsächlich Chansons von anderen Künstlern interpretierte, musste sie sich anhören, sie könne nur andere kopieren: Jacques Brel soll sie dazu ermutigt haben, eigene Chansons zu dichten und zu singen. Das war der Schlüssel zum Erfolg: Genauso wie Jacques Brel wurde Barbara erst wirklich erfolgreich, als sie ihre eigenen Chansons verfasste.
Barbara und Jacques Brel verband eine lebenslange Freundschaft: Nicht nur tauschten sie sich künstlerisch aus, Brel lud Barbara 1971 ein, in seinem ersten Film Franz eine der Hauptrollen zu spielen. 

Sie verewigte ihre Person und ihre Erfahrungen in ihren Texten.

Pianiste chantante

Barbaras Traum war es, eine singende Pianistin (frz. pianiste chantante) zu werden. Nachdem Barbara von Jacques Brel wertvolle Ratschläge für ihre Karriere erhalten hatte, war Belgien lange Zeit wie eine zweite Heimat für sie: In den Fünfzigern pendelte sie zwischen Paris und Belgien hin und her.
Mitte der Fünfziger nahm Barbara ihre ersten Schallplatten auf: Zunächst nahm sie Chansons von anderen Dichtern auf, die Plattenfirmen hatten noch kein Vertrauen in ihre Fähigkeiten als Chansondichterin und sie selbst war noch nicht bereit, ihre eigenen Werke zu interpretieren.
Im Dezember 1959 begann Barbara die Arbeit an einem ihrer bekanntesten Chansons: In Nantes verarbeitet Barbara den Tod ihres Vaters. Sie stellte das Chanson 1963 fertig und feierte damit einen ihrer größten Erfolge. 

Bis Barbara ihre eigenen Chansons interpretierte, dauerte es bis Mitte der Sechziger: Für verschiedene französische Plattenlabels sang sie Chansons von George Brassens und Jacques Brel. Trat sie zu dieser Zeit live auf, wurde sie stark kritisiert: Ihre Bühnenpräsenz wurde als streng und steif beschrieben, doch Barbara wirkte bei Auftritten ganz bewusst distanzierter als andere Chansonsängerinnen: Bei einem Auftritt sollte die Aufmerksamkeit nicht ihr alleine gelten, sondern dem Text, den sie interpretierte. Sie verewigte ihre Person und ihre Erfahrungen in ihren Texten.

Barbaras Verhältnis zum Schreiben

In ihren Memoiren schreibt sie, bis 1962 habe sie gerade einmal zwei Chansons geschrieben: Doch auf einmal packte sie der Drang, zu schreiben. Sie selbst schreibt, die Wörter machten ihr Angst und faszinierten sie zugleich. Sie erinnerte sich daran, wie ihr ihre Mutter zum siebzehnten Geburtstag Das Bildnis des Dorian Gray (Oscar Wilde) geschenkt habe: Sie bezeichnet dieses Buch als den Auslöser für ihre Faszination für das Schreiben.
Die Wörter, die Barbara las, blieben nicht in ihrem visuellen Gedächtnis hängen, sondern in ihrem taktilen Gedächtnis: Sie selbst schreibt, sie fühlte die Wörter mit ihren Händen. Wenn sie ein Chanson schrieb, drückten sich die Wörter aus ihren Fingern heraus und sie hatte gar keine andere Wahl, als sie zu Papier zu bringen. 

Barbaras erste kreative Phase als Chansondichterin kulminierte 1964 mit der Veröffentlichung des Albums Barbara Chante Barbara

Göttingen

Anfang 1964 machte ihr der Direktor des Jungen Theater Göttingen das Angebot, vor Ort zu singen. Barbara stellte sich zunächst quer: Für sie war das keine Frage, in Deutschland wollte sie nicht singen. Doch Barbara überdachte ihren Entschluss und entschloss sich doch dafür, im Juli 1964 nach Göttingen zu reisen. Sie einigte sich mit Günther Klein, dem Direktor des Theaters darauf, dass sie nur auf einem schwarzen Klavier spielen werde. Als Barbara am Abend ihres ersten Engagements ein anderes Klavier vorfand, weigerte sie sich, aufzutreten: Das Publikum saß bereits auf seinen Plätzen und dem Konzert stand wegen des Klaviers eine Absage bevor…

Die Sängerin war nur das Medium, die das Chanson interpretierte.

Ein schwarzes Klavier

Es war dem Engagement der jungen Schauspieler am Theater zu verdanken, dass Barbara an diesem Abend doch auftrat: Ein Schüler kannte eine Dame, die sich bereit zeigte, ihr schwarzes Konzertklavier zur Verfügung zu stellen. Das Konzert hätte um 20 Uhr beginnen sollen. Um 22 Uhr trugen zehn junge Theaterschauspieler das schwarze Konzertpiano der hilfsbereiten Dame durch die Pforten des Jungen Theater Göttingen und ermöglichten Barbara ihren Auftritt. Später benannte Barbara ihre Memoiren nach diesem Vorkommnis mit dem Titel Il était un piano noir [Es war einmal ein schwarzes Klavier]. Im kleinen Garten des Jungen Theater Göttingen schrieb Barbara einen ersten Entwurf des Chansons Göttingen. Sie stellte das Chanson in Paris fertig und veröffentlichte es auf ihrer nächsten Schallplatte. Später nahm sie das Lied auch in deutscher Sprache auf: Auf der Platte Barbara singt Barbara in deutscher Sprache ist eine deutsche Version von Göttingen enthalten. 

Vermächtnis

Barbara war eine der facettenreichsten Chansonsängerinnen, die Frankreich im 20. Jahrhundert zu bieten hatte: Obwohl sie oft mit anderen Chansonsängerinnen verglichen wurde, war sie durch ihren Charakter und ihre Interpretationsweise einzigartig. Für sie stand das Chanson im Vordergrund, nicht die Sängerin: Die Sängerin war nur das Medium, die das Chanson interpretierte. Ihre Faszination für das Schreiben entdeckte Barbara erst, als sie bereits einige Jahre im Showbusiness tätig war: Sie wurde unter anderem von Jacques Brel dazu ermutigt, Chansons selbst zu dichten. Barbara zählt zu den berühmtesten Chansonsängerinnen des 20. Jahrhunderts – während ihrer Karriere, die über vierzig Jahre umfasste, bereicherte sie das Genre des französischen Chansons mit ihren Kreationen und garantierte, dass sich das französische Chanson auch in den Siebzigern und Achtzigern neben den neuen Formen der Pop-Musik behaupten konnte. 

Simon von Ludwig


Beitragsbild: Barbara 1965 in Amsterdam
Bildnachweis: Fotograaf Kroon, Ron / Anefo, Nationaal Archief, CC0

Maßgebliche Quelle: Barbara: „Il était un piano noir…: Memoires interrompus“, 2002 Le Livre de Poche


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