Beitragsbild: Gemälde von Hans Kohnert, „Winterliche Birkenlandschaft“ (1921), entnommen aus Wikimedia Commons, bereitgestellt von Dirk Kohnert, Verwendung unter CC BY-SA 4.0

Es waren einmal drei Birken, die gepflanzt wurden, als es noch keine Menschen gab, die sich an ihnen vergreifen wollten, um an ihrer Stelle ein Haus zu bauen.
Einst sagte man, wer sich an Bäumen vergreift, den bestraft der König. Es gab sogar einmal eine Zeit, da wurden Baummördern die Hände abgehackt. So im Berlin des 17. Jahrhunderts, als die Prachtstraße „Unter den Linden“ gerade errichtet wurde. 
Heute gibt es keine Könige mehr im klassischen Sinne. Oder vielleicht doch?
Aber – pardon: Zurück zur Birke.
Diese Birken erlebten mit, wie Kriege wüteten, Generationen ausstarben, Völker kamen und gingen. Nichts ging an ihnen vorbei und doch alles, wie ihre Aura bezeugte. 
Ihr Rascheln im Sommerwind inspirierte Generation über Generation. 
Solang‘ die Birken noch blühen, kann nichts uns überwinden. 

Vor vielen Jahren waren es jene drei Birken, die den Menschen mit ihrem (be-)rauschenden Klang bezirzten und ihn beim Müßiggang daran erinnerten: Tu’ was! Schlaf’ nicht ein! Jedem, der es nötig hatte, gönnten die Birken seine Ruhephase, doch ermutigten die blonden Bäume dazu, aufzustehen. 
Niemand ruhte sich länger unter ihren Kronen aus, als er es nötig hatte. 

Dann fiel die erste, bald schon die zweite und nun die dritte krönende Existenz dem menschlichen Geltungssinn zum Opfer. 
Hätte er, der Mensch, wenigstens ihr Holz benötigt, aber nein, er baute seine Höhlen längst aus Beton. Nun waren sie alle drei gefallen. 
Wie Krieger in einem Krieg, der länger dauert, als je ein Mensch in der Lage sein wird, zu leben. Aber ein blonder Baum, der die Tücken der Natur kennt, ist nicht dumm. 
Er weiß, dass die Natur mit dem Menschen ein Wesen geschaffen hat, das zwar schnelle kurzfristige Änderungen im natürlichen Gefüge erwirken kann, aber Permanenz ist nun einmal nicht seine Stärke. Meist ist es die Sorgfältigkeit auch nicht. 

Schon lange, bevor die letzte Birke fiel, sandte sie Samen aus, die schon bald Zuflucht finden sollten. Der Genesis-Effekt, das stetige Schaffen & Aufrechterhalten von Leben, sollte nicht aufgehalten werden. 
Der weise blonde Baum ahnte sein Schicksal voraus. 

An einem neuen Ort, unweit dem alten, gedeihen nun zwei neue Birken, die durch Zutun der Natur ihre Existenz gesichert bekamen. Einmal werden auch auf ihnen Bussarde, Amseln, Spatzen und Elstern Zuflucht finden. 
Als die Mutter dieser Sprösslinge fiel, stimmten alle Prinzen der Lüfte in den Klagegesang mit ein. 
Da wo die Tränen fließen, wird der Regen voll Tränen die Sprösslinge mit Wasser begießen. 
Man kann sich nicht beschweren, dass der Mensch unnatürlich gehandelt habe, denn der Mensch ist Teil der Natur. 

Simon von Ludwig

Anm.: Diese Erzählung beruht auf einer «wahren Gegebenheit». 

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