Denkt man in der westlichen Welt an eine Zeichentrickserie, verbindet man damit unweigerlich Unterhaltung für Kinder: Die japanische Form des „Zeichentricks“ nennt sich Anime und ist längst nicht nur etwas für Kinder. Auch Comics haben ein japanisches Pendant, das sich Manga nennt. Was verbindet diese Genres miteinander? Wo liegen die Ursprünge der Comic- und Zeichentrickkultur? Und weshalb war Goethe zu seinen Lebzeiten von Bildergeschichten fasziniert – über ein Jahrhundert vor dem Aufkommen der ersten Comics?

Als sich Hollywood in den Zwanzigern und Dreißigern gerade in seinem goldenen Zeitalter befand und die Studio-Ära auf ihrem Höhepunkt war, befand sich der japanische Animationsfilm (der Vorläufer des auf Comics basierenden „Anime“-Films) gerade in den Kinderschuhen. Die ersten Anime-Filme des 20. Jahrhunderts arbeiteten nicht selten asiatische Märchen, Sagen und Legenden auf: Damit hoben sie sich von den amerikanischen Zeichentrick-Vorbildern, die insbesondere von den Walt Disney Studios produziert wurden, ab. Man liest immer wieder, dass die amerikanischen Zeichentrickfilme Vorbilder für die Anime-Kultur gewesen seien: Es ist jedoch fraglich, wo genau die Ursprünge des Anime oder des Zeichentrickfilms allgemein liegen. Geht man davon aus, dass die Comic-Kultur und die Zeichentrick-Kultur eng miteinander verknüpft sind, lassen sich sowohl in der westlichen als auch in der japanischen Kultur Belege für eine tief verwurzelte Comic-Kultur finden… 

Die ersten Vorläufer der heutigen Manga-Kultur entwickelten sich ohne größere Einflüsse der Außenwelt.

Edo-Zeit – japanisches Hochmittelalter

Bereits in der Edo-Zeit (1600 – 1868), die auch als japanisches Hochmittelalter bezeichnet wird, gab es eine Art Manga: Im japanischen Hochmittelalter gab es kleine, gebundene Bücher, die mit Bildergeschichten und begleitendem Text gefüllt waren. Diese Bücher bezeichnete man als Kibyoshi. Dabei kam den Bildern wesentlich mehr Bedeutung zu als dem Text: Die Bilder trugen die gesamte Handlung und Text kam nur dann zum Einsatz, wenn die Handlung mit Bildern alleine nicht weitererzählt werden konnte. Man muss sich vor Augen führen, dass die japanische Kultur zur Edo-Zeit von der Außenwelt vollkommen abgeschnitten war: Die ersten Vorläufer der heutigen Manga-Kultur entwickelten sich also ohne größere Einflüsse der Außenwelt – spricht man von Mangas, kann man also tatsächlich von japanischem Kulturgut sprechen, das sich weitestgehend unabhängig von dem Einfluss anderer Kulturen entwickelte. Allgemein kann die Edo-Zeit als eine Hochphase der japanischen Kultur bezeichnet werden: Es entwickelten sich unzählige Formen der Kunst und Unterhaltung, die bis heute überliefert sind. Dazu gehört auch die Manga-Kultur und im weiteren Sinne die Anime-Kultur. 

Comicstrips

Als sich die japanische Kultur mit dem Ende der Edo-Zeit um 1868 für äußere Einflüsse mehr öffnete, strömten auch zahlreiche europäische Einflüsse nach Japan ein: So kam es, dass in Japan europäische Zeitungen eintrafen, in denen zahlreiche Karikaturen zum politischen Geschehen zu finden waren. Schon damals waren sogenannte Comicstrips in Europa besonders beliebt: Bis heute gibt es in manchen Zeitungen Comicstrips – dabei handelt es sich um den kurzen Comicteil einer Zeitung, in dem eine kurze Geschichte erzählt wird, die häufig in der nächsten Zeitungsausgabe weitererzählt wird. Dieser kulturelle Einfluss wirkte sich ebenfalls auf die in Japan existierende Kibyoshi-Kultur aus: Der europäische Einfluss führte zu zahlreichen formellen Anpassungen bei den japanischen Comics, unter anderem verwendete man fortan ebenfalls Sprechblasen für den Text. 

Rodolphe Töpffer – Pionier des Comic-Genres

Im Europa des 19. Jahrhunderts waren Bildergeschichten längst keine unbekannte Kunstform: Der in Genf geborene Zeichner und Novellist Rodolphe Töpffer (1799 – 1846) zeichnete neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller gerne Bildergeschichten, die unter anderem von Johann Wolfgang von Goethe sehr bewundert wurden. So soll Goethe den Überlieferungen seines Vertrauten Johann Peter Eckermann zufolge über Töpffers Arbeit 1831 gesagt haben: „(…) Es funkelt alles von Talent und Geist! Einige Blätter sind ganz unübertrefflich! (…) Töpffer scheint mir (…) durchaus originell zu sein, wie mir nur je ein Talent vorgekommen.“
Töpffer gilt damit als ein Pionier des Comic-Genres.

Einige Klassiker aus der Feder von Johann Wolfgang von Goethe lassen sich heutzutage tatsächlich als Graphic Novel, ein mit dem Comic verwandtes Genre, finden: Mit zeichnerischen Aufarbeitungen von klassischen Stoffen wie Faust erhofft man sich, auch jüngere oder am reinen Lesestoff wenig interessierte Leser für Weltliteratur zu begeistern. Somit begeistert man unter Umständen manchen Manga- oder Comic-Leser für ein Stück Weltliteratur…

Erst in den 1950ern kam langsam jene Form des Mangas auf, wie man sie heute noch kennt.

Hokusai Manga 

Die Bezeichnung Manga für japanische Comics kommt nicht von irgendwoher: Der japanische Künstler Katsushika Hokusai veröffentlichte 1814 seinen ersten Bilder-Band unter dem Titel Hokusai Manga. Der erste Band dieser allerersten Manga-Reihe überhaupt war eine Anleitung zum Malen, später veröffentlichte Hokusai zahlreiche weitere Bände, die unterschiedliche Motive thematisieren. Wenn man so will, sind die Hokusai Manga bis heute eine Vorlage für alle weiteren Mangas und somit auch für Animes: Vielen Mangas und Animes, die man heutzutage kennt, liegen Figuren mit übernatürlichen Kräften zugrunde – ebenjene Motive verarbeitete Hokusai bereits in seinen Hokusai Manga-Bänden. 

Doch jene frühe Form des Manga hatte wenig gemein mit dem, was man sich heute unter einem typischen japanischen Manga vorstellt: Erst in den 1950ern kam langsam jene Form des Mangas auf, wie man sie heute noch kennt. Ursprünglich waren Mangas sehr kurze Geschichten, die schnell erzählt waren. Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg drastisch: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte in der Welt der Mangas eine neue Bewegung namens Story Manga ein, die Handlungsstränge über mehrere Buchbände erzählte. 

Bildergeschichten, die über die Leinwand flimmern

Ein Pionier des Story-Manga war der Mangaka (japanischer Begriff für Comic-Zeichner) Osamu Tezuka. Obwohl Tezuka hauptsächlich Mangas für Kinder zeichnete, beeinflusste er die Manga- und Comic-Kultur nachhaltig. Osamu Tezuka beschäftigte sich nicht nur damit, Mangas zu zeichnen – sein Ziel war es ebenfalls, seine Geschichten zu verfilmen. Seitdem sind Mangas und Animes eine Art Vernetzung eingegangen: Fast jede Anime-Serie, die in Japan ausgestrahlt wird, basiert auf einem erfolgreichen Manga. Die zahlreichen in Japan ansässigen Anime-Studios genießen dort ein sehr hohes Ansehen. 

In der westlichen Kultur ist es nicht anders: Denkt man an die extrem großen Comicbuch-Verlage Marvel Comics und DC Comics, die mit ihren Verfilmungen heutzutage einen Großteil des Filmmarktes beherrschen, ergibt sich ein ähnliches Bild wie in Japan. Mit dem großen Unterschied, dass Marvel-Verfilmungen, deren Figuren und Handlungsstränge ursprünglich einem Comic entlehnt sind, häufig auch als Realverfilmungen auf die Leinwand gebracht werden. In Japan bleiben die Verfilmungen von Mangas und Comics eine der Realität kaum nahekommende Animation, die auch außerhalb Japans unzählige Zuschauer in den Bann zieht und fasziniert. 

Schon Johann Wolfgang von Goethe war von Bildergeschichten fasziniert – ob er damals schon wusste, dass Bildergeschichten eines Tages in animierter Form über riesige Bildschirme flimmern würden?

Simon von Ludwig


Maßgebliche Quelle: Ein Artikel via japankino.de und eine Informationsseite der Hochschule der Medien Stuttgart

Beitragsbild: Der Mangaka Osamu Tezuka 1951, Public Domain, via Wikimedia Commons


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