„Die Menschen suchen nicht immer das Glück, sie suchen ein Schicksal.“ Die dänische Schriftstellerin Karen Blixen prägte mit ihrem Werk wie kein anderer Literaturschaffender ihrer Generation die Literatur des letzten Jahrhunderts.
Am bekanntesten sind ihre Memoiren „Jenseits von Afrika“, in denen sie davon erzählte, welche Lebenserfahrungen sie sammelte, als sie eine zeitlang eine Kaffeefarm in Kenia besaß und verwaltete. In jenen Memoiren, die 1985 verfilmt wurden, geht es bei Weitem nicht nur um den Kaffeeanbau: Blixen stellt Betrachtungen über die indigene afrikanische Bevölkerung an, analysiert deren Kultur und beleuchtet das Verhältnis der Kolonisten zu den Ureinwohnern aus verschiedenen Perspektiven. Man möchte fast glauben, dass Blixen damals als eine Art „Rebellin“ galt – nicht nur musste sie sich während des Ersten Weltkriegs den Vorwurf gefallen lassen, sie sei „deutschfreundlich“ eingestellt, wegen ihres Vorhabens, der indigenen Bevölkerung eine Schulbildung zu vermitteln, wurde sie von den „Nachbarn“ ihrer Kaffeefarm – darunter verschiedene Kolonialisten – stark kritisiert…
Die Seele Afrikas
Man könnte meinen, die „Seele Afrikas“ schrie nach einer Chronistin, die sich dazu in der Lage sah, eine einmalige Momentaufnahme in der Geschichte des afrikanischen Kontinents einzufangen. Das Afrika, das Blixen kannte, war ein Afrika, dem eine Zeitenwende bevorstand.
Nie wieder würde man sehen können, wie afrikanische Ureinwohner und eine „moderne“ Gesellschaft – repräsentiert durch die englischen Kolonialisten in Kenia – aufeinandertrafen und zusammenlebten.
Karen Blixen hatte ein gänzlich anderes Verständnis von diesem „Zusammenleben“ als die meisten ihrer englischen Nachbarn: Der typische englische Kolonialist begriff sich als ein Missionar, der mit einer überlegenen Grundeinstellung das kenianische Land bevölkerte. Blixen sah das ganze anders: Wäre es nach Menschen wie Karen Blixen gegangen, wäre aus dem ursprünglichen, unberührten Kenia mit seiner Ureinwohnerkultur kein „modernes“ Kenia geworden, dessen Seele sich nur marginal von der Seele anderer fortschrittlicher Zivilisationen unterscheidet.
Bloß eine Aristokratin?
Was ist übrig geblieben von jener Welt, die Blixen insbesondere in ihren Memoiren „Jenseits von Afrika“ – einem Klassiker der Weltliteratur – schilderte? Nicht viel bis gar nichts, lautet die Antwort. Ja, das Farmhaus, von dem aus Karen Blixen die Geschicke ihrer Kaffeefarm steuerte, steht noch und dient heute als ein Museum. Doch viel anderes ist von dieser Zeit nicht mehr übrig geblieben.
Heute wird Karen Blixen eher für ihre „aristokratische“ Weltsicht verurteilt und in eine Schublade gesteckt mit anderen, weitaus engstirniger eingestellten Autoren und Persönlichkeiten der damaligen Zeit.
Liest man das Werk von Karen Blixen – auch abseits von „Jenseits von Afrika“ gibt es zahlreiche Essays und Werke von ihr über ihre Zeit in Afrika – wird einem klar: Blixen muss damals wohl die letzte Person gewesen sein, die dort mit einer aristokratischen Grundeinstellung aufwartete.
Der Flair aristokratischer Autorität
In ihren Werken geht sie sogar so weit zu behaupten, dass die Ureinwohnerkultur der Massai und der Kikuyu der damaligen europäischen Kultur einiges voraus habe – in zahlreichen Passagen drückt sie ihre Bewunderung für deren Kultur aus, an manchen Stellen geht diese Bewunderung sogar in Neid über.
Sind das die Worte einer „Aristokratin“? Nein, vielmehr sind es die Worte einer fortschrittlich denkenden Frau, die sich ihren damaligen gesellschaftlichen Status als Aristokratin zunutze machte, um ihrem Weitblick den Flair aristokratischer Autorität zu verleihen.
Es sieht ganz danach aus, als hätten die damaligen kenianischen Ureinwohner in der Baronin von Blixen-Finnecke eine glühende Fürsprecherin gehabt. Warum sonst hätte Blixen sich dafür einsetzen sollen, dass die Ureinwohner nach ihrem Weggang aus Kenia auf jenem Grund und Boden bleiben konnten, den sie bereits seit Generationen bevölkert hatten?
Mehr als eine Liebesgeschichte
Ihre Zeit in Afrika inspirierte Blixen dazu, literarische Werke zu schaffen, die es in dieser Form kein zweites Mal gibt und wahrscheinlich auch nie mehr geben wird. Die 1985 erschienene Verfilmung ihrer Memoiren mit Meryl Streep und Robert Redford in den Hauptrollen trug dank der literaturnahen Adaption von Sydney Pollack einiges dazu bei, das Vermächtnis von Blixen in aller Welt bekannt zu machen. Der Film handelt, anders als häufig behauptet, nicht bloß von der Liebesgeschichte zwischen der Baronin und einem weltgewandten Engländer namens Denys Finch-Hatton: Der Film unternimmt – soweit es im Rahmen des Hollywood-Kinos möglich ist – den Versuch, das komplexe und vielschichtige Vermächtnis der Baronin von Blixen-Finnecke aufzuarbeiten und herauszuarbeiten, was wirklich von Bedeutung war in ihrem Werk.
An mancher Stelle liefert der Film Andeutungen, die nur das Lesen von Blixens Werken aufklären kann. Sei es die Kolonialzeit oder historische Ereignisse wie der Erste Weltkrieg: Der Film arbeitet diese Ereignisse und deren Auswirkungen auf das Leben in der Kolonie damals auf.
Die „Alte Welt“
Doch am Ende war es nicht die Weltsicht einer Karen Blixen, die den weiteren Verlauf der Geschichte Kenias bestimmte. Moderne Zivilisation und der Geist der Fortschrittlichkeit, zwei Konzepte, die sich mit einer blühenden Ureinwohnerkultur nur schwierig bis gar nicht vereinbaren lassen, drängten jene zuvor unberührte Welt zurück und „verschluckten“ gewissermaßen die „Alte Welt“.
Was bleibt, sind Blixens Werke und ihr Vermächtnis – man fragt sich, was aus der Seele des „alten Kenias“ geworden wäre, wenn es keine Chronistin wie Karen Blixen gegeben hätte, die jene Zeit mit ihren Memoiren verewigte und für zukünftige Generationen festhielt.
Wer würde heute noch wissen, was es bedeutet, auf den nie eintreten wollenden Regen zu warten, der die durstigen Kaffeepflanzen, von deren Wachstum der eigene wirtschaftliche Erfolg abhängt, nährt?
Beitragsbild: Karen Blixen 1959 auf einer Photographie von Carl van Vechten, © Carl van Vechten
Bildquelle: © Van Vechten Collection at Library of Congress