„Es gibt nichts Lästigeres, als unter jedes Wort eine Note setzen zu müssen“, behauptete Jacques Brel einst. Es war seine größte Leidenschaft und sein größtes Talent, Chansons zu schreiben. Er setzte sich zum Ziel, mit seinen Chansons Gefühle zu verarbeiten, Menschen und Situationen zu skizzieren und den Zuhörer damit in seinen Bann zu ziehen.
Von den strikten Regeln der Musik fühlte er sich oft eingeschränkt und empfand sie als Hindernis seiner poetischen Kreativität: Nichtsdestotrotz konnte ein Jacques Brel-Chanson ohne musikalische Untermalung nicht leben. Das Chanson war seine Berufung. 

Aller Anfang ist schwer

Es dauerte lange, bis Jacques Brel in der Chansonszene Anerkennung fand: In seiner Brüsseler Heimat begann er, selbst geschriebene Lieder vorzutragen – zunächst ohne Erfolg.
Sein Vater hatte ein bürgerliches Leben für seinen Sohn Jacques Brel vorgesehen: In jungen Jahren begann er in der familiären Kartonagenfabrik zu arbeiten. Doch Brel empfand diese Art des Lebens als trist und uninteressant: Für ihn stand fest, dass er Künstler werden wollte.
1953 kam Jacques Brel zu seiner ersten Schallplattenaufnahme bei Philips: Diese Möglichkeit hatte er einer Radiomoderatorin zu verdanken. Von seiner ersten Single mit den Liedern La foire und Il y a verkauften sich nicht mehr als 200 Exemplare, doch es genügte, damit der künstlerische Leiter von Philips auf ihn aufmerksam wurde und ihn nach Paris einlud.  

Noch kannten nur versierte Chansonkenner den Namen Jacques Brel. 

Neue künstlerische Heimat

Die Stadt Paris, die eines Tages zu Jacques Brels künstlerischer Heimat avancieren sollte, erschien ihm zunächst vollkommen fremd: Später sagte Brel rückblickend, er habe fünf Jahre lang debütiert in Paris. Der ersehnte Erfolg als Chansonnier blieb lange aus, er musste Beschimpfungen hinnehmen, ihm wurde gar geraten, der Bühne fernzubleiben und für andere Interpreten Musikstücke zu schreiben. Die Frustration, die er zu dieser Zeit spürte, verarbeitete Jacques Brel in verschiedenen Chansons.
Der künstlerische Leiter von Philips ermöglichte Jacques Brel seine ersten Auftritte in Pariser Theatern und half Brel, in Paris Fuß zu fassen. 1954 trat er, wenig beachtet, eines abends im Vorprogramm des Olympia auf. Bis er im Olympia seinen großen Erfolg feiern durfte, sollte es jedoch noch einige Jahre dauern. Noch kannten nur versierte Chansonkenner den Namen Jacques Brel. 

Erste Tournee

Im Sommer 1954 ging Jacques Brel auf seine erste Tournee: Sie führte ihn auf verschiedene französische Provinzbühnen, aber auch in seine Heimat Belgien und nach Nordafrika.
Immer wenn er mit seinen Musikern aus dem Tourneeauto ausstieg, wunderten sich die Veranstalter: Im Gepäck befand sich kein einziges Mikrofon, keine einzige Beleuchtungsanlage und kein einziger Verstärker. Selbst damals war es äußerst ungewöhnlich, auf diese technischen Hilfsmittel zu verzichten. Für Jacques Brel kam es nur in den seltensten Fällen infrage, Mikrofone oder Verstärker zu verwenden: Er wollte, dass seine Chansons unverfälscht und ehrlich – ohne zwischengeschaltete Technik – beim Publikum ankamen. 

Bühnenpräsenz

Jacques Brel stellte fest, dass er für sein Leben gerne auf Tourneen ging: Ab Mitte der Fünfziger Jahre unternahm Brel regelmäßig Tourneen, die ihn hauptsächlich in den frankophonen Teil der Welt führten.
Brels Bühnenpräsenz war alles andere als konventionell für die damalige Zeit: Er sah jeden Auftritt als ein Theaterstück an, und hielt an einer festen Form seiner Auftritte mit Beginn, Klimax und Ende fest. Deshalb gab er auch nie eine Zugabe, egal wie fest das Publikum mit den Füßen auf den Boden trampelte: Der Auftritt war vorbei, wenn Brel aus dramaturgischen Gesichtspunkten diesen Entschluss gefasst hatte. 

Das Chanson Quand on n’a que l’amour wurde 1956 Jacques Brels erster großer Schallpattenerfolg: Dieser Erfolg bewog zahlreiche französische Chansonsänger, das Lied zu covern. Von diesem Chanson existieren – wie von vielen Brel-Chansons – unzählige Coverversionen. Viele seiner bekanntesten Chansons entstanden zu dieser Zeit in Hotelzimmern: Unter diesen Chansons waren Amsterdam, Mathilde oder Ces gens-là. Zwischen seinen Konzerten – manchmal gab er knapp dreihundert Konzerte pro Jahr – hatte er immer wieder kreative Phasen, die er zum Verfassen von Chansons benutzte. 

Brels einmalige Bühnenpräsenz und seine Interpretation eines poetischen Chansons verbieten jeden Vergleich. 

Der Mythos Jacques Brel

Ende der Fünfziger war Jacques Brel einer der gefragtesten französischen Chansonkünstler: Seine unzähligen Konzertauftritte kurbelten den Verkauf seiner Schallplatten merklich an.
1961 bot sich für Jacques Brel eine einmalige Chance: Er sprang für Marlene Dietrich ein und gab einen Abend im Pariser Olympia. Dort, wo er wenige Jahre zuvor als Vorprogramm fast unterging, feierte er nun einen der größten Erfolge seiner Karriere. Nun gehörte Jacques Brel zu einer der Chansongrößen Frankreichs und wurde mit Charles Aznavour, Yves Montand oder Gilbert Bécaud verglichen. Doch Brels einmalige Bühnenpräsenz und seine Interpretation eines poetischen Chansons verbieten jeden Vergleich. 

Mittlerweile war Jacques Brel mehr als ein Chansonsänger: Er wurde nicht nur zu einem Aushängeschild der frankophonen Kultur, es entstand ein Mythos um seine Person und seine Kunst.
Nachdem er Tourneen durch die Sowjetunion, die USA, und durch Kanada absolviert hatte, war Jacques Brel ein weltweites Phänomen. Selbst Menschen, die kein einziges Wort französisch verstanden, fühlten sich von Jacques Brels Musik in den Bann gezogen.
Mitte der Sechziger befand sich Jacques Brel auf dem Höhepunkt seine Ruhmes: Für ihn war genau das der richtige Zeitpunkt, um von der Bühne abzutreten. 

„Chansonverkäufer“? Nicht mit Jacques Brel

Als „Chansonverkäufer“ zu enden, war das letzte, was Jacques Brel wollte: 1967 sang Jacques Brel zum letzten Mal in seinem Leben die Chansons seines umfangreichen Repertoires auf einer Bühne. Zu Beginn der Siebziger widmete sich Jaques Brel der Fliegerei: Im Laufe der Siebziger überquerte Brel mehrmals den Atlantik. Mittlerweile war Brel den geregelten Lebensentwurf der Gesellschaft satt geworden und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück: Er ließ sich auf der Insel Hiva Oa im südöstlichen Pazifik nieder und verbrachte dort seinen Lebensabend. Dort fand er zum letzten Mal in seinem Leben die Energie und Kreativität, um Chansons zu schreiben: Um die Chansons aufzunehmen, die er in der Abgeschiedenheit auf Hiva Oa verfasst hatte, reiste er im August 1977 zurück nach Paris. 

Oft kopiert, nie erreicht

Knapp ein Jahr nach den Aufnahmen zu seiner letzten Platte starb Jacques Brel am 9. Oktober 1978. Sein Grab befindet sich auf Hiva Oa, unweit des Grabmals des Malers Paul Gauguin, der ebenfalls seinen Lebensabend auf der Insel verbracht hatte.
Oft kopiert, nie erreicht: Dieses Sprichwort trifft auf Jacques Brel zu. Im Laufe seiner Karriere trug er beinahe nur eigene Chansons vor: Bei der musikalischen Untermalung seiner Chansons verließ er sich hingegen auf Komponisten, die seine Chansons mit Musik vollendeten. Entscheidend war dabei die Zusammenarbeit mit den französischen Komponisten François Rauber und Gérard Jouannest, die Brels Chansonstil maßgeblich bestimmten. 

Jacques Brel: Dieser Name steht nicht zuletzt für einen emotionalen Funken, der vom Sänger auf das Publikum überspringt und das Publikum selbst dann erreicht, wenn es kein Wort französisch beherrscht. Dieser Funke ist bis heute erhalten geblieben.

Simon von Ludwig


Maßgebliche Quelle: Todd, Olivier: „Jacques Brel – Ein Leben“, Achilla Presse Verlagsbuchhandlung 1997

Beitragsbild: Jacques Brel 1962
Bildnachweis: Fotograaf Nijs, Jac. de / Anefo, Nationaal Archief, CC0


Empfehlungen aus der Kategorie Chanson

Charles Trenet: Seine Chansons erzählen Geschichten
Charles Trenet: Seine Chansons erzählen Geschichten
Hildegard Knef: Die Berliner Schnauze
Hildegard Knef: Die Berliner Schnauze
Edith Piaf: Ein sonores Lachen (1.)
Edith Piaf: Ein sonores Lachen (1.)
Yves Montand: Chanson, Charme, Chic (2.)
Yves Montand: Chanson, Charme, Chic (2.)
Zarah Leander: Unvergessene Melodien
Zarah Leander: Unvergessene Melodien
Luigi Tenco: Cantautore mit Stil
Luigi Tenco: Cantautore mit Stil
Dalida: Die Exotin des Chansons (2.)
Dalida: Die Exotin des Chansons (2.)
Dalida: Die Exotin des Chansons (1.)
Dalida: Die Exotin des Chansons (1.)
Barbara: Die singende Pianistin
Barbara: Die singende Pianistin
Edith Piaf: Ein sonores Lachen (2.)
Edith Piaf: Ein sonores Lachen (2.)
PlayPause
previous arrow
next arrow

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert